Schain, Josef
Meyer Szajn wurde in Chmielnik, Kreis Kielce geboren und kam 1917 aus Lodz nach Höchst, wo er wegen des kriegsbedingten Arbeitskräfteausfalls angeworben worden war. In den Farbwerken sollte er sechs Wochen bleiben. Nach Ablauf dieser Zeit wollte er nach Polen zurück. Von den Behörden wurde ihm gesagt, dass er erst nach Kriegsende zurückkehren könnte. 1918 hatte er einen sehr schweren Arbeitsunfall und war über ein Jahr im Krankenhaus. Danach blieb er in Höchst, zumal er durch den Unfall Rechte erworben hatte, die er nicht aufgeben wollte. In den Farbwerken wurde er dann zum Glasbläser ausgebildet und hatte eine sitzende Tätigkeit.
Er heiratete 1920 die katholische Katharina Moos trotz Schwierigkeiten seitens des Staates wie auch des Schwiegervaters. Er trat dabei zum Katholizismus über, sein Name wurde in Josef Schain entpolnisiert, seine Frau musste ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgeben und die polnische annehmen. 1921 kam ihre Tochter, Josefine, zur Welt. Diese besuchte bis 1935 die Hostatoschule, 1935 wurde ihr als „Ausländerin“ die Aufnahme in die Berufsschule verweigert. In dieser Zeit wurde der Name auch wieder in die polnische Schreibweise Szajn geändert. Eine Lehrstelle fand sie erst über die Vermittlung des Kantors Levi im Kaufhaus Schiff, das jüdische Eigentümer hatte.
1938 wurde Josef Schain von einem Kollegen, der wusste, dass er Jude war, bedroht, er würde ihn bei der Werksleitung anzeigen, wenn er es nicht selber täte. Josef Schain machte also eine „Selbstanzeige“ und wurde fristlos entlassen. Dank seines damaligen Chefs, Dr. Kneipp, den die Schains in ihrer Verzweiflung in seiner Wohnung aufsuchten, konnte er als Frührentner aufgrund seines Unfalls und seiner Krankheit aus der Firma ausscheiden.
Von der im Oktober 1938 erfolgten Abschiebung von etwa 17.000 polnischen Juden aus dem Reichsgebiet an die polnische Grenze waren auch die Familie Schain und vier andere Höchster Familien betroffen. Aus der Sicht der damals 17-jährigen Tochter, Josefine, stellte sich das so dar: „Morgens gegen 4 Uhr kam die Gestapo mit vier Leuten zu uns und wir mussten sofort mit ihnen zum Polizeirevier gehen. Nur Waschzeug und Nachtwäsche durften wir mitnehmen…wir wurden unter Aufsicht nach Frankfurt transportiert. Dort kamen wir in das Bahnhofsgefängnis….Es kamen immer mehr Leute…und es stellte sich heraus, es waren polnische Juden… Nach Stunden wurden wir in einen extra eingesetzten Zug gebracht, der verschlossen wurde und uns…nach Beuthen/Kattowitz brachte, natürlich ohne Essen und Trinken“.
Die Schains hatten Glück im Unglück. Sie konnten noch die Grenze passieren und bekamen Fahrkarten, um zu den jüdischen Verwandten nach Lodz zu kommen, die sie, obwohl selbst sehr arm, nach Kräften unterstützten. Die Schains unternahmen alles, um nach Deutschland zurück zu kommen; sie hielten das alles für ein Missverständnis. Nach etwa acht Monaten gab es eine Vereinbarung mit Deutschland, dass ein Familienmitglied für vier Wochen zurückkehren dürfe, um Haushalt oder Geschäft aufzulösen. Katharina Schain ging es gesundheitlich nicht gut, deshalb durfte Josefine sie begleiten.
In Höchst angekommen, bestand die Wohnung nicht mehr; sie war bereits anderweitig vermietet worden. Ein Mann bei den Farbwerken hatte zumindest die Möbel sichergestellt. Mit Mühe kamen Mutter und Tochter zur Untermiete in einem kleinen Zimmer unter. Vergebens versuchten sie Josef Schain zu helfen. Katharina Schain wurde vorgeschlagen, die Scheidung einzureichen, dann könnte sie bleiben.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen am 01.09.1939 wurde in die jetzt „staatenlosen“ Pässe der Mutter und der Tochter eingedruckt: „Inhaber dieses Passes darf Deutschland nicht verlassen“. Bis Kriegsende mussten sie sich jede Woche bei der Polizei melden. Von Josef Schain erhielten sie in dieser Zeit auf Umwegen zweimal ein Lebenszeichen: 1941 kam eine kurze Mitteilung des Judenältesten in Form einer Abmeldebestätigung aus dem Ghetto Lodz, er sei verstorben.
Josefine, die als „Halbjüdin“ galt, aber im katholischen Glauben aufgewachsen und zur Kommunion gegangen war, suchte Hilfe auch bei der Kirche. Den damaligen Pfarrer Schweikert konnte sie im Büro nie erreichen. Als sie ihn auf der Straße sah, wechselte er die Seite. Auch der Arisierer des Kaufhauses Schiff, Conrady, entließ sie 1940. Große Unterstützung fand Josefine durch ihren späteren Mann Fritz Walter und dessen Eltern sowie dem Polizeiobermeister Karl Koch, der Nachbar der Schains war. Immer wenn Transporte vorgesehen waren, die auch Josefine betrafen, warnte sie Herr Koch und sie konnte untertauchen. „Dies geschah vier- oder fünfmal und als beim letzten Transport die Zeit ganz kurz war, versteckten Herr und Frau Koch mich in ihrer Wohnung.“ So entging sie durch mutige und moralisch handelnde Menschen dem Schicksal ihres Vaters und dessen Familie.
In ihrem Bericht von 1989 schrieb Josefine in den Vorbemerkungen: „Wie soll man schildern was Not, Sorge und Angst in dieser Zeit gewesen ist? Ein Beispiel dafür: Wenn man aus tiefstem Schlaf aufrecht im Bett sitzt, weil Schritte die Treppe hoch kamen und vor der Tür stehen blieben. Wie kann man erklären was es bedeutet, aus einem vollkommen normalen Familienleben, Zusammenleben mit den Nachbarn, herausgerissen wird, um als Aussätziger behandelt zu werden? Wie kann man damit fertig werden, dass gute Nachbarn plötzlich zu hässlichen Feinden werden oder was noch schlimmer ist, dich plötzlich nicht mehr kennen und verschämt wegsehen? Noch härter trifft es, wenn dies angeblich gute Freunde tun. Umgekehrt: Welche großartigen, menschlichen Regungen wach werden bei Menschen, an denen man vorbeiging, oder die man gar nicht kannte, oder bei denen man es gar nicht vermutet hätte, die plötzlich zu Helfern in der Not werden und ein immenses Risiko auf sich nahmen.“
Josef Schain | |
Geburtsdatum: Deportation: Todesdatum: |
07.09.1895 28.10.1938 nach Bentschen und Lodz 05.04.1941 |