von Weinberg, Carl, Reiss, Wera und von Szilvinyi, Alexander
Carl von Weinberg wurde am 14. September 1861 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Bernhard Weinberg und seiner Frau Pauline, geb. Gans in Frankfurt geboren. Er hatte eine Schwester, Maria (Jg. 1859) und einen Bruder, Arthur (Jg. 1860). Der Vater war durch die Heirat mit Pauline Gans Teilhaber der Firma Leopold Cassella & Comp. geworden. Seit 1873 wohnte die Familie Weinberg in der Palmengartenstraße im Frankfurter Westend. Carl und sein Bruder Arthur konvertierten um 1880 zum Protestantismus.
Carl von Weinberg und sein Bruder Arthur traten früh in die Geschäftsführung der Firma Cassella in Fechenheim ein. Carl als Kaufmann, Arthur als Chemiker. Sie machten das Unternehmen zum weltgrößten Hersteller von synthetischen Farbstoffen.
Im Jahr 1894 heiratete Carl von Weinberg in London die aus dem englischen Hochadel stammende Ethel Mary Villers Forbes, die er in Bad Homburg kennengelernt hatte, und wohnte mit ihr in der Wöhlerstraße 2. 1895 pachtete er die sogenannte Waldspitze auf Schwanheimer Gemarkung und begann mit den Planungen für seine Villa Waldfried. Gleichzeitig begann er mit dem Geländekauf für das Gestüt Waldfried. Carl von Weinberg gründete in Frankfurt nicht nur die Pferdezucht, sondern auch den Polo- und den Golfsport.
Am 29. Oktober1897 kam die Tochter Wera zur Welt. Aus Dankbarkeit über die glückliche Geburt ließ May von Weinberg im Jahr 1906 auf dem Weinberg´schen Gelände ein Waisenhaus (Waldfriedeck 1, heute Waldfriedstraße 11) für zehn Mädchen und zwei Schwestern des methodistischen Bethanien-Vereins bauen. Im Jahr 1898 zog die Familie in die riesige Villa Waldfried ein, die im englischen Landhausstil erbaut worden war.
Carl von Weinberg trieb derweil die weltweite Expansion der Cassella Werke auf seinen vielen Auslandsreisen weiter. Ihm war es beispielsweise gelungen, sämtliche Gärtnereien in Japan ausschließlich mit Cassella-Farben zu versorgen, die dazu dienten, den Gartenkies haltbar und leuchtend zu färben und so zu den malerischen Wirkungen, die die japanischen Gärten berühmt gemacht haben, entscheidend beizutragen.1904 schloss die Cassella einen „Freundschaftsvertrag“ (Kartell) mit den Farbwerken Höchst, dem sich 1907 die Kalle-AG in Wiesbaden-Biebrich anschloss.
1908 wurden Carl und Arthur von Weinberg auf Antrag in den erblichen Adelsstand erhoben. Carl von Weinberg war 1919 Mitglied der deutschen Delegation bei den Versailler Friedensverhandlungen und 1924 Mitglied der deutschen Delegation bei der Aushandlung des internationalen Vertrags über die deutschen Reparationsleistungen in London.
1925 gehörten die Brüder zu den Initiatoren und Mitbegründern der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft, des damals größten Chemiekonzerns der Welt.Carl von Weinberg, der Kaufmann, wurde stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates und auch des Verwaltungsrates der IG Farben. Er war zuständig für den Verkauf von Farbstoffen sowie pharmazeutischen und landwirtschaftlichen Artikeln.
Ab 1933 mussten Carl und Arthur von Weinberg nach und nach ihre Wirtschaftsämter niederlegen. Nach dem Tod seiner Frau May (15.12.1866 - 21.1.1937) wurde es noch einsamer um Carl von Weinberg. Gemäß der „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 3.Dezember 1938 wurde Carl von Weinberg gezwungen, seine Villa an die Stadt zu verkaufen. Oberbürgermeister Krebs hatte den Magistratsrat Adolf Miersch beauftragt, sich um die für die Stadt Frankfurt interessantesten Liegenschaften zu kümmern. Der „Kaufvertrag“ zwischen Carl von Weinberg und dem Beauftragten der Stadt, Adolf Miersch, in Anwesenheit des Notars Alexander Berg, NSDAP-Mitglied und förderndes Mitglied der SS, wurde am 7. Dezember 1938 geschlossen, vier Tage nach der Veröffentlichung der Verordnung. Die Stadt erwarb den Poloplatz mit Haus Wilthube, das Haus Waldfried mit allen zugehörigen Grundstücken und die Kunstsammlung von Carl von Weinberg mit 721 Gemälden und Skulpturen. Zitat: „Es ist gelungen, die überhöhte Forderung des Grundstückseigentümers erheblich herabzudrücken.“ Laut Vertrag durfte Carl von Weinberg als Mieter drei Jahre in der Villa wohnen bleiben.
Aber der Oberbürgermeister beruhigte die Gemeinderäte: „Aber er wird ja von sich aus über kurz oder lang ausziehen müssen, weil er die Mittel für die Wohnung nicht mehr aufbringen kann. Er wird vielleicht ins Ausland verziehen. Die Sache wird sich also von selbst regeln.“ Im August 1939 musste Carl von Weinberg aus der Villa in das ehemalige Waisenhaus seiner Frau May am Waldfriedeck 11 umziehen. Adressbucheintrag: „Waldfriedeck 1,Bewohner Carl von Weinberg, Eigentümer Stadt Frankfurt“ Seinen Pass hatte er bereits abgeben müssen. Er floh Ende 1939 mit Hilfe von Freunden und Kollegen der IG Farben nach Italien zur Familie seiner Schwester Maria, die mit dem Conte Giovanni Paolozzi di Calboli verheiratet war. Ihr Sohn war Mitglied der Sondertruppe der faschistischen Miliz, die Mussolinis Leibwache stellte.
Die Stadt versuchte derweil erfolglos, die Villa Waldfried der NSDAP und Wehrmacht als Marine-Musikschule anzudienen. Eine Zeit lang stand die Villa leer. Als 1941 geplant war, in der Villa Waldfried ein Hilfskrankenhaus einzurichten, wurde eine Bestandsaufnahme vorgenommen. Aus dem Bericht: „Die Zentralheizungsanlage ist durch Frost und Rost beschädigt. Dazu kommen fehlende Heizkörper und eine durch Frostschäden stark beschädigte Kaltwasserleitung“ Das Hilfskrankenhausprojekt zerschlug sich.
Im Juni 1943 führte der Obermagistratsrat Adolf Miersch interessierte Herren des nationalsozialistischen Bundes deutscher Technik, NSBDT, Reichsfachgruppe Chemie durch die Villa. Die Reichsfachgruppe Chemie wollte in der Villa ein Erholungsheim für deutsche Chemiker einrichten und das Haus als Tagungsstätte nutzen. Anfang Oktober 1943 wurde die Villa Waldfried bei einem Luftangriff stark beschädigt. Alle Planungen der Stadt Frankfurt hatten sich damit erledigt.
Wera von Weinberg wurde am 17. August 1913 in der evangelischen Martinuskirche in Schwanheim konfirmiert. Zwei Jahre später, anlässlich ihrer Verlobung mit dem katholischen k.u.k Legationsrat Alfons Markgraf Pallavicini, trat sie zusammen mit ihrer anglikanischen Mutter zum katholischen Glauben über. Die Hochzeit mit Pallavicini fand am 8.Januar 1916 in der Frankfurter Liebfrauenkirche statt. Die Ehe wurde 1920 in Budapest geschieden und kirchlich annulliert. Am 25.August 1921 heiratete Wera in der katholischen Kirche in Schwanheim Paul Graf zu Münster. Zu dieser Zeit war Wera Teil der "besseren Gesellschaft" Europas. Sie war oft in der Heimat ihrer Mutter zu Besuch und in der britischen Regenbogenpresse wurde über sie berichtet. Am 13. Juli 1925 wurde ihr Sohn Alexander geboren. Die Ehe mit Paul Graf zu Münster wurde am 2. Januar 1929 geschieden. Zwei Monate später, am 2. März 1929 heiratete Wera Richard von Szilvinyi, der als Prokurist im Hoechster Farbenverkauf arbeitete. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ließ sich Wera scheiden und flüchtete über Wien nach Budapest. Dort heiratete sie am 26. Januar 1935 den jüdischen österreichischen Arzt Dr. Joseph Reiss. Mit ihm floh sie nach London. Am 9. April 1943, nahm sich Wera Reiss in ihrer Wohnung in London das Leben.
Alexander von Szilvinyi, Sohn von Wera und Paul Graf zu Münster, wurde von Richard von Szilvinyi adoptiert. Er war Gymnasiast und er schien sich oft in Österreich aufzuhalten. Dort hatte er 1943 kurz vor seiner Einberufung zur Wehrmacht, anscheinend ein Testament hinterlegt, in dem er alles was er besaß seinem „Pflegevater Richard von Szilvinyi“ vermachte. Alexander von Szilvinyi ist nicht an der Westfront gefallen. Wie das Sterberegister des Standesamtes Frankfurt vom Februar 1945, nahm er sich bei Agen an der Westfront das Leben. Mit ihm starb der letzte Zweig der Frankfurter Familie von Weinberg.
Die Stolpersteine wurden initiiert von Robert Gilcher, Stadtteilhistoriker von Frankfurt-Niederrad, und finanziert von Annette E. Kühnel, Uli Nissen und Lars Spielvogel
Literatur:
Ernst Mack: Die Frankfurter Familie von Weinberg. Im Zeichen der Kornblumenblüten. Frankfurt 2000
Angela von Gans, Monika Groening: Die Familie Gans 1350–1963.Heidelberg 2006
Monika Groening: Leo Gans und Arthur von Weinberg. Mäzenatentum und jüdische Emanzipation (Reihe Gründer, Gönner und Gelehrte). Frankfurt 2012
Carl von Weinberg | |
Geburtsdatum: | 14.9.1861 |
Flucht: | Ab 1933 Demütigung und Entrechtung, 1939 Flucht nach Italien |
Todesdatum: | 14. 3. 1943 |
Wera Reiss, geb. von Weinberg | |
Geburtsdatum: | 29.10.1897 |
Flucht: | 1933 über Österreich und Ungarn nach England |
Todesdatum: | 9.4.1943 (Suizid) |
Alexander von Szilvinyi | |
Geburtsdatum: | 13.7.1925 |
Wehrmacht-Einsatz: | 1942 Westfront Agen/Frankreich |
Todesdatum: | 18. Juli 1944 (Suizid) |