Pappenheimer, Ruth

Pappenheimer, Ruth

Stolperstein-Biographien im Gallus

Pappenheimer, Ruth

Ruth Pappenheimer wurde in Frankfurt am Main als Tochter von Julius Pappenheimer (Jg. 1893) und Marta, geb. Noll-Hussong (Jg. 1897), geboren. Die Eltern hatten am 5. August 1925 geheiratet, die Mutter war evangelisch, der Vater jüdisch. Die Familie war in Langen gemeldet. Im Alter von drei Jahren wurde Ruth in die Obhut der Großeltern gegeben, die in der Krifteler Straße 103 im Frankfurter Gallus wohnten. Die Mutter war kurz nach der Geburt des Bruders Alfred am 26. März 1928 schwer erkrankt, sie starb am 6. März 1933 in Wiesbaden. Ruth Pappenheimer wurde am 15. Mai 1933 in der evangelischen Friedenskirche in Frankfurt von Pfarrer Fritz Rohrbach getauft und dort am 17. März 1940 von Pfarrer Otto Schell konfirmiert. Sie besuchte die Hellerhofschule bis zu ihrem Volksschulabschluss.


Aus der Fürsorgeakte geht hervor, dass die Großeltern mit der Erziehung der Enkeltochter mindestens große Schwierigkeiten hatten, wenn nicht gar überfordert waren. Die tatsächlichen Ursachen hierfür zu rekonstruieren gestaltet sich als schwierig. Die in der Fürsorgeakte vorhandenen Unterlagen sind zwar aussagekräftig, wurden jedoch von einer der rassistischen NS-Ideologie verpflichteten Verwaltungsstelle angelegt, der es nicht um eine neutrale Darstellung des Sachverhaltes ging, sondern primär darum, das junge Mädchen zwanghaft in das Schema der Asozialen einzupassen und der Fürsorgeerziehung anheimzugeben. So soll Ruth Pappenheimer als Schülerin der Hellerhofschule einen unanständigen Briefwechsel mit Mitschülerinnen geführt und die in Konsequenz schlecht ausgefallene Betragensnote gefälscht haben um den Vorfall vor ihren Großeltern zu verbergen. Während der Ableistung des Pflichtjahres bei einer Frankfurter Familie sei es ebenfalls zu Konflikten gekommen, dort sei sie, wie ihre Arbeitgeberin berichtet, wegen eines Diebstahls, (der allerdings nicht zur Anzeige kam) fristlos entlassen worden. In der Korrespondenz zwischen Arbeitgeberin und Jugendamt wird deutlich, dass die Grundeinstellung der Arbeitgeberin von starken Ressentiments gegenüber Ruth aufgrund ihrer Abstammung von einem jüdischen Vater geprägt ist, was die Glaubwürdigkeit ihrer Anschuldigungen, zu welchen im Übrigen keine Äußerungen des Mädchens in der Akte vorhanden sind, fragwürdig erscheinen lässt.


Zu ihrem in Frankfurt am Main lebenden Vater und dem Bruder, der in Dreieich bei seinem Onkel Albert Pappenheimer lebte, scheint Ruth Pappenheimer keinerlei Kontakt gepflegt zu haben. Ursächlich dafür könnte der Einfluss der Großeltern sein, die nach Angaben der Enkeltochter überzeugte Nationalsozialisten waren. Im Stammdatenblatt der Fürsorgeakte kann Ruth Pappenheimer bezüglich des Geburtsjahres ihres Bruders Alfred nur ungefähre Angaben machen.


Ruth Pappenheimer wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt vom 29. Juli 1941 der Fürsorgeerziehung überstellt. Die Großmutter Ruths, die nach Angaben der Enkeltochter schon früh eine Anhängerin der NS-Ideologie war, unterstützte die Behörde in dem Verfahren und sammelte Beweismaterial gegen Ruth, welches das Verfahren forcierte und beschleunigte. Dies, obwohl Ruth eine Zusage für den Eintritt in eine Lehrstelle bei einer Frankfurter Firma hatte.


Ruth Pappenheimer wird im April 1941 in der Bad Camberger Haus- und Landarbeitsschule, einer vom Landesdirektor Fritz Bernotat im Jahr 1937 eingerichteten NS-Lehreinrichtung für junge Frauen untergebracht. Zwar ist sie der Einrichtung bis zum Herbst 1944 zugeordnet, arbeitet faktisch, weil sie sich offenbar als gute und fleißige Haushaltshilfe erwiesen hatte, die meiste Zeit auf einem Bauernhof in einem Camberger Ortsteil und im NSV-Kinderheim auf Schloss Dehrn bei Limburg. Als diese Einrichtung im Oktober 1944 für Wehrmachtszwecke geräumt wird, soll Ruth Pappenheimer, gemeinsam mit zwei anderen Mädchen zunächst in die Camberger Haus- und Landarbeitsschule zurückgebracht werden, was jedoch durch den Ausbruch einer Diphterie-Epidemie nicht möglich ist. In der Folge werden die drei Mädchen auf den Idsteiner Kalmenhof gebracht. Während die beiden anderen Fürsorgezöglinge, Anni G. und Gertrud S., die im Gegensatz zu Ruth Pappenheimer als „Arierin“ eingestuft sind, den Kalmenhof bald verlassen können, muss Erstere dort verbleiben. Ruth Pappenheimer wird auf dem Kalmenhof in der Hauswirtschaft eingesetzt; auch als sie erkrankt, verrichtet sie Näharbeiten vom Bett aus.


Am 20. Oktober 1944, wenige Tage bevor Ruth Pappenheimer als gebessert aus der Fürsorgeerziehung entlassen werden soll, da sie das 19. Lebensjahr vollendet hat, wird Ruth Pappenheimer von dem Anstaltsarzt der Kinderfachabteilung des Idsteiner Kalmenhofes, Hermann Wesse, durch zwei im Abstand von mehreren Stunden verabreichte Morphiumspritzen ermordet. Als Motiv des Mordes erscheint die Vorgabe des Landesdirektors Fritz Bernotat maßgeblich, der im Rahmen eines Erlasses vom 15. April 1943 die Unterbringung sog. halbjüdischer Fürsorgezöglinge in einer Abteilung der T4-Tötungsanstalt auf dem Hadamarer Mönchberg angeordnet hatte. Ruth Pappenheimer wurde, obwohl ihre Herkunft von einem jüdischen Vater bekannt war, von diesem Erlass nicht erfasst, da ihre Arbeitskraft dem Bezirksverband Nassau ökonomisch nützlich war. Die Ermordung auf dem Kalmenhof, die vom Landesdirektor Bernotat forciert worden war, dürfte erfolgt sein, weil der Zeitkorridor für eine Verlegung nach Hadamar unter Beachtung der gesetzten Rahmenbedingungen (gem. § 72Abs. 1 RJWG) den Tätern im Bezirksverband Nassau als zu schmal erschienen sein mag. Der Mörder Ruth Pappenheimers, Hermann Wesse, wurde gerade aufgrund ihres in den Akten und durch Zeugenaussagen gut dokumentierten Falles zunächst zum Tode verurteilt, später wurde die Strafe in lebenslänglich umgewandelt.


Ruth Pappenheimers Vater Julius Pappenheimer wurde am 11. Juni 1942 von Frankfurt am Main in die Region Lublin deportiert und wahrscheinlich in Sobibor ermordet. Ihr Bruder Alfred wurde, gemeinsam mit seiner Pflegefamilie, am 30. September 1942 von Darmstadt nach Treblinka deportiert und dort ermordet.

Der Stolperstein wurde initiiert von Martina Hartmann-Menz, die die Geschichte der Familie Pappenheimer erforscht hat.

 

Ruth Pappenheimer

Geburtsdatum:

Deportation:

Todesdatum:

08.11.1925

Einweisung: 1944 "Heilanstalt" Idstein-Kalmenhof

20.10.1944

 

 

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