Steinthal, Moritz
Johannes Moritz Steinthal wurde in Bradford/England geboren, als jüngster Sohn des aus Hamburg gebürtigen Wollkaufmanns Carl Gustav Steinthal und der badischen Pfarrerstochter Rosa Hormuth. Im Alter von fünf Jahren kam er, als sein Vater sich zur Ruhe setzte, nach Deutschland, verbrachte in Frankfurt am Main seine Schulzeit (Abitur 1888) und ließ sich als preußischer Untertan naturalisieren. Er studierte Jura in Lausanne, wo er der Verbindung deutscher Studenten „Germania“ beitrat, in Berlin und Leipzig. In Berlin machte er seinen freiwillig-einjährigen Dienst und erhielt sein Offizierspatent. Nach Promotion und Assessorexamen wurde er 1897 als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main zugelassen.
Seit 1902 war er Syndikus und später auch Prokurist der Leopold Casella GmbH, seit 1926 bei der I.G. Farbenindustrie in Frankfurt. Am 1. Weltkrieg nahm er freiwillig teil, zuletzt als Hauptmann, und wurde mit dem Eisernen Kreuzen K.2 und E.K.1 ausgezeichnet. 1931 trat er in den Ruhestand. Er war Mitglied vieler Frankfurter Vereine.
1899 heiratete er Hedwig Engelhard, Tochter von Bernhard A. Engelhard und Johanna M. Hauck. Sie bekamen drei Töchter: Hedwig (seit 1934 verheiratete Hennings), Lotte (1940 verstorben) und Emma. Seit 1912 lebten sie im eigenen Haus Broßstraße 7.
J. M. Steinthal entstammte einer seit 110 Jahren evangelisch-reformierten Familie, hatte aber drei jüdisch geborene Großeltern und galt damit für die Nazis als Jude. Gegen die diskriminierende Gesetzgebung im dritten Reich versuchte er sich ohne Erfolg durch mehrere juristische Eingaben zu wehren. So beantragte er die Befreiung von der Pflicht, den Namen Israel zu führen, und von der Reichsfluchtsteuer. „Ich habe weder je daran gedacht... auszuwandern, noch denke ich daran... Ich bin als britischer Staatsangehöriger in England geboren, ... lebe seit 1874 in Deutschland und ließ mich in Preußen naturalisieren, bin also freiwillig Deutscher geworden...“
Da seine Ehefrau „rein arisch“ war, lebte er nach NS-Definition in „privilegierter Mischehe“, was ihm zwar das Tragen des Judensternes ersparte, ihn andererseits in eine doppelt schwierige Position brachte. Die „Arier“ sahen in ihm den von Staats wegen geächteten Juden, während die Juden den Schicksalsgenossen, der nie ihrer Religionsgemeinschaft angehört hatte, als solchen nicht anerkannten, wodurch er z.B. die Anordnungen der Partei für Juden nicht mitgeteilt bekam.
Die eigentlichen Schwierigkeiten begannen, als der damalige Kreisleiter der NSDAP in das Nachbarhaus einzog. Von diesem Moment an war er auf Schritt und Tritt beobachtet und wurde mit vielen Kleinigkeiten schikaniert. Es folgten wiederholte Vorladungen zur Gestapo. Man drohte, seine Familie aus seinem Haus heraus zu setzen, ihn von Frau und Tochter zu trennen. „Am 11. März 1943 folgte abermals eine telefonische Aufforderung für meinen Mann, am nächsten Morgen bei der Gestapo zu erscheinen. Er wusste, was kommen würde. Noch freier Herr seines Wollens entschied er sein Schicksal. Er verabschiedete sich von mir und starb gegen Morgen des 12. März 1943“ durch eine Überdosis Schlaftabletten, berichtete seine Ehefrau.
In einem seiner Abschiedsbriefe schrieb er: „Ich scheide nur deshalb freiwillig aus diesem irdischen Leben, um [meiner Frau] nicht mehr hindernd im Wege zu stehen.“ „Ich sehe keinen anderen Ausweg.“ Eine Beisetzung in der Familiengrabstätte auf dem Hauptfriedhof wurde nicht gestattet, und war erst nach dem Krieg möglich. Das Haus in der Broßstraße durften seine Töchter behalten.
Der Stolpersteine wurde initiiert von Familie Berge/Torsten, aktuelle und ehemalige Nachbarn in der Broßstraße.
Moritz Steinthal | |
Geburtsdatum: Todesdatum: |
27.8.1869 12.3.1943 |