Neuser, Edgar
Edgar Neuser wurde in Frankfurt als Sohn des Hilfsarbeiters Adolf Neuser und von Käthe Neuser geb. Blum, geboren und evangelisch getauft. Er litt an der „Little-Krankheit”, die Bewegungsfähigkeit seiner Beine war so stark eingeschränkt, dass er nicht laufen oder stehen konnte. Auch die Bewegungsfähigkeit seiner Arme war infolge der diesem Krankheitsbild zugrundliegenden Spastik zumindest eingeschränkt.
Edgar Neuser war im Frankfurter Monikaheim in der Kostheimer Straße 15 untergebracht und wurde 1926 in die Heilanstalt Scheuern (Nassau) aufgenommen. Aus dem Aufnahmebefund geht hervor, dass er sich bei der Aufnahme in einem „dürftigen Ernährungszustand” befand. Er zeige Interesse an in seiner Umgebung platzierten Spielsachen, ein durch das „Zimmer laufendes Spielzeugauto“ habe er mit „deutlichem Interesse und freudigem Gesichtsausdruck.“ wahrgenommen. Als Prognose wurde formuliert „Little Krankheit mit Idiotie. Keine Aussicht auf Heilung”.
Die soziale Interaktion zwischen seinem Umfeld und dem Pflegepersonal entwickelte sich im Laufe des Aufenthaltes in Scheuern nach Aktenlage positiv. Edgar Neuser konnte nach wenigen Wochen mit Unterstützung von Pflegekräften wenige Schritte laufen. Meist jedoch saß er „in einem kleinen Kinderwagen, in dem er herumgefahren wird.” Mit den anderen Pfleglingen auf seiner Abteilung kommunizierte Edgar Neuser mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Auch machte es ihm Freude, „auf einer ihm angebotenen Mundharmonika Töne entstehen zu lassen”.
Für Anfang Januar 1927 ist notiert, dass Edgar Neuser am „Weihnachtsfest“ (…) „freudig Anteil“ genommen habe. Er könne das Wort „Plätzchen“ aussprechen. Im Laufe des Jahres 1927 lernte er, sich im Bett mithilfe einer „Bettschere“ aufzurichten. Verlassen die anderen Pfleglinge die Abteilung nach draußen, war er erkennbar unglücklich. Da er den Namen seiner Pflegerin „Ernestine“ kannte und nach ihr rufen konnte, wurde er meist in den Garten getragen und lachte froh. Mitte des Jahres 1928 kannte er die anderen Pfleglinge der Abteilung sämtlich mit Namen. Es gelang ihm, komplizierte Namen wie „Franziska“ auszusprechen und Zweiwortsätze zu bilden. Es wurde eine schrittweise, auch motorische Verbesserung des Gesundheitszustandes festgestellt. Er knüpfte Kontakt zu anderen Pfleglingen und interagierte mit dem Pflegepersonal der Anstalt auf unterschiedlichen sprachlichen, mimischen und gestischen Ebenen.
Eine besondere Freude war ihm seine Sammlung von Ansichtskarten, die er, wie auch illustrierte Zeitschriften, gerne betrachtete. Aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung fiel es Edgar Neuser schwer mit Spielzeug händisch umzugehen, weswegen er die Gegenstände meist nur betrachtete.
1934 wurde er in die „Filiale Langau“ der Stiftung Scheuern verlegt, wo er sich nach einer Weile offenbar gut einlebte. Im Jahr 1935 wird vermerkt, Edgar Neuser könne nun seine Strümpfe selbst anziehen und bemühe sich sehr, sich beim Anziehen soweit wie möglich einzubringen. An Pfleger und Angestellte erinnerte er sich auch noch nach Jahren und erkannte sie.
Kontakt zu seiner Familie bestand, Edgar Neuser bekam jedoch nicht häufig Besuch. An seinem Geburtstag erhielt er ein Paket mit einer Postkarte, die ihm vorgelesen werden musste. Ab dem Jahr 1937 erfolgen Akteneinträge, die belegen, dass Edgar Neuser nicht nur gerne Radio hört, sich für das Geschehen in der Welt interessiert und weiß, „wann eine Rede des Führers angekündigt ist“. Insgesamt wird ihm ein „freundliches, zutunliches Wesen“ bescheinigt, weswegen er bei Pflegern und Pfleglingen sehr beliebt sei.
Eine Änderung in seinem Gesundheitszustand ist anhand der Akteneinträge nicht erkennbar. Edgar Neuser unterhielt demnach nach wie vor seine sozialen Kontakte, befasste sich in großem Umfang mit seiner Postkartensammlung, die inzwischen auf mehr als 100 Exemplare angewachsen war, von denen er jeweils individuell ausdeuten kann, von wem er sie erhalten hatte. Über den Eintritt in den Krieg wusste er ebenso Bescheid wie er darüber informiert war, dass sein Bruder Werner, der ihn an „Ostern“ einmal besucht hatte, Soldat war. Die Namen seiner weiteren Geschwister waren „Horst“ und „Lieselotte“.
Wie aus dem vorletzten, für Edgar Neuser vorgenommenen Akteneintrag vom 3. Dezember 1940 hervorgeht, befasste er sich immer wieder mit den Bildern seiner Geschwister, die er einem anderen Pflegling und seinem Tischnachbarn zeigte und „notdürftig einrahmen und an die Wand hängen lässt“.
Für den 10. Dezember 1940 wurde Edgar Neuser als „völlig untauglich zum Dienst in der Wehrmacht“ erklärt. Dieser vom Wehrbezirkskommando Limburg Lahn vorgenommene formale Akt findet sich in nahezu allen Krankenakten junger, dem Alter nach „wehrfähiger“ Männer.
Als letzter Eintrag in der Akte ist für den 19. März 1941 vermerkt, „N. wird auf Anordnung des Reichsverteidigungskommissars in eine andere Anstalt verlegt.“ Tatsächlich wurde Edgar Neuser an diesem Tag mit 89 weiteren Pfleglingen der Einrichtung Scheuern nach Hadamar transportiert und noch am gleichen Tag in der dortigen Gaskammer ermordet.
Edgar Neuser wurde ermordet, weil er aufgrund seiner körperlichen Einschränkung und der nicht vorhandenen Arbeitsfähigkeit als „lebensunwert“ galt. Sein Leichnam wurde verbrannt, den Angehörigen eine Todesnachricht mit einer gefälschten Sterbeurkunde zugeleitet, um sie über den systematisch durchgeführten Mord an dem Schutzbefohlenen zu täuschen.
Der
Stolperstein wurde initiiert von der Historikerin Martina Hartmann-Menz, Elz, und finanziert durch Johanna Tietze.
Edgar Neuser | |
Geburtsdatum: | 14.1.1922 |
Einweisung: | 10.3.1926 Heilanstalt Scheuern. 29.1.1934 Filiale Langau, 19.3.1941 Hadamar |
Todesdatum: | 19.3.1941 |