Hirsch, Sigmund, Betty und Gerhard, sowie Oppenheimer, Elli und Kurt
Hirsch, Sigmund, Betty und Gerhard, sowie Oppenheimer, Elli und Kurt
Sigmund Hirsch wurde in Speyer als Sohn von Elias Hirsch (1836-1891) und Regina Hirsch, geb. Bohrmann (1853-1890) geboren. Der Vater stammte aus einer alteingesessenen Kaufmannsfamilie von Getreide- und Fruchthändlern in Speyer. Sigmund Hirsch hatte acht Geschwister und Halbgeschwister, sein Vater hatte in zwei Ehen insgesamt neun Kinder. Von diesen Geschwistern wanderten sechs vor 1933 nach Schweden aus, entweder durch Heirat oder aus beruflichen Gründen.
Sigmund Hirsch besuchte die Volksschule und danach drei Jahre das Realgymnasium. Nach dem Tod der Eltern wurde er von seiner Halbschwester Emma und deren aus Mainz stammenden Ehemann Adolf Lion, die in Schweden geheiratet hatten, aufgenommen. Er zog im April 1892 nach Schweden und wurde Lehrling im Weinhandel von Adolf Lion, später Handelsvertreter für „Adolf Lions Weinhandel“ und 1906 Teilhaber. 1909 zog er wieder nach Frankfurt und gründete mit seinem am 24.Juni 1876 geborenen Bruder Ludwig Hirsch eine Großhandlung für Weinexport in die skandinavischen Länder. Später betrieb er die Firma allein.
1912 heiratete Sigmund Hirsch Betty, geb. Falkenstein,
die Tochter von Karl Falkenstein und Lea Falkenstein, geb. Herrmann. Sie
stammte aus einer alten Frankfurter Familie und hatte eine ältere Schwester Alice.
Karl Falkenstein war Uhrmacher und Teilhaber einer Uhrenfirma „Sigmund Stern
& Co.“. Betty wurde von ihren Verwandten als eine kluge und liebenswerte
junge Frau, aber auch als ängstliche Person, geschildert. Sie hatten zwei
Kinder, Elli und Gerhard.
Sigmund Hirsch erweiterte seine Geschäfte um eine
Likörfabrik und später eine Exportfirma für Farben und Lacke. Betty Hirsch
hatte eine kaufmännische Ausbildung gemacht und war Prokuristin der
Weinhandlung „Gebrüder Hirsch“. Die Boykottaufrufe der Nationalsozialisten
„Arier kaufen nicht von Juden“ bekam der Großhandelsbetrieb stark zu spüren. Sigmund
plante die Flucht aber Betty wollte Frankfurt nicht verlassen und ihre Eltern
nicht alleine zurücklassen. Sie fühlte sich von Sigmunds Fluchtplänen sehr
bedrängt und kämpfte mit Depressionen. 1933 geriet sie in Panik, wusste keinen
Ausweg und nahm sich das Leben.
Der Sohn Gerhard hatte gerade das 6-jährige Realgymnasium, die Wöhlerschule, beendet. Nach dem tragischen Tod seiner Frau schickte Sigmund Hirsch den 14-jährigen Sohn zu seiner Schwester, Hermine Hirsch, die damals in Schweden lebte. Gerhard Hirsch fand einen Ausbildungsplatz in einem Metallbetrieb in Stockholm, wo er später in der Buchhaltung beschäftigt wurde. Er studierte Sprachen, war sehr musikinteressiert, spielte Geige und war Mitglied in einem jüdischen Orchester.
Elli Hirsch besuchte zehn Klassen der Steimers Mädchenschule und anschließend die Städtische Höhere Handelsschule, machte eine kaufmännische Lehre bei der Firma Manko AG in der Elefantengasse. Nach dem Tod ihrer Mutter musste sie deren Aufgaben übernehmen, sowohl im Haushalt wie im Farb- und Lack-Betrieb des Vaters. Über ihren Onkel Ludwig Hirsch, der neben dem Weinhandel auch eine Getreidefirma betrieb, lernte Elli Hirsch Kurt Oppenheimer kennen, den Sohn von Simon Oppenheimer und Cornelie Oppenheimer, geb. Stadecker. Simon Oppenheimer fiel zu Beginn des Ersten Weltkrieges. 1920 heiratete Cornelie Oppenheimer ein zweites Mal, den kriegsinvaliden Getreidehändler Leopold Werthan.
Elli und Kurt Oppenheimer heirateten im Mai 1937 in der Westendsynagoge. Die Trauung hielt Rabbiner Georg Salzberger. Bruder Gerhard Hirsch hatte kurz vor der Hochzeit aus Schweden an seine Schwester geschrieben: „…als ich diese Zeilen schreibe, sehe ich vor meinen Augen unsere ganze vergangene Zeit wie im Film: Unser Zuhause, unsere gemeinsame Schulzeit, Konfirmation, Barmitzwa, deinen Besuch in Stockholm, meine Zeit in diesem Land und vor allem unsere geliebte Mutter, die diesen Tag nicht erleben durfte.“
Nach der Hochzeit zog Kurt Oppenheimer zu seiner Frau in die Bockenheimer Landstraße 107. Er reiste mit seinem Schwiegervater Sigmund Hirsch nach Holland – der letzte, jedoch missglückte Versuch, Kunden für den Weinhandel zu finden. Kurt Oppenheimer nahm die Gelegenheit wahr und suchte in Rotterdam für seine Frau und sich eine Bleibe. Sie trafen Ellis Onkel Ludwig Hirsch und seine Frau Lotty Hirsch, die schon 1935 aus Deutschland geflohen waren. Zurück in Frankfurt wurde Sigmund Hirsch 1937 gezwungen, die beiden Firmen für Weinhandel und Farbexport sowie die Immobilie Bockenheimer Landstraße 107 zu verkaufen. Der Erlös wurde beschlagnahmt. Kurt Oppenheimer kümmerte sich um die Auflösung der Firmen, da Sigmund sich völlig überfordert sah.
Sigmund Hirsch gelang es, 1937, nach Schweden zu flüchten. Verwandte und Freunde unterstützten ihn. Er fand eine Anstellung als Handelsreisender für Farben. Ab 1939 konnte er mit seinem Sohn Gerhard zusammenleben. Später gründete er einen Farbenhandel. Zur Sicherung des Aufenthaltsstatus mussten die Verwandten immer wieder seine Unbescholtenheit bezeugen.
Kurt Oppenheimer galt zunächst als „privilegierter Jude“, da der Vater und Stiefvater kriegsdekoriert waren. Diese „Privilegien“ endeten 1937. Seine Gewerbezulassung wurde ihm entzogen, er musste die Firma liquidieren. Kurt und Elli Oppenheimer verloren die Lebensgrundlage und flüchteten nach Holland. Der Versuch, ebenfalls in Schweden Fuß zu fassen, scheiterte; sie mussten nach Holland zurück. In Rotterdam gründete Kurt eine kleine Firma für Farben und Lacke; Elli verdiente durch Strickarbeiten hinzu. Es gelang ihnen, Kurts Mutter Cornelie Werthan nach Rotterdam zu holen. Als die deutsche Wehrmacht 1940 die Niederlande überfiel, zogen alle drei, um den Razzien der Nationalsozialisten zu entgehen, aufs Land außerhalb von Utrecht. Kurt musste die kleine Firma auflösen, die Wohnung aufgeben, die Möbel wurden von den Besatzern beschlagnahmt. Versuche, nach Schweden, USA, Ecuador oder Venezuela zu flüchten, scheiterten. Im Oktober 1942 mussten Kurt und Elli untertauchen. Sie lebten bei Nachbarn, versteckt in einem Speicherraum. Die Mutter wurde anderswo versteckt. Über Freunde des holländischen Widerstandes wurde illegal das Essen gesichert, das allerdings aus den wenigen Ersparnissen teuer bezahlt werden musste.
1943 gelang dann doch noch die Flucht nach Schweden. Vater Sigmund hatte mit Hilfe der Verwandten erreicht, dass nicht nur er, sondern auch seine Kinder Elli und Gerhard und sein Schwiegersohn Kurt eingebürgert wurden. So konnten Pässe ausgestellt werden. Voraussetzung für die Ausreise war die Angabe einer offiziellen Adresse. Sie zu beschaffen gelang durch Bestechung eines Gestapo-Mannes namens Konrad. Dieser ließ sich seinen Dienst mit einem Perserteppich bezahlen. Damit waren die Ersparnisse von Kurt und Elli fast aufgebraucht. Es folgte eine nervenaufreibende Reise durch Deutschland nach Berlin zur schwedischen Botschaft, um die Pässe in Empfang zu nehmen.
Im August 1943 kamen Kurt und Elli Oppenheimer mittellos, physisch und psychisch sehr geschwächt, in Stockholm an, waren aber gerettet. Kurt fand eine Anstellung in der Farben-Firma seines Schwiegervaters Sigmund. Nach dem Krieg konnte Kurt seine Mutter Cornelie Werthan aus Holland nach Schweden bringen. 1953 wurde anlässlich des 75. Geburtstages Sigmund Hirschs der „Sigmund und Betty Hirsch Fond“ ins Leben gerufen, der das jüdische Altersheim in Stockholm finanziell unterstützte.
Kurt Oppenheimer betrieb fast zwei Jahrzehnte lang die Wiedergutmachungsverfahren unter oft zermürbenden und demütigenden Umständen. Er erstritt zugunsten seines Schwiegervaters einige Jahre vor dessen Tod im Juni 1964 eine Rente von 700 DM. Im Streit um die Immobilie Bockenheimer Landstraße 107 einigte man sich auf einen Vergleich.
Gerhard Hirsch, der Sohn von Sigmund Hirsch, wurde in
Schweden erfolgreicher Chemie-Kaufmann in der Firma seines Onkels. Er bekam
1943 gleichzeitig mit seiner Schwester die schwedische Staatsangehörigkeit. Im
selben Jahr heiratete er Lily Ullmann, die mit ihrer Familie 1938/39 gezwungen
worden war, ihre Heimatstadt Prag zu verlassen. 1947 wurde die Tochter Monica
geboren. Pflege und Ausübung der jüdischen Religion waren Gerhard Hirsch
wichtig. Er unterstützte, auch finanziell, die Jugendarbeit jüdischer Vereine.
Er wanderte 1970 in die Schweiz aus, wo er 2008 starb. Wunschgemäß wurde er in
Schweden beerdigt.
Die
Stolpersteine wurden von Angelika Rieber, Mona Wikhäll und Bertil Oppenheimer, Sohn
von Kurt Oppenheimer und Enkel von Cornelie Werthan initiiert und von Helene
Belka-Schütz, Tobias Krause, Karl
Pfaff und Junghwa Lee-Pfaff, Mona
Wikhäll und vom Schwedischer Kirchenverein in Frankfurt finanziert.
Literatur: Oppenheimer,
Bertil, Till Sverige – Historien som aldrig blev berättad, Stockholm, 2.
Auflage 2016 (Nach Schweden - Die Geschichte, die nie erzählt wurde).
Betty Hirsch, geb. Falkenstein |
|
Geburtsdatum: | 26.12.1888 |
Suizid: | 4.10.1933 |
Sigmund Hirsch |
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Geburtsdatum: | 20.2.1878 |
Flucht: | 1937 Holland, 1943 Schweden |
Gerhard Hirsch |
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Geburtsdatum: | 28.6.1918 |
Flucht: | 1933 Schweden |
Elli Oppenheimer, geb. Hirsch |
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Geburtsdatum: | 1.12.1913 |
Flucht: | 1937 Holland, 1943 Schweden |
Kurt Oppenheimer |
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Geburtsdatum: | 21.10.1910 |
Flucht: | 1937 Holland, 1943 Schweden |