Stiefel, Arthur, Ernst Rafael, Frida und Siegfried Philipp

Stiefel, Arthur, Ernst Rafael, Frida und Siegfried Philipp

Stolperstein-Biographien im Westend

Stiefel, Arthur, Ernst Rafael, Frida und Siegfried Philipp

 

Arthur Stiefel wurde in Frankfurt am Main als Sohn des Fabrikanten Simon Stiefel (1847-1930) und seiner Ehefrau Bertha Stiefel, geb. Strauss (1856-1929) geboren, Frieda Stiefel als Tochter des Börsensensals Salomon Siegfried Strauss (1851-1912) und seiner Ehefrau Amalie Strauss, geb. Vendig (1862-1949). Arthur Stiefel und Frida Strauss heirateten am 5. März 1911. Sie hatten drei in Frankfurt geborene Söhne: Siegfried Philipp (Jg. 1913), Ernst Rafael (Jg. 1921), sowie Alfred (Jg. 1915) der nur wenige Monate nach der Geburt starb.
Das Ehepaar zog zunächst in die Sternstraße 38; ab 1919 lebten sie in einer Sieben-Zimmer-Wohnung im Reuterweg 59 (heute Eppsteiner Straße 2). Das Gebäude hatten Simon und Bertha Stiefel im Jahr 1907 erworben.

 

Arthur und Frida Stiefel engagierten sich ehrenamtlich bei der Hermann Cohen Loge B’nai B’rith. Arthur war seit 1928 als Vertreter für Papier- und Schreibwaren beim Rechneiamt registriert. Er wurde Inhaber der väterlichen Firmen „Frankfurter Geschäftsbücherfabrik Simon Stiefel“, „Frankfurter Geschäftsbücherfabrik Stiefel, Grünebaum und Co." sowie gemeinsam mit seinen Söhnen Eigentümer des Geschäftshauses in der Mainzer Landstraße 87-89. Seine Erwerbstätigkeit musste er jedoch ab dem 31. Dezember 1935 aufgeben. 1938 wurde er gezwungen, seine sämtlichen Liegenschaften zu verkaufen.

 

Frida Stiefel war zu einem Sechstel Miteigentümerin der Liegenschaft im Oeder Weg 57. Auch diese Immobilie musste 1939 veräußert werden. Ende September 1939 teilte der neue Vermieter der Liegenschaft im Reuterweg 59, der Architekt Wilhelm, den Stiefels mit, dass das Gebäude als „arisch“ ausgewiesen worden sei und dass die Familie bis zum 31. Oktober ausziehen müsse. Er drohte, im Falle der Nichteinhaltung Anwälte einzuschalten. Ab Oktober 1939 wohnte die Familie nun eine Zeitlang gemeinsam mit der Schwiegermutter in der Scheffelstraße 11.

 

Die Eheleute mussten eine „Judenvermögensabgabe“ in Höhe von 5.500 RM und eine Reichsfluchtsteuer in Höhe von 7.886 RM für ihre beiden emigrierten Söhne entrichten. Ihr Vermögen unterlag einer „Sicherungsanordnung“ der Zollfahndungsstelle, die den monatlichen „Freibetrag“ auf 1.000 RM festsetzte. Das Vermögen belief sich laut Devisenakten am 7. April 1940 noch auf 38.137 M. Das Ehepaar wurde gezwungen, einen „Heimeinkaufsvertrag“ über 4.016 RM abzuschließen, mit dem ihnen vorgegaukelt wurde, den künftigen Lebensabend in einem Altersheim zu finanzieren. Frida Stiefel schrieb in einem Brief vom 28.09.1941: „Unser Schicksal ist schwer; wir leiden alle unsäglich darunter.“

 

Die Söhne Siegfried und Ernst, die inzwischen ausgewandert waren, versuchten verzweifelt, Affidavits (eidesstattliche Erklärungen) für ihre Eltern zur Einreise in die USA zu erwirken. Da ihnen die finanziellen Mittel fehlten, gelang dies jedoch nicht.

 

Die erste Deportation Frankfurter Juden nach Osten fand am 19. Oktober 1941 statt. In einem Brief vom 20. November schrieb Frida Stiefel: "Heute sind wir hier, wo wir morgen sein werden, weiß niemand." Als Deutschland im Dezember 1941 den Vereinigten Staaten den Krieg erklärte, brach die Korrespondenz mit den Söhnen ab. Ein Tag vor der Deportation konnte das Ehepaar ein paar Habseligkeiten bei Freunden - Georg und Henny Deubel - deponieren. Sie wurden im November 1945 von Ernst abgeholt.

 

Arthur und Frida wurden am 24. Mai 1942 „nach Osten“ verschleppt. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Die Deportation erfolgte von der Frankfurter Großmarkthalle.  Wahrscheinlich wurden sie in das Durchgangslager Izbica und später in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und ermordet.

 

Nach ihrer Deportation wurde ihre Wohnung versiegelt. Das Finanzamt behielt den Schlüssel. Bereits ein paar Tage später wurden alle Inhalte und Gegenstände von einem Gerichtsvollzieher versteigert.

 

Die Jüdische Gemeinde Frankfurt teilte 1946 Ernst Stiefel Folgendes mit: Arthur und Frida Stiefel wurden im Mai 1942 mit Massentransporten nach Polen Richtung Lublin deportiert und sind nicht zurückgekehrt. Mit Ihrem Ableben dürfte mit Bestimmtheit zu rechnen sein.

 

Siegfried Stiefel wurde mit 24 Jahren bei einem Bekleidungshersteller in Frankfurt am Main angestellt, aber es war für ihn absehbar, dass die jüdischen Besitzer innerhalb eines Jahres an „Arier“ verkaufen müssen und dass er dann seine Arbeitsstelle verlieren würde. Einstellungen für Juden in nichtjüdischen Unternehmen würden nicht mehr möglich sein. Aus diesem Grund erwog er, Deutschland zu verlassen.

 

Um in die USA auswandern zu können, benötigte man eine eidesstattliche Erklärung und die Unterstützung durch einen Förderer. Hierzu kontaktierte man Fridas Cousin Max Strauss, den Sohn von Fridas 1864 in die USA ausgewanderten Onkels Leopold.

 

Max leitete die Bitte an seinen Bruder Ned weiter, der eine entsprechende Erklärung abgab. Siegfried erhielt daraufhin im August 1938 sein amerikanisches Visum. Er verließ Deutschland am 20. Oktober 1938 mit einem Schiff der United States Line. Verwandte besorgten ihm Arbeit in einer Fabrik für Damenhandtaschen und ein möbliertes Zimmer in Manhattan. Sie schlugen ihm vor, er solle den Namen „Fred“ anstelle von Siegfried verwenden, und so wurde er für den Rest seines Lebens genannt. Er fand bald Freunde unter anderen aus Deutschland geflohenen jüdischen Einwanderern im „New World Club“ und in der von Ihnen gegründete Kongregation Habonim.

 

1943 lernte er die in Berlin geborene und aufgewachsene Erica Lang kennen und heiratete sie. Das Paar ließ sich im New Yorker Stadtteil Inwood nieder. Sie hatten drei Töchter: Lyn (Jg.1947), Amy (Jg.1950) und Jane (Jg.1951). 1958 zog die Familie in ein Haus in Forest Hills im New Yorker Stadtteil Queens. Von 1940 bis Anfang der 60er Jahren arbeitete Fred als Büroleiter in verschiedenen Handtaschenfabriken. In den letzten Jahren seines Lebens betätigte er sich als Buchhalter und Büroleiter in einem Betrieb für optische Instrumente.

 

Im Sommer 1968 wurde ihm Krebs diagnostiziert. Er starb am 5. August 1968 in New York, nur sechs Wochen nach der Diagnose. Heute überleben ihn zwei seiner Töchter (Amy ist 1998 verstorben), vier Enkelkinder und zehn Urenkel.

 

Ernst Stiefel besuchte bis zu seinem 15. Lebensjahr das Frankfurter Goethe-Gymnasium. Als es ab 1936 für jüdische Kinder zunehmend schwierig wurde, eine öffentliche Schule zu besuchen ging auch Ernst vom Goethe-Gymnasium ab. Er fand Arbeit als Lehrling in einem jüdischen Polstergeschäft - bis zum Jahr 1938.

 

Eine Woche nach den November-Pogromen wurde Ernst in seinem Haus festgenommen, aber am selben Tag wieder freigelassen, weil er unter 18 Jahre alt war. Nach diesem Ereignis war der Familie klar, dass er so schnell wie möglich Deutschland verlassen sollte. Zunächst aber lernte er Schildermalerei und Werbegrafik und arbeitete kurz in einem landwirtschaftlichen Betrieb, um so berufliche Fähigkeiten zu erlangen, die eine Einwanderung erleichtern könnten.

 

Im Sommer 1938 wies ihm das amerikanische Konsulat in Stuttgart aus dem begrenzten Kontingent von jährlich nur ca. 27.000 Einwanderungserlaubnissen die Wartenummer 14.261 zu. Am 2. Dezember1938 erhielt Ernst die eidesstattliche Erklärung eines Vetters von Frida Stiefel, Arthur Strauss und von dessen Frau Catherine aus Brooklyn, New York. Nachdem er die komplexen Anforderungen erfüllt hatte, erhielt er den erforderlichen deutschen Pass und am 4. April 1940 vom US-Konsulat in Stuttgart sein amerikanisches Einwanderungsvisum.

 

Weil Deutschland bereits in Belgien und die Niederlande einmarschiert war, bestand jedoch keine Möglichkeit mehr, Deutschland über den Atlantik zu verlassen. Eine vom Norddeutschen Lloyd veröffentlichte Reiseroute führte von Berlin über Lettland, Litauen, Russland, die Mandschurei, Korea, per Fähre nach Japan und dann per Schiff bis zur Westküste der USA. Mit knapper Not konnten die dazu erforderlichen Transitvisa beschafft werden. Ernst Stiefel hat Deutschland am 5.  Juli 1940 mit einem kleinen Koffer und 10 Reichsmark in der Tasche verlassen und begann seine einmonatige Reise in der ersten Gruppe, die diese Route benutzt hat. Er kam am 19. Juli 1940 in Japan an, überquerte den Pazifik mit dem Schiff „Hikawa Maru“ von Yokohama nach Vancouver, Kanada, und ging schließlich am 3. August 1940 in Seattle, USA, an Land.

 

Ernst kam als mittelloser 19-jähriger Jugendlicher nach Seattle, ohne die Möglichkeit zu haben, sich seinem Bruder Siegfried in New York anzuschließen. Er wurde von der jüdischen Gemeinde in Seattle unterstützt, fand Arbeit und machte Seattle zu seinem Zuhause. Er diente von 1943 bis 1946 in der US Army/Airforce und kehrte während des Krieges als Geheimdienstoffizier nach Europa zurück.

 

1943 wurde er US-amerikanischer Staatsbürger und änderte offiziell seinen Vornamen in Ernest. 1949 schloss er sein Studium der Betriebswirtschaft an der University of Washington mit „magna cum laude“ ab und wurde Wirtschaftsprüfer (CPA), nachdem er die Prüfung mit der höchsten Punktzahl des Bundesstaates bestanden hatte. Ernest (für seine Freunde „Ernie“) war bis zu seiner Pensionierung 1986 im öffentlichen Rechnungswesen.

 

Er widmete sich freiwilligen Aktivitäten in der jüdischen und öffentlichen Gemeinde in Seattle und war in leitender Funktion in den Vorständen zahlreicher Organisationen tätig, darunter die Kongregationen Beth Shalom, Herzl und Ner Tamid, die Jüdische Föderation von Greater Seattle, Hillel an der Universität von Washington, die Puget Sound Association von Phi Beta Kappa, United Way of King County, Musik der Erinnerung und die Washington State Jewish Historical Society.

 

Ernest und Doris Stiefel (geborene Pintus) trafen sich in Seattle und heirateten am 23. Dezember 1950. Sie hatten zwei Söhne und eine Tochter, David Arthur, Mark Jonathan und Sharon Beth, sowie sechs Enkel und bis heute zwei Urenkel.

 

Ernest starb am 18. Oktober 2010 in Seattle im Alter von 89 Jahren.

 

Die Stolpersteine wurden initiiert von Rafael Strauss Larralde aus Bad Homburg, einem Urenkel von Amalie Strauss, und finanziert von Hans‑Edmund und Ute Forst, Helmut Sinn und Claudia Bessler.

 

Frieda Stiefel
Frieda Stiefel © Privat, Rafael Strauss Larralde

 

Arthur Stiefel
Arthur Stiefel © Privat, Rafael Strauss Larralde

 

Siegfried Stiefel
Siegfried Stiefel © Privat, Rafael Strauss Larralde

 

Ernst Stiefel
Ernst Stiefel © Privat, Rafael Strauss Larralde

 

Das Haus Reuterweg 59 vor dem Krieg ...
Das Haus Reuterweg 59 vor dem Krieg ... © Privat, Rafael Strauss Larralde

 

... und nach der Kriegszerstörung
... und nach der Kriegszerstörung © Privat, Rafael Strauss Larralde

 

Reisepass von Ernst Stiefel
Reisepass von Ernst Stiefel © Privat, Rafael Strauss Larralde

 

Reisepass von Ernst Stiefel
Reisepass von Ernst Stiefel © Privat, Rafael Strauss Larralde

 

 

Frida Stiefel, geb. Strauss
Geburtsdatum:
16.6.1889 
Deportation:
24.5.1942 Izbica/Sobibor 
Todesdatum:
unbekannt 

 

Arthur Stiefel 
Geburtsdatum: 23.10.1879 
Deportation:
24.5.1942 Izbica/Sobibor 
Todesdatum: unbekannt  

 

Siegfried Philipp Stiefel 
Geburtsdatum:  10.10.1913
Flucht:
20.10.1938 USA

 

Ernst Rafael Stiefel 
Geburtsdatum: 17.6.1921 
Flucht:  5.7.1940 USA 

 

 

Stolperstein Eppsteiner Straße 2, Stiefel, Frida
Stolperstein Eppsteiner Straße 2, Stiefel, Frida © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

 

Stolperstein Eppsteiner Straße 2, Stiefel, Arthur
Stolperstein Eppsteiner Straße 2, Stiefel, Arthur © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

 

Stolperstein Eppsteiner Straße 2, Stiefel, Siegfried Philipp
Stolperstein Eppsteiner Straße 2, Stiefel, Siegfried Philipp © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

 

Stolperstein Eppsteiner Straße 2, Stiefel, Ernst Rafael
Stolperstein Eppsteiner Straße 2, Stiefel, Ernst Rafael © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

 

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