Neumann, Paul, Elisabeth, Annemarie, Gertrud, Helene und Richard
Paul Neumann wurde in Mannheim als erstes von drei Kindern der Eheleute Jacob und Nanny Neumann, geb. Hirschhorn, geboren. Sein Bruder war der Kunsthistoriker Carl Neumann (1860-1934), der am Ende seines Lebens bei Paul Neumann in Frankfurt wohnte. Seine Schwester Anna (Jg. 1864) heiratete Leopold Steinthal, Direktor des Berliner Maklervereins, und hatte mit ihm fünf Kinder. Justizrat Paul Neumann war promovierter Jurist, Rechtsanwalt und Notar und betrieb seine Kanzlei in der Bockenheimer Anlage 50.
Paul Neumann stellte seine juristische Kompetenz ehrenamtlich seit 1891 dem Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt/Main zur Verfügung, war bis 1905 Vorsitzender seiner Sektion Jurisprudenz und leitete 1909 sogar den akademischen Gesamtausschuss. Zahlreiche Vorträge und Publikationen ergänzten seine Tätigkeit dort. 1935 endete seine Mitgliedschaft, wohl wegen seiner jüdischen Wurzeln.
Helene Dondorf wurde als Tochter des Frankfurter Druckereibesitzers Carl Dondorf und seiner aus Amsterdam stammenden Frau Alice in Frankfurt geboren und hatte die drei jüngeren Schwestern Olga, Clara und Marie. Ob sie eine Berufsausbildung hatte, ist nicht bekannt.
Am 16. Februar 1899 heirateten Paul Neumann und Helene Dondorf. 1907 ließen sie sich in der Deutschen evangelisch-reformierten Gemeinde taufen. In kurzer Zeit kamen ihre drei älteren Kinder Elisabeth, Richard und Annemarie (Annemie) zur Welt. Die Familie lebte in der Mendelssohnstraße 81, bis sie 1902 ins eigene Haus im Grüneburgweg 103 zog. Dort wurde die jüngste Tochter Gertrud (Gega oder Gekchen) geboren.
Die Neumanns mussten in der NS-Zeit unter staatlichem Zwang ihr Haus im Grüneburgweg 103 verkaufen. Paul und Helene Neumann zogen in die evangelische Diakonissenanstalt Bethesda in der Körnerwiese 6, ein Alten- und Pflegeheim. Sie mussten wieder ausziehen, als das NS-Regime drohte, der Einrichtung den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen. Sie zogen im November 1938 in die Pension Hirschfeld in der Myliusstraße 40. Dort starb Paul Neumann. Er wurde im Familiengrab der Familie Carl Dondorf auf dem Frankfurter Hauptfriedhof begraben (Gewann III, Gartengrab Nr. 24). Im September 1941 musste die Pension des jüdischen Eigentümers Otto Hirschfeld zugunsten eines Kindergartens der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt aufgegeben werden. Erneut musste Helene Neumann umziehen, dieses Mal in ein sogenanntes Judenhaus in der Beethovenstrasse 21, in dem antisemitisch Verfolgte vor ihrer Verschleppung leben mussten, wahrscheinlich zusammen mit ihren beiden noch in Frankfurt verbliebenen Kindern Elisabeth und Richard. Von hier wurden Helene und Richard Neumann deportiert und ermordet. Anna Steinthal wurde am 25. November 1942 von Madgeburg nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 28. Januar 1943.
Elisabeth Neumann wurde in Frankfurt geboren, am 6. September 1900 getauft und 1916 konfirmiert. Sie lernte zunächst Kindergärtnerin im Seminar in Frankfurt. Dort lernte sie ihre lebenslange Freundin Anna Wolf aus Schlüchtern kennen, die später den reformierten Pfarrer Alfred de Quervain heiratete, außerdem Margarethe Johanning aus Detmold, die später ihre Kollegin und Lebensgefährtin wurde. Elisabeth wurde Krankenschwester und war ab 1925 Gemeindeschwester in der Deutschen evangelisch-reformierten Gemeinde Frankfurt. 1926 kam Margarethe Johanning als Gemeindeschwester dazu. Als die Pflegegesetze der Nationalsozialisten in Kraft traten, durfte Elisabeth Neumann zunächst weiterarbeiten. Gemeindepfarrer Erich Meyer sorgte jedoch im Oktober 1939 dafür, dass die Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums widerrufen wurde. Sie arbeitete zunächst ehrenamtlich in der Gemeinde weiter und durfte zuerst noch in der Dienstwohnung mit Schwester Margarethe wohnen bleiben, Ende Dezember 1939 war sie bei ihren Eltern gemeldet. Ab 12. Mai 1941 wurde sie zur Zwangsarbeit in der Druckerei Osterrieth herangezogen. Am 19. Oktober 1941 sollte sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Lodz/Litzmannstadt deportiert werden, sie stand bereits in der Liste des dortigen Gettos.
Möglicherweise hat der Chef der Firma Osterrieth sie vor der Deportation bewahrt.
Erst nachdem sie im Januar 1942 den Tod ihrer Mutter und ihres Bruders annehmen musste, erlaubte sie sich den Gedanken an die Flucht. Alfred de Quervain, schweizerischer Ehemann der Freundin Anna Wolf, der in den 1920er Jahren Pfarrer in Frankfurt gewesen und später in die Schweiz zurückgekehrt war, hatte für sie gebürgt und ihr zwei Einreisebewilligungen für die Schweiz organisiert. Elisabeth Neumann konnte jedoch Deutschland nicht mehr legal verlassen. Neben ihrer Freundin Lilli Simon, geboren 1913, muss es weitere Fluchthelfer gegeben haben, die ihr einen Fluchtweg über die grüne Grenze in die Schweiz vorbereitet hatten.
Elisabeth Neumann verließ Frankfurt am 22. Mai 1942 und kam am 23. Mai in Rafz in der Schweiz an, wo sie von Schweizer Zöllnern angehalten wurde, die sie sogar für eine Nacht beherbergten. Der Aufenthalt in der Schweiz wurde ihr bewilligt, eine Arbeitsgenehmigung erhielt sie jedoch nicht. Sie lebte dann bei Alfred und Anna de Quervain in Laufen, kümmerte sich um die Kinder der Familie und war ehrenamtlich in der Kirchengemeinde tätig. Johanna, 1940 geboren, wurde sozusagen ihr Pflegekind, ihr war sie die ältere Schwester Elisabeth. Die enge Beziehung zwischen Elisabeth Neumann und dem Ehepaar de Quervain begann schon im Kindergärtnerinnenseminar in Frankfurt, wo Elisabeth Neumann ihre lebenslangen Freundin Anna Wolf kennenlernte. Diese hatte später den Pfarrer der reformierten Gemeinde Frankfurt, Alfred de Quervain, geheiratet.
Nachdem ihre Frankfurter Gemeinde sie im August 1945 gebeten hatte zurückzukehren, reiste sie im Frühjahr 1946 nach Frankfurt. Nach ihrer Rückkehr sagte Elisabeth Neumann später: "Vielleicht konnte es mancher nicht verstehen, dass ich in das Land zurückkehrte, das so viel Leid über unzählige Menschenbrüder gebracht hatte. ... Meine Schwestern sind nicht heimgekehrt - aber ich musste es einfach versuchen, mich mit meiner Heimat und ihren Menschen, mit meiner lieben Gemeinde, unter Gottes Vergebung zu stellen."
Elisabeth Neumann wohnte wieder mit ihrer Freundin Margarethe Johanning und war bis 1963 wieder als Gemeindeschwester tätig. Danach lebten die beiden Frauen in der Wolfsgangstraße zusammen. 1985 verschlechterte sich Elisabeth Neumanns Gesundheitszustand; sie zog um ins Altersheim der evangelisch-reformierten Gemeinde in der Seilerstraße. Dort bekam sie fast wöchentlich Besuch von Johanna Beyer-de Quervain. Elisabeth Neumann und starb im August 1988. Auch sie wurde im Familiengrab der Familie Carl Dondorf auf dem Hauptfriedhof bestattet.
Richard Neumann wohnte bis 1935 bei seinen Eltern im Grüneburgweg. In der Deportationsliste ist Kaufmann als sein Beruf angegeben. Annemarie Neumanns Beruf war laut der Passagierliste einer 1934 erfolgten Reise nach England Fürsorgerin. Bei der Annulierung ihrer deutschen Staatsbürgerschaft 1941 steht als Beruf: Sozialbeamtin. Am 2. Dezember 1936 bestieg sie in Hamburg das Schiff „Washington“ mit einem Visum für die USA. Sie kam am 10. Dezember 1936 in New York an und lebte dann in einer Quäkersiedlung im Bundesstaat Pennsylvania. Sie starb am 10. Januar 1990 in Miami.
Gertrud Neumann war schon früh überzeugte Zionistin. Sie machte zunächst eine gärtnerische Ausbildung im Frankfurter Palmengarten und in Balduinstein an der Lahn, arbeitete als Gärtnergehilfin in Bad Pyrmont, Frankfurt und am Tegernsee in Bayern. Sie studierte dann Gartenbau an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin und promovierte über Wurzelpilze am Enzian. Ihre Dissertation wurde 1934 in Jena veröffentlicht. Gertrud Neumann flüchtete 1933 nach Palästina, wohl gegen den Willen ihrer Familie. Sie lebte in Jerusalem und arbeitete wahrscheinlich zeitweise im Botanischen Garten am Mount Scopus. Sie heiratete 1947 den in Magdeburg geborenen 23 Jahre älteren promovierten Rechtsanwalt Walter Graetzer. 1948 erklärte Gertrud Graetzer wie auch ihre noch lebenden Geschwister Elisabeth und Annemarie Neumann den Verzicht auf Rückerstattung des Hauses Grüneburgweg 103, wobei sie mit Dr. Gert Graetzer unterschrieb. Walter Graetzer starb 1954, Gertrud Graetzer am 22. November 1994.
Wenige Familien waren dem Cäcilienverein so verbunden wie die Familie Neumann. Bis auf die Jüngste, Gertrud, haben alle zumindest zeitweise im Cäcilienverein gesungen. Paul Neumann sang bereits seit 1890 im Bass und war mindestens zwei Jahrzehnte lang im Vorstand des Cäcilienvereins. Für sein Engagement erhielt er beim 100-jährigen Jubiläum 1918 den Orden Roter Adler, dem heutigen Bundesverdienstkreuz vergleichbar, und wurde 1923 zum Ehrenmitglied des Chores ernannt.
Alfred de Quervain, der in den 1920er Jahren ebenfalls im Cäcilienverein sang, erinnert sich: „In den Proben des Cäcilienvereins saß ich neben ihrem [Elisabeth Neumanns] Vater, dem Justizrat Neumann. Er war nicht nur ein sehr sicherer Sänger, sondern ein Mann von gutem musikalischem Geschmack und wirklichem Verständnis. So war für mich erquickend, in den Hauptproben sein Urteil über das rechte Verständnis dessen, was gesungen wurde, zu hören.“ Helene Neumann sang seit 1903 im Chor und war noch 1925 passives, d.h. förderndes Mitglied. Vermutlich sang auch Elisabeth Neumann im Chor sang, sie erzählte, wie sie unter dem berühmten niederländischen Dirigenten Willem Mengelberg gesungen hatte, dem Leiter des Cäcilienvereins von 1909 bis 1920. Richard und Annemarie Neumann sind in den erhalten gebliebenen Mitgliederlisten von 1925 als aktive Mitglieder verzeichnet. Unter Willem Mengelberg kam es zu bedeutenden Aufführungen der Bachschen Passionen, Beethovens Missa Solemnis und neuerer Werke wie der 2. und 8. Symphonie Gustav Mahlers. Zwei Monate nach der Machtergreifung erhielten alle jüdisch-stämmigen Mitglieder des Cäcilienvereins ein Auftrittsverbot, so auch Paul Neumann nach 43 Jahren Mitgliedschaft im Chor.
Die Stolpersteine wurden vom Cäcilienchor Frankfurt initiiert und finanziert. Die Stolpersteine für Helene und Richard wurden bereits im Jahr 2006 verlegt. Beide Steine wurden erneuert, da sie stark beschädigt waren.
Helene Neumann, geb. Dondorf | |
Geburtsdatum: | 3.7.1876 |
Deportation: | 19.10.1941 Lodz/Litzmannstadt |
Todesdatum: | 22.1.1942 |
Richard Neumann | |
Geburtsdatum: | 28.6.1901 |
Deportation: | 19.10.1941 Lodz/Litzmannstadt |
Todesdatum: | 14.1.1942 |
Paul Neumann | |
Geburtsdatum: | 19.5.1858 |
Todesdatum: | 16.1.1941 |
Elisabeth Neumann | |
Geburtsdatum: | 29.4.1900 |
Flucht: | Mai 1942 Schweiz |
Annemarie Neumann | |
Geburtsdatum: | 6.8.1902 |
Flucht: | 1936 USA |
Gertrud Neumann | |
Geburtsdatum: | 2.3.1905 |
Flucht: | 1933 Palästina |