Ehrlich, Hedwig

Ehrlich, Hedwig

Stolperstein-Biographien im Westend

Ehrlich, Hedwig

Hedwig Ehrlich, 1908
Hedwig Ehrlich, 1908 © Paul-Ehrlich-Institut, Frankfurt a.M., Foto: keine Angabe

Hedwig Ehrlich wurde als Tochter von Joseph Pinkus (1829-1909) und Auguste, geb. Fränkel (1838–1919), in Neustadt/Oberschlesien (heute Prudnik/Polen) geboren. Sie hatte einen Bruder, Max Pinkus (1857–1934). Ihr Vater, Königlicher Geheimkommerzienrat, war Leinenfabrikant und Teilhaber des Textilunternehmens „S. Fränkel“.

 

Sie heiratete am 14. August 1883 in der Synagoge von Neustadt Paul Ehrlich (1854–1915). Die beiden hatten sich bei Rosalie Pinkus, einer Tante von Hedwig, in Berlin kennengelernt. Dort widmete sich Professor Paul Ehrlich bereits seinen medizinischen Forschungen an der Charité. Nach Hedwigs Umzug nach Berlin bezog das Paar zunächst eine Wohnung am Kronprinzenufer 4 (heute Lützowstraße 88). Ihre Kinder Stefanie (1884-1966) und Marianne (1886–1963) wurden in Berlin geboren.

 

Im Juli 1899 zog die Familie nach Frankfurt a.M. Dort war Paul Ehrlich fortan Direktor des Königlich Preußischen Instituts für Experimentelle Therapie (heute Paul-Ehrlich-Institut). Die finanziellen Mittel von Hedwigs Vater ermöglichten den Kauf des repräsentativen Hauses in der Westendstraße 62 für 50.000 Mark.

 

In den folgenden Jahren nahm Hedwig aktiv Anteil an Pauls wissenschaftlicher Karriere, mit der er Weltruhm erlangte. 1908 wurde ihm in Stockholm der Nobelpreis für Medizin als Anerkennung seiner Arbeit über die Immunität verliehen. Paul Ehrlich starb am 20. August 1915 und wurde auf dem Alten Jüdischen Friedhof an der Rat-Beil-Straße in Frankfurt a. M. beigesetzt.

 

Hedwig Ehrlich wohnte weiterhin in ihrem Haus im Westend. Ende 1938 sah sie sich jedoch gezwungen, aus Deutschland zu fliehen. Im Februar 1939 erhielt sie eine Einreisegenehmigung für die Schweiz. Mit ihrer Tochter Stefanie Schwerin, geb. Ehrlich, ihrem Schwiegersohn Ernst (1869–1946) und dem älteren ihrer beiden Enkelsöhne, Hans Wolfgang (1906–1987) traf sie in Genf zusammen, wo sie im Hotel La Résidence wohnte.

 

Die Nationalsozialisten zwangen Hedwig Ehrlich zu hohen Ausgaben, etwa eine Judenvermögensabgabe in Höhe von 93.313,75 RM und eine Reichsfluchtsteuer in Höhe von 53.969,68 RM. Im September 1939 wurde das Haus in der Westendstraße 62 verkauft. Der Kaufpreis betrug 25.000 RM. Den erzwungenen Hausverkauf schilderte sie in einem Brief an den nach London emigrierten jüdischen Bankdirektor Direktor Hugo Hieronymus Haas (1883–1965), den sie am 7. Oktober 1939 aus ihrem Genfer Exil schrieb: „Man hat unlängst festgestellt, dass Frau Pachany nicht ganz rein arisch sei. Daraufhin wurde das Haus an ein Frl. [Grete Georg] verkauft, u. diese vermietete es sofort an Frau P. weiter. Nun wird das Haus, weil auch noch meine Möbel dort stehen, erst am 1. November übergeben. […] Ich bin machtlos.“ Neben zahlreichen Einrichtungsgegenständen musste Hedwig Ehrlich aufgrund der verordneten Zwangsabgabe der Edelmetalle und verschärften Ausfuhrgesetze für Juden auch eine große Sammlung kunsthandwerklicher Silbergegenstände im Depot der Dresdner Bank in Frankfurt zurücklassen, die sie einst von ihrem Vater geerbt hatte.

 

Im Schweizer Exil bemühte Hedwig sich um ein Visum für die USA. Zeitgleich wurde Paul Ehrlichs Leben und Werk von William Dieterle im US-Spielfilm Dr. Ehrlich’s Magic Bullet („Paul Ehrlich – Ein Leben für die Forschung“) verfilmt. Als Ehefrau von Paul (Edward G. Robinson (1893–1973)) wurde Hedwig von der Schauspielerin Ruth Gordon (1896-1985) verkörpert. Der Warner Bros. Film startete am 2. März 1940 in den US-amerikanischen Kinos.

 

In Frankfurt wurde demgegenüber Hedwigs Silbersammlung Ende Mai 1940 auf Veranlassung des Oberfinanzpräsidenten in Kassel an die Städtische Darlehensanstalt überführt. Ob der Großteil der Sammlung Pinkus/ Ehrlich eingeschmolzen wurde bzw. wie viele Objekte der Frankfurter Kunsthandel übernahm, ist heute unklar. Doch zweifellos erwarb die Stadt 67 Objekte aus der Sammlung Pinkus/Ehrlich für 6.819.- Reichsmark; das Silber übergab sie im Juni an das Museum für Kunsthandwerk (heute Museum Angewandte Kunst).

 

Erst im Juli 1941 konnte Hedwig Ehrlich mit einem Visum für die USA über Frankreich und Spanien nach Portugal reisen, um von Lissabon aus auf der „Nyassa“ am 24. Juli ihre Schiffsreise anzutreten. Am 9. August lief der Dampfer auf dem East River im Hafen von New York City ein und Hedwig Ehrlich ging auf Pier 28 vor der Market Slip in Manhattan von Bord. In den USA lebte sie zunächst im Bryn Mawr College, Pennsylvania, wo während der Zeit des Nationalsozialismus geflohene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa Zuflucht fanden.

 

Gegen Ende ihres Lebens zog Hedwig nach White Plains, N.Y. und wohnte in der 251 Worthington Road. Kurz vor ihrem Tod setzte sie ihren Enkelsohn, Günther K. Schwerin (1910–1997), den zweitgeborenen Sohn ihrer Tochter Stefanie, als Testamentsvollstrecker ein. Am 21. Dezember 1948 verstarb Hedwig im Gotham Hospital, seinerzeit 30 East 76th Street, Manhattan, an den Folgen eines Schlaganfalls. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof Mount Pleasant Cemetery in Hawthorne, Westchester County, N.Y. bestattet.

 

Die „Wiedergutmachung“, die sich teilweise bis 1971 hinzog, erlebte Hedwig Ehrlich nicht mehr. 1949 restituierte das Museum etwa alle Silberobjekte an ihre rechtmäßigen Erben, bis auf 12 Objekte, die als Kriegsverluste ausgewiesen wurden. Für sie erhielten die Erben 1966 eine Entschädigungszahlung nach Maßgabe der Bestimmung des Bundesrückerstattungsgesetzes. Dass 10 Objekte aber den Krieg in Wirklichkeit überdauert hatten und sich bis heute im Museum Angewandte Kunst befinden, brachte die Provenienzforschung 2017 ans Licht. Im gleichen Jahr wurde die sechsteilige ARD- Fernsehserie „Charité“ ausgestrahlt, in der Hedwig Ehrlich von der gebürtigen Frankfurterin Stella Hilb (Jg. 1986) gespielt wurde. Die Sammlung Ehrlich/Pinkus ist Teil der Wanderausstellung „Legalisierter Raub“, die seit 16 Jahren durch Hessen tourt.

 

Der Stolperstein wurde initiiert vom Museum Angewandte Kunst.

 

Hedwig Ehrlich, 1941
Hedwig Ehrlich, 1941 © New York Herald Tribune, Foto: keine Angabe

 

Hedwig Ehrlich, 1944
Hedwig Ehrlich, 1944 © Paul Ehrlich Collection des Rockefeller Archive Center, Sleepy Hollow, Foto: keine Angabe

 

Hedwig und Paul Ehrlich, ca. 1883
Hedwig und Paul Ehrlich, ca. 1883 © Leo Baeck Institute, New York, Foto: keine Angabe

 

Hedwig Ehrlich und Enkelsohn Hans Wolfgang Schwerin in der Westendstr. 62, 1910
Hedwig Ehrlich und Enkelsohn Hans Wolfgang Schwerin in der Westendstr. 62, 1910 © Philadelphia Record, Foto: keine Angabe

 

Hedwig Ehrlich, geb. Pinkus 
Geburtsdatum:   30.6.1864 
Flucht:   1939 Schweiz, 1941 USA 

 

 

 

 

Stolperstein Westendstraße 62, Hedwig Ehrlich
Stolperstein Westendstraße 62, Hedwig Ehrlich © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

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