Simon, Fritz und Lotte sowie Oswalt, Alfred
Friedrich Rudolf Simon wurde in Hannover geboren, war promovierter Jurist und seit Mai 1919 Amtsgerichtsrat in Frankfurt. Am 16. Dezember 1919 heiratete er die in Frankfurt geborene nichtjüdische, verwitwete Malerin Lore Simon, geborene Sonntag, verwitwete Oswalt. Lore Simon hatten zwei Kinder, Alfred und Brigitte. Alle wohnten in Frankfurt-Niederrad, Holzhecke 27, zuletzt nach der Arisierung des Hauses 1939, in der Elsa-Brandstöm-Straße 5 im Westend.
Fritz Simon, der sich protestantisch taufen ließ, wurde am 2. Juli 1933 zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Nach der Freilassung aus Buchenwald flüchtete er Ende 1939 nach Brasilien, wo er in der von Deutschen kolonisierten und nach Bremens Wahrzeichen „Rolandia“ genannten Siedlung im Bundesstaat Parana lebte, die zum Zufluchtsort für jüdische Flüchtlinge wurde. Lore Simon folgte ihrem Mann im April 1940 und kehrte 1964 zu ihrem Sohn Alfred zurück. Sie lebte wieder in der Holzhecke. Sie starb am 27. Oktober 1982, Fritz Simon war am 13. Dezember 1963 in Rolandia gestorben.
Alfred Oswalt war der Sohn des Architekten Hermann Oswalt (1985-1916) und von Lore Sonntag. Im Juni 1935 heiratete er Getrud Bräuchli (1909-1992), die gemeinsame Tochter Christine wurde 1938 geboren. Von 1939 bis 1951 war er mit Gabriele Buhl verheiratet, mit der er zwei Kinder, Sabine (Jg. 1940) und Gunvor (Jg. 1946), hatte.
Alfred Oswalt studierte von 1929 bis 1935 an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg Bauingenieurwesen und Architektur. Er schloss das Studium mit einem Diplom ab. In seiner Studentenzeit war er Mitglied der Kommunistischen Studentenfraktion gewesen und beteiligte sich auch an den illegalen Aktionen nach 1933. Weil einige Kommunisten zur NSDAP und SA überliefen und die Moskauer Parteileitung eine Reihe von Mitgliedern an die Nazis verriet, trennte sich Alfred Oswalt 1935 von den Kommunisten. Nach seinem Studium arbeitete Oswalt zunächst als Bauleiter bei der Baufirma Holzmann. Nach einer anderthalbjährigen Mitarbeit in der Bauabteilung der IG Farben in Ludwigshafen machte sich Oswalt im Herbst 1941 als Architekt selbstständig.
Auf Vermittlung seines Schwiegervaters Bernhard Buhl, der dem Vorstand der IG Farben angehörte, erhielt Alfred Oswalt 1940/41 eine Tätigkeit in der dortigen Bauabteilung in Ludwigshafen. Ende 1941 machte er sich als Architekt selbstständig, im Juni 1942 wurde er zum aktiven Wehrdienst eingezogen. Es gelang ihm, einen Wehrmachtsbürokraten zu bestechen, der ihn wegen „kriegswichtiger Tätigkeit“ vom Wehrdienst freistellte. Er kaufte sich Anfang 1943 in einer Baufirma ein, die für private wie staatliche Auftraggeber für zivile wie militärische Zwecke Bauten erledigte, und nutzte die Firma zugleich für Widerstandsaktivitäten. Er stellte rassisch Verfolgte und Angehörige der Opposition gegen das NS-Regime ein und erreichte, dass ihm vom Reichsministerium Speer rassisch und politisch Verfolgte - Personen jüdischer Abstammung, „Zigeuner“ und Angehörige der SPD und DAP - als Zwangsarbeiter zugewiesen wurden, um ihnen dann helfen zu können.
Mehrfach gelang es ihm, die Verhaftung von der Gestapo gesuchter Personen zu vereiteln, unter anderem schickte er „halbjüdische“ Zwangsarbeiter und andere Verfolgte auf eine Baustelle nach Lothringen, von wo sie beim baldigen Vorrücken der Westfront in den Westen fliehen konnten. Alfred Oswalt nahm geschäftliche Beziehungen zu einer Firma im Grenzgebiet in der Nähe von Singen am Bodensee auf, um Juden zur Flucht in die Schweiz zu verhelfen. Er half anderen Verfolgten, sich zu verstecken, versorgte sie mit Lebensmitteln und Geld und verschaffte ihnen durch gefälschte Ausweispapiere eine neue Identität.
Durch die Beschaffung von holländischen Blanko-Pässen kam Oswalt in Kontakt mit einer kleinen deutsch-holländischen Widerstandgruppe. Zu dieser Gruppe gehörte der sozialistische Journalist Karel Roos, den er in seiner Firma als kaufmännischen Angestellten einstellte. Andere Mitglieder der Widerstandgruppe arbeiteten bei Siemens. Gemeinsam führte man Flugblattaktionen zur Wehrdienstverweigerung durch, verhalf Verfolgten zur Flucht und bereitete Sprengstoffanschläge vor. Zuvor hatte die Widerstandsgruppe nach Angaben von Alfred Oswalt bereits eine militärisch wichtige Eisenbahnbrücke bei Bebra in die Luft gesprengt, um den Nachschub an die Westfront zu behindern.
Alfred Oswalt wurde 1944 von der Gestapo als Mitglied einer deutsch-holländischen Widerstandsgruppe verhaftet. Bei der Festnahme wurden ein Koffer mit Sprengstoff, antifaschistische Flugblätter sowie ein Dutzend holländischer Blanko-Pässe gefunden. Zu dem Kern der Gruppe gehörten neben Alfred Oswalt die Holländer Cornelius Hubers und Karel Roos. Die Holländer hatten Möglichkeiten, holländische Blanko-Pässe zu besorgen. Im Austausch erhielten sie dafür von Alfred Oswalt Sprengstoff, den dieser durch seinen Baubetrieb beschaffen konnte.
Die Verhafteten kamen zunächst in das Gefängnis Lehrterstraße 3 in Berlin. Am 25. November 1944 wurden sie aufgrund eines Haftbefehls des Volksgerichtshofs wegen Vorbereitung zum Hochverrat in das Zuchthaus Berlin-Plötzensee verbracht. Die Verhöre fanden bei der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße sowie in der ehemaligen Synagoge in der Oranienburger Straße statt. Im Zuchthaus Plötzensee starb der Prokurist der Firma, Diplomingenieur Walter Knoch, an den Folgen der Folter. Er war an den Widerstandsaktivitäten gar nicht beteiligt gewesen, doch hatte man nach seiner Verhaftung in seiner Wohnung einen Zettel gefunden, auf dem die Wellenlängen ausländischer Sender notiert waren.
Als am 3. Februar 1945 ein Bombenangriff die Gebäude des Volkgerichthofes und der Gestapo schwer beschädigte, wurden die 300 des Hochverrats angeklagten Untersuchungshäftlinge des Volksgerichtshofes in einem Sammeltransport zu Schiff und mit Güterwaggons in das Zuchthaus St. Georgen in Bayreuth verbracht. Auf dem zweiwöchigen Transport Anfang Februar starben mehrere Häftlinge an Unterernährung, Kälte und Misshandlung.
Alfred Oswalt wurde in Bayreuth ebenfalls misshandelt und in einer Dunkelzelle im Keller festgehalten. Am 14. April 1945 wurden die Gefangenen des Zuchthauses St. Georgen-Bayreuth von den amerikanischen Truppen befreit. Bei der Verhaftung wog Alfred Oswalt 107 kg, bei der Befreiung 58 kg. Nach der Befreiung erschoss Alfred Oswalt den Gestapo- und SS-Mann, der die Verhöre geleitet hatte, in seiner Wohnung in der Nähe von Bayreuth.
Ende 1948 stellte Alfred Oswalt einen allgemeinen Antrag auf Wiedergutmachung, der 1951 abgelehnt wurde. Es bestehe kein Anspruch auf Widergutmachung, u.a. "weil das Vergehen, dessen er beschuldigt wurde, auch von anderen Staaten als Hochverrat behandelt wird." Alfred Oswalt klagte gegen die Ablehnung, der Rechtsstreit endete vier Jahre später mit einem Teilvergleich. Alfred Oswalt wurde als politischer Häftling anerkannt und erhielt eine Entschädigung für Freiheitsentzug von 750 DM. Nach über zehnjährigem Rechtsstreit wurde Alfred Oswalt schließlich vom Oberlandesgericht Karlsruhe 35.000 DM als Wiedergutmachung wegen Schaden im beruflichen Fortkommen zuerkannt.
Nach der Befreiung arbeitete Alfred Oswalt als Architekt und Bauunternehmer. Er zog nach der Restitution des Hauses in die Holzhecke 27. 1958 heiratete er Irene Eucken. Mit ihr hatte er drei Kinder, Walter (1959-2018), Katrin (Jg. 1961) und Philipp (Jg. 1964). Als Folge von Haft und Folter litt er an Alpträumen, Bluthochdruck und Herzkrankheiten, er starb am 7. Januar 1992.
Die Stolpersteine wurden initiiert vom Enkel und Sohn Philipp Oswalt/Berlin und finanziert von Volker Westerborg
Fritz Simon | |
Geburtsdatum: |
31.8.1881 |
Haft: | 11.11.-9-12.1938 Buchenwald |
Flucht: |
August 1939 Brasilien |
Lore Simon geb. Sonntag | |
Geburtsdatum: |
0.11.1884 |
Flucht: |
April 1940 Brasilien |
Alfred Oswalt | |
Geburtsdatum: | 20.6.1910 |
Haft: | „Hochverrat“, 14.10.1944 U-Haft Berlin-Lehrterstraße, 25.11. 1944 Plötzensee, 3.2.1945 St. Georgen-Bayreuth - 14.4.1945 befreit |