Wronker, Hermann und Ida

Wronker, Hermann und Ida

Stolperstein-Biographien in der Innenstadt

Wronker, Hermann und Ida

Hermann Wronker kam am 5. August 1867 in Kähme (Provinz Posen) zur Welt. Er entstammte einer großen Kaufmannsfamilie. Seine Onkel waren die Warenhausbetreiber Leonhard, Oscar und Hermann Tietz aus Birnbaum; der Ort galt und gilt bis heute als die „Wiege der Warenhäuser“. Hermann Wronker heiratete Ida Friedeberg, die ebenfalls aus Birnbaum kam. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Tochter Alice sowie die Söhne Max und Erich. Letzterer kämpfte als Garde-Ulan im Ersten Weltkrieg und starb 1918 an den Folgen einer Tuberkulose, die er sich in Russland zugezogen hatte.

 

Im Jahr 1881 begann Hermann Wronker eine Ausbildung im Kaufhaus „H. & C. Tietz“ in Prenzlau und übernahm später für seine Arbeitgeber den Aufbau der Tietz-Filialen in Bamberg und Coburg. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder Simon gründete er 1887 das Textil- und Bekleidungsgeschäft „S. [Simon]. Wronker & Co.".

 

1891 zog Hermann Wronker mit seiner Familie nach Frankfurt – als „eingedrippte Frankfurter“, so berichtete Tochter Alice. Dort eröffnete er auf der Zeil 14-16 sein eigenes Warenhaus. Als er im Alter von nur 23 Jahren zur Handelskammer ging, um die Firma anzumelden, soll man ihm dort gesagt haben: „Schicken Sie uns Ihren Vater!“ Fünf Jahre später folgte der Bezug eines Neubaus in der Hasengasse 15-17, der jedoch nur wenige Monate später abbrannte. Aber schon bald konnte Wronker an diesem Standort wieder eröffnen.

 

Später war er Eigentümer, Direktor und Vorstandsmitglied der Warenhauskette „Wronker“ mit dem ab 1907 neu erbauten prächtigen Geschäftsgebäude Zeil 101. Seinerzeit war es das größte Warenhaus Frankfurts mit einem kompletten und branchenübergreifenden Sortiment. Bis 1910 wurde das Haus nach dem Vorbild von Alfred Messels Berliner „Wertheim“ von dem Architekten Otto Engler erneuert und vergrößert. Ein Kunstsalon mit wechselnden Ausstellungen und einer Abteilung für Kunstgewerbe und Grafik machten „Wronker“ für Frankfurt einzigartig. Auch der Musikalienhandel gehörte zum Sortiment. Bisweilen wurden Noten werbewirksam nach Gewicht verkauft, wie historische Anzeigen belegen. Die firmeneigenen Buchabteilungen waren eine Provokation für den lokalen Sortimentsbuchhandel und dessen Standesvertretung, den Börsenverein des Deutschen Buchhandels. In der Fachpresse wurden über dieses neue Angebot zum Teil antisemitische Debatten ausgetragen.

 

Zu der 1921 – nach dem Tod des Bruders Simon – in Mannheim gegründeten „Hermann Wronker AG“ gehörten Filialen in Bockenheim, Hanau, Nürnberg und Pforzheim. Das Unternehmen beschäftigte in seiner Blütezeit etwa 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 1930 betrug der Gesamtumsatz 30 Millionen Reichsmark. Zeitweise führten Hermann Wronker und sein Sohn Max den Betrieb gemeinsam.

 

Im Oktober 1931 erschien ein anerkennender Artikel in der Frankfurter Zeitung: „So ist das Warenhaus Wronker eine grandiose Zusammenfassung aller Zweige unseres wirtschaftlichen Lebens. Es dient allen. Es erspart uns Geld, es hilft uns weiter, besonders in dieser Zeit, da jeder mit dem Pfennig rechnen muss. Rationelle Betriebsführung und echter kaufmännischer Geist, wie er in Frankfurt schon immer lebendig war, dienen dem Kunden, der den Weg findet zum Warenhaus.“

 

Hermann Wronker war ein großer Philanthrop und Mäzen. Um 1905 rief er in Frankfurt die reichsweit „1. Wach- & Schließgesellschaft“ ins Leben. Er zählte zu den Mitbegründern der „Union-Filmtheater AG“ (der späteren UFA), die noch vor dem Ersten Weltkrieg an Alfred Hugenberg verkauft wurde. Er engagierte sich für die Sanierung der Frankfurter Altstadt und stiftete eine Lotterie mit wertvollen Preisen zur Wiedererrichtung des Eisernen Stegs. 1911 saß er im Vorstand der „Internationalen Luftfahrt-Ausstellung“ (ILA) und lobte für den Flug vom Rebstock zum Feldberg und zurück einen Preis aus, den damals der Flugpionier August Heinrich Euler gewann. Während des Ersten Weltkriegs und in der Notzeit bis zum Ende der Inflation 1923 versorgte Hermann Wronker täglich bedürftige Kinder im Erfrischungsraum seines Warenhauses. Mit dem Maler Wilhelm Taubert initiierte er 1919 die Aktion „Für die Opfer der drei Lemberger Blutnächte“; der Erlös aus der gleichnamigen Broschüre sollte den Geschädigten der brutalen Pogrome vom November 1918 zufallen.

 

Gemeinsam mit seiner Ehefrau arbeitete Hermann Wronker für das Rote Kreuz. Ida Wronker betätigte sich unter anderem ehrenamtlich für das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg. Tochter Alice widmete sich während des Ersten Weltkrieges der Kriegsgefangenenhilfe.

 

Zu seinem 60. Geburtstag 1927 schenkte die Belegschaft ihrem beliebten Chef eine Bronzebüste, die der mit Wronker befreundete Bildhauer Benno Elkan gefertigt hatte. Das Kunstwerk befindet sich heute bei Familienangehörigen in den USA.

 

Nach der „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten wurden auch die Kaufhäuser der Wronker-Kette am 1. April 1933 boykottiert und die Kundschaft von SA-Posten am Zutritt gehindert. Damals hatte das Unternehmen noch rund 500 Angestellte. Ein Jahr später folgte die erzwungene „Arisierung“ und Übernahme durch die Firma „Hansa AG“. 1937 zogen die Eheleute nach Berlin um, kehrten aber Anfang 1939 nach Frankfurt zurück. Die Frankfurter Liegenschaften Savignystraße 68 und Hohenzollernplatz 76-78 (heute: Senckenberganlage 10-12) sowie ein Landhaus in Königstein, Rombergweg 3-4, waren zwischenzeitlich verfolgungsbedingt verkauft oder zwangsweise entzogen worden.

 

Sohn Max Wronker war bereits 1933 zusammen mit seiner Ehefrau und zwei Kindern zunächst nach Paris und später nach Ägypten emigriert; ab 1945 lebte er in den USA. Auch Tochter Alice flüchtete mit ihrem Ehemann Dr. Hermann Engel nach Kairo und später in die USA. Hermann und Ida Wronker hatten ihre Tochter noch in Ägypten besucht, kehrten jedoch in das Deutsche Reich zurück, um gesammelte Spenden an den Hilfsverein für jüdische Lungenkranke „Etania“ in Davos zu übergeben.

 

Im Verlauf des Jahres 1939 flohen die Eheleute in das französische Exil nach Paris, um von dort doch noch zu Sohn und Tochter nach Ägypten zu gelangen. Fahrkarten besaßen sie irgendwann, durften jedoch ab 1940 die besetzte Zone Frankreichs nicht mehr verlassen. Alice und Max überwiesen jetzt regelmäßig Geld an die Eltern. Zuletzt flüchtete das Ehepaar nach Sauray in das westfranzösische Département Vienne. 1942 wurden Hermann und Ida Wronker von Clermont-Ferrand zuerst in das Lager Poitiers, dann in das Internierungslager Drancy und von dort am 23. September 1942 gewaltsam in das Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Die Eheleute wurden nach der Ankunft wahrscheinlich sofort ermordet. Ihre Todesdaten sind nicht bekannt.

 

„Mein Vater war Hermann Wronker, Warenhausbesitzer und großer Philanthrop“ – mit diesen Worten beginnt ein Schreiben vom 4. Oktober 1961, das die Tochter Alice Engel-Wronker aus New York an die Frankfurter Stadtkanzlei richtete. Anlass ihres Briefes war ein Aufruf in der deutsch-jüdischen Zeitschrift „Aufbau“ vom September 1961, in dem der Frankfurter Oberbürgermeister Werner Bockelmann im Namen der Stadt ehemalige jüdische Bürgerinnen und Bürger um Kontaktaufnahme bat. Man habe damit begonnen – so Bockelmann – eine „Geschichte der Juden in Frankfurt am Main“ zu schreiben. Also schickte Alice Engel aus New York biografische Informationen über ihre ermordeten Eltern nebst Fotografien und verband ihre Post mit dem abschließenden Wunsch: „Mein Bruder und ich wären Ihnen mehr als dankbar, wenn Sie meinen Eltern in Ihrem Buch der ehemaligen Bürger Frankfurts ein bleibendes Denkmal setzen würden.“ Das war 1961 … und offenbar ein Missverständnis. Denn eine Geschichte der Juden in Frankfurt am Main, so wie Alice Engel und Max Wronker es sich vorgestellt haben mögen, erschien nicht. In dem 1963 dann tatsächlich publizierten Band „Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945“ wird lediglich das „Warenhaus Hermann Wronker“ in einer Denkschrift des Wirtschaftsamtes vom 17. Februar 1934 als „stillgelegt“ erwähnt. Mitte der 1990er-Jahre gab die Frankfurter Historische Kommission ein umfassendes Personenlexikon in zwei Bänden heraus: die „Frankfurter Biographie“. Die Namen und Lebensgeschichten von Hermann und Ida Wronker suchte man darin vergeblich.

 

Bislang erinnerten in Frankfurt allein die Namenblöckchen an der Gedenkstätte Neuer Börneplatz an Hermann Wronker, Ida Wronker und die Nichte Johanna Wronker. Die Nichte, Tochter von Simon Wronker, war taubstumm und wurde am 18. August 1942 bei der 7. Massendeportation aus Frankfurt in das Ghetto Theresienstadt verschleppt, wo sie ein halbes Jahr später starb.

 

Die Stolpersteine wurden initiiert von Heike Drummer und Alfons Maria Arns, Frankfurt am Main.

 

Bei der Verlegung waren anwesend: Ur-Enkelin Sheila Jowers (Dép. Aveyron, Frankreich), Ur-Enkel David Maynard (Gft. Kent, GB), Urur-Enkelin Henrietta Newman (London, GB) mit ihrem Ehemann Richard Newman sowie den Ururur-Enkelinnen Martha und Marguerite Newman.

 

Für weitere Unterstützung und ihr Vertrauen danken wir sehr herzlich: Lili Cassel-Wronker, Rona Wronker, Ruth Maynard, Trisha Maynard, Florian Amann und Dr. Sylvia Asmus.

 

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Ida und Hermann Wronker mit den Enkelkindern Erich, Gerda, Ruth und Marion © privat / Ruth Maynard, Courtesy of the Wronker Family, Foto: Keine Angabe

 

 

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Hermann Wronker mit den Enkelinnen Ruth und Marion, Ende der 1920er Jahre © privat / Ruth Maynard, Courtesy of the Wronker Family, Foto: Keine Angabe

 

 

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Kaufhaus Wronker © Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Foto: Keine Angabe

 

 

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Innenansicht des Kaufhauses Wronker © Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Foto: Keine Angabe

 

 

Hermann Wronker

Geburtsdatum:

Flucht:

Deportation:

Todesdatum:

5.8.1867

1939 Frankreich

Drancy, 23.9.1942 Auschwitz

unbekannt

 

Ida Wronker, geb. Friedeberg

Geburtsdatum:

Flucht:

Deportation:

Todesdatum:

5.9.1871

1939 Frankreich

Drancy, 23.9.1942 Auschwitz

unbekannt

 

 

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Stolperstein Hermann Wronker © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main, Foto: Keine Angabe

 

 

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Stolperstein Ida Wronker © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main, Foto: Keine Angabe

 

 

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Stolperstein Hermann Wronker AG © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main, Foto: Keine Angabe

 

 

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