Levy, Amalie und Hugo
Hugo Levy wurde in Wanne-Eickel/Westfalen geboren. Schon früh zog er mit seinen Eltern nach Essen. Dort ging er zur Schule, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und heiratete 1906 die in Essen geborene Amalie Adler. Hugo Levy nannte seine Frau liebevoll Mally, wie aus einer Feldpostkarte hervorgeht. Nach der Heirat zog das Paar nach Höchst. Hugo Levy war zunächst Geschäftsführer des Herrenkonfektionshauses Carsch, eröffnete aber noch im gleichen Jahr ein eigenes Herrenmodengeschäft in der Königsteiner Str. 14. In einer Großanzeige im Höchster Kreisblatt wurde dies mit einem Foto des Geschäfts angekündigt. Die Firma Levy beschäftigte vier Maßschneider und sechs Verkäufer. Hugo Levy wählte in der gutbürgerlichen zweiten Kategorie des bis 1918 herrschenden Drei-Klassen-Wahlrechts.
1907 und 1912 wurden die Töchter Hertha und Edith geboren; beide besuchten das Höchster Lyzeum. Im ersten Weltkrieg war Hugo Levy Soldat und bekam das „Eiserne Kreuz“ mit der Inschrift: „Der Dank des Vaterlandes ist Dir gewiss“. Während des Krieges führte Amalie Levy das Geschäft. Nach dem Krieg reisten Hugo und Amalie Levy zu Kurorten in Deutschland, Italien und der Schweiz. Es ging ihnen gut. 1930 wechselten die Geschäftsräume in die Dalberg/Ecke Albanusstraße. Auch die Privatwohnung wechselte. 1931 zogen die Levys in die Dalbergstr. 4. Nach der Erinnerung einer Höchsterin machte der Hausbesitzer der Familie Schwierigkeiten: „Sie wurden 1932 vielleicht gekündigt oder schikaniert von ihrem Hausherrn“, sagte sie, so dass ein weiterer Umzug im Oktober 1932 in die Königsteiner Str. 40 erfolgte. Die Empfehlung dorthin zu ziehen, sei von Amtsgerichtsrat Lehmann - ebenfalls jüdischer Höchster - gekommen. Der Vater der Höchsterin habe gesagt: „Ziehen Sie zu uns, Herr Levy. Bei uns können Sie sich sicher fühlen und werden nicht gekündigt“. Die ehemalige Nachbarin schrieb weiter: „Es war leider eine für Levys ungünstige Parterrewohnung …sie hatten die Rollläden zur Straßenseite immer unten, weil sie fürchten mussten, dass man ihnen die Fenster einschlug“.
Auch die Geschäftsadresse änderte sich und es ist anzunehmen, dass während der Wirtschaftskrise starke Geschäftsrückgänge zu verzeichnen waren. Bereits 1930 erfolgte der Umzug in die Albanusstraße. Der Boykott gegen Geschäfte mit jüdischen Inhabern tat sein übriges. Im Boykottbuch von 1934 ist das Geschäft mit der Adresse Albanusstraße angegeben. Die Tochter Edith schrieb, dass nach 1933 ein ständiger Umsatzrückgang erfolgte und das Geschäft mehrmals geplündert wurde; 1938 wurde es endgültig abgemeldet.
Im November 1937 emigrierte die jüngere Tochter Edith in die USA; sie hatte bei der Ada-Ada-Ada-Schuhfabrik der Gebrüder Nathan, wahrscheinlich bis zur Arisierung des Betriebes, gearbeitet. Die Firma wurde, wie Paul Arnsberg schreibt „zur Liquidation gezwungen und von dem Schuhkonzern Salamander übernommen“. Im August 1938 war die Tochter Hertha, inzwischen mit Manfred Sichel verheiratet, noch 15 Monate bei den Eltern gemeldet.Nach der Pogromnacht wurde Hugo Levy im Rahmen der „Judenaktion“ verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Als „Aktionsjude“ mit der Häftlingsnummer 21525/2241 wurde er dort am 21. 11.1938 entlassen.
In Buchenwald hatte er schwere Verletzungen durch Misshandlungen erlitten und musste sich nach seiner Rückkehr im israelitischen Krankenhaus in der Gagernstraße das rechte Auge entfernen und einen sich in Buchenwald zugezogenen Leistenbruch operieren lassen. Aus der Entschädigungsakte geht hervor, dass Mutter und Schwester in dieser Zeit gezwungen wurden, Höchst zu verlassen. Der Umzug erfolgte am 22.11.1938, sie zogen in eine kleine Wohnung in den Musikantenweg 4. Hier ist der Vater als „Hugo Israel Levy“ auch noch im Adressbuch 1940 erwähnt. Hertha Sichel, die bei der Reichsvereinigung der Juden arbeitete, gelang mit Hilfe ihrer Schwester noch die Flucht in die USA.
Aus einem Telegramm des Hilfsvereins an die Tochter Edith in den USA geht hervor, dass es Versuche gab, auch die Eltern in die USA zu holen: Hier heißt es im Oktober 1940: „Eltern vierundzwanzigsten Oktober vorgeladen stop da Vater Auge verloren Akkreditiv erforderlich stop stellt sofort Betrag so hoch als möglich und teilt Stuttgart mit das Zustand bekannt und trotzdem Bürgschaften aufrechterhalten werden. Drahtet was geschehen.“ Aus einer Postkarte der Eltern an die Tochter Edith vom Oktober 1940 geht hervor, dass sie „wegen des Gesundheitszustandes und teilweise auch wegen der Augenverletzung“ kein Visum bekommen haben. Hoffnung setzten sie noch auf das „Akkreditiv“ von 3-5000 Dollar. Eine Mitarbeiterin des „Hilfsvereins“ riet zu schneller Heirat in den USA, um bereits nach einem halben Jahr die amerikanische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Die Mutter schrieb auf der Vorderseite der Postkarte u. a.: „viel Pech haben wir“.
Bereits im April 1940 schickte Edith Levy Geld an einen Bekannten in Amsterdam, mit der Bitte, den Eltern Lebensmittelpakete zu schicken. Sie arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Geschirrspülerin in einem Waisenhaus, später als Zimmermädchen, dann als Köchin; sie fand erst viel später wieder eine Bürotätigkeit. Eine Freundin aus der höheren Handelsschule in Frankfurt, die ebenfalls emigrieren musste und ihre Freundin Edith in den USA wiedertraf, schrieb 1957 u.a. „Ich weiß von ihren vielen Versuchen, ihren Eltern die Auswanderung zu ermöglichen, ihr Glück, als sie dies für ihre Schwester erreichen konnte und ihren seelischen Schmerz über die vielen Jahre der Ungewissheit über das Schicksal ihrer Eltern bis sie nach dem Kriege die grausame Tatsache erfuhr, dass Hugo und Amalie Levy in den Gaskammern von Auschwitz getötet wurden.“
Am 10.September 1942 schrieben die Eltern, die bereits seit einem Jahr den Judenstern tragen mussten, noch eine kurze Mitteilung über das Rote Kreuz - nur 25 Worte waren in dem Vordruck erlaubt: „Liebe Kinder, der siebente Brief. Hoffentlich geht’s Euch gut, auch wir sind gesund. Unsere Adresse ändert sich. Fräulein Luss wird Euch schreiben. Grüße und Küsse Vater, Mutter“
Auf Umwegen erhielten wir die Adresse der Tochter Edith in den USA. Auf die Bitte, für das Projekt „Juden in Höchst“ unseren Fragebogen zu beantworten, schrieb sie: „Ohne auf den Inhalt einzugehen, will ich nur erklären, dass mein Vater und meine Mutter, lediglich weil sie Juden waren, in Auschwitz in den Gasofen geworfen wurden und so umgekommen sind. Und Sie wollen von mir hören, wie die Juden und Christen zusammen gelebt haben? Meine Schwester und ich haben noch niemals von einer Behörde in Deutschland ein Wort des Trostes oder Anerkennung der Schuld gehört…..Ich will mich nicht an meine Zeit in Deutschland erinnern. Ich wünschte, ich könnte es vergessen. …Ich möchte nicht mehr von Ihnen hören und habe nur aus Höflichkeit geantwortet.“ 1954 war sie in Frankfurt und besuchte auch die Wohnung der Eltern im Musikantenweg. Sie sah dort Geschirr, das einst den Eltern gehörte und Möbel. „Die Leute sagten mir, dass durch den Vollstreckungsbeamten Rudel vom Finanzamt Stiftstraße alles abgeholt wurde.“ Als „Entschädigung“ für den gewaltsamen Tod der Eltern erhielten die Schwestern 1958 6000.- DM.
Hugo Levy | |
Geburtsdatum: Deportation: Todesdatum: |
15.01.1877 15.09.1942 Theresienstadt und 16.05.1944 nach Auschwitz unbekannt |
Amalie Levy, geb. Adler | |
Geburtsdatum: Deportation: Todesdatum: |
27.11.1880 15.09.1942 Theresienstadt, 16.05.1944 nach Auschwitz unbekannt |