Laengsdorff, Julia Virginia und Richard
Julia Virginia Laengsdorff und Richard Laengsdorff wurden in Frankfurt geboren. Ihre Eltern waren der Gerichtsrat Wilhelm Scheuermann (1842-1911) und Ida Helene Wilhelmine Louise, geb. Bromm (1853-1927), seine Eltern waren der Kaufmann Albert Laengsdorff (1836-1879) und dessen Ehefrau Paulina Gida, geb. Trier (1845-1894).
Julia Virginia studierte in Kassel, München und Berlin Malerei und Bildhauerei und avancierte zu einer gefragten Porträtistin. Sie war Lyrikerin und Malerin, Übersetzerin und Autorin zum Thema Frauenliteratur. Ab 1898 gehörte sie zu den Autorinnen des Verlages Schuster & Löffler in Berlin. Unter ihrem Künstlernamen Julia Virginia publizierte sie eigene Gedichte, übersetzte u. a. Werke des ukrainischen Dichters Taras Schewtschenko, edierte die Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff und veröffentlichte eine damals viel beachtete Anthologie über zeitgenössische deutsche Frauenlyrik. Sie war Mitglied im Berliner Frauenclub von 1900 e.V. Zu ihrem Freundeskreis zählten Richard Dehmel, Detlev von Liliencron, Paul Heyse, Wilhelm von Scholz und Josephine Levy-Rathenau.
Sie schuf Büsten und Reliefs von Schriftstellern wie Ludwig Fulda und Hermann Sudermann. 1903/04 wurde sie in München von Franz von Lenbach (1836-1904) mehrfach porträtiert, u.a. entstand ein Halbakt von ihr, der sie als Nymphe mit Weinranken im Haar und einem Fuchsfell zeigt. In Frankfurt schrieb sie Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften, darunter einen zweiteiligen Artikel „Ffm. und seine Frauen” für die „Frauen-Rundschau”. Frühere schriftstellerische Werke waren Gedichtbände wie „Primitien” (1903), „Sturm und Stern” (1905, Neuausgabe 2017) und „Das bunte Band” (1913).
1912 zog sie nach Paris und heiratete den Bankier Eugen Fuld/Eugène Fould (1852-1920). Nach dessen Tod kehrte sie in ihre Heimatstadt zurück und heiratete am 15. Februar 1922 Richard Laengsdorff. Das Ehepaar lebte mindestens ab 1924 in der Leerbachstraße 71. Dieses Haus und ein anderes in der Klingerstraße 25 hatte Julia Virginia 1921 gekauft. Richard Laengsdorff war ein Weltenbummler, der in den 1920er Jahren in Frankfurt im Verlagswesen tätig war, 1911 den Kaukasus bereist, 1914 Amerika besucht und am Ersten Weltkrieg als Offizier teilgenommen hatte. Er war evangelisch und galt im Nationalsozialismus wegen seiner jüdischen Herkunft als Jude.
Julia Virginia Laengsdorff verfasste eine Reihe von Künstlerporträts („Stimmungsbilder aus dem Leben großer Künstler”, um 1928), sowie Beiträge für Zeitschriften („Neue Frauenkleidung und Frauenkultur”, „Die Droste und die Frauenfrage” 1926 oder „Ffter Frauenköpfe” um 1935-37). 1932 wurde sie Schriftführerin der Frankfurter Sektion der Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen aller Kunstgattungen (GEDOK). Vorsitzende der GEDOK von 1935 bis 1945 war Alice Regent (gestorben 1971). Die Ehepaare Regent und Laengsdorff haben sich des Öfteren getroffen bei festlichen Gelegenheiten oder einfach so zum Plaudern. Am 14. November 1936 findet sich im Gästebuch der Regents der letzte Eintrag der Laengsdorffs.
1936 traten die Laengsdorffs in die Schopenhauer Gesellschaft ein, in deren Jahrbuch sich auch Beiträge von Richard Laengsdorff finden. Die letzten Beiträge im Schopenhauer Jahrbuch von Julia und Richard Laengsdorff erschienen 1937. Der letzte Beitrag von Julia Laengdorff mit dem Titel „Eine Frankfurterin in Surinan“ erschien 1937 in der Frankfurter Zeitung. Ab 1938 wird es still um die beiden. Ob auch Julia Laengsdorff wegen der Ehe mit einem „Juden“ Schreibverbot erhielt, ist nicht belegt.
Richard Laengsdorff war bis 1937 in der Auslandskorrespondenzabteilung der Firma Lurgi in Frankfurt tätig. Von der Firma erhielt er ab 1938 ein Ruhestandsgehalt von 6.498 RM, das nach seiner Flucht auf Julia Virginia überging. Ab 1938 musste er auch den Vornamen „Israel“ tragen. Er plante die Auswanderung. Da Julia Virginia nicht mit auswandern wollte, machten die zuständigen Behörden Schwierigkeiten, weil sie dies nicht glaubten. Julia Virginia musste als Sicherheitsleistung für eine von ihrem Mann zu zahlende Reichsfluchtsteuer eine Hypothek auf das Haus Klingerstraße 25 aufnehmen.
Im April 1940 konstatierte die Behörde, dass Richard Laengsdorff Ende des Monats in die Schweiz auswandere. Tatsächlich verließ er am 23. April 1940 Deutschland und reiste nach Luxemburg. Dort musste er sich der Fürsorge der ESRA (Centrale israelite de prévoyance sociale) anheimstellen. Später reiste er weiter nach Paris.
Julia Virginia wurde 1940 krank. In Anlagen zu ihrer Steuererklärung ist von einer „Knochenerweichung“ und einer „Kalkmangelerkrankung“ die Rede. Arztbesuche und Klinikaufenthalte häufen sich. In der Sterbeurkunde ist als Todesursache „Wirbelknochenerkrankung, Blutarmut“ eingetragen.
Die Stolpersteine wurden initiiert von Axel Kiltz, Mainz, ein Großneffe von Alice Regent, und von ihm und der Firma abresa GmbH in Schwalbach finanziert.
Julia Virginia Laengsdorff, geb. Scheuermann, verw. Fuld | |
Geburtsdatum: | 1.4.1878 |
Todesdatum: | 23.4.1942 |
Richard Laengsdorff | |
Geburtsdatum: | 26.5.1877 |
Deportation: | 10.11.1938-15.12.1938 Buchenwald |
Flucht: | 23.4.1940 Luxemburg, Paris |
Todesdatum: | 16.4.1941 |