Die ,Königin der Musikinstrumente‘ kehrt zurück in den Bolongaropalast
Bürgervereinigung Höchster Altstadt spendet Bolongaropalast neue Glocke
Als die vier Mitarbeiter der Glockengießerei Rincker den Schmelz- und
Gießtiegel mit dem geschmolzenen Metall hineinbringen, wird es plötzlich warm.
Kein Wunder: die zu etwa 21 Prozent aus Zinn und 79 Prozent aus Kupfer
bestehende Metallmischung, die später die neue Glocke für den Bolongaropalast
in Höchst formen soll, ist etwa 1132 Grad Celsius heiß. „Bitte das Rauchen nun
einstellen“, scherzt Hanns Martin Rincker, Chef des Familienunternehmens in
Sinn bei Wetzlar. Erklärt dann aber, dass durchaus Vorsicht geboten ist, da bei
einem Glockenguss explosive Gase entstehen.
Um die vier Wochen wird es dauern, bis die etwa 80 Kilogramm schwere, 48
Zentimeter große und 5500 Euro teure Glocke abholbereit ist. Gestiftet wurde
sie von der Bürgervereinigung Höchster Altstadt. Der gemeinnützige Verein hat
es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, historische Bauten zu bewahren und
setzt sich deswegen, wie auch im Fall des Bolongaropalastes, für die Sanierung
und Restaurierung dieser ein. Henning Brandt, Leiter der Verwaltungsstelle
Höchst, ist froh, dass die Bürgervereinigung sich bereiterklärt hat, die Glocke
für den Bolongaropalast zu stiften. „Daran zeigt sich nicht zuletzt eine
Besonderheit in Höchst – nämlich der Gemeinsinn der Bürgerinnen und Bürger für
ihren Stadtteil einzutreten“, sagt Brandt.
Auch Oberbürgermeister Peter Feldmann, der seinen zweiten Amtssitz im
Bolongaropalast hat, ist gespannt auf die neue Glocke. „Der Bolongaropalast ist
ein prachtvoller Bau mit Geschichte, die im Zuge der Restaurierung nicht in
Vergessenheit geraten darf. Nun, da das einstige Glockenspiel seit dem Zweiten
Weltkrieg leider verschollen bleibt, freut es mich umso mehr, dass es
Bürgerinnen und Bürger gibt, die sich für eine Nachbildung einsetzen. Für die
großzügige Spende und das einzigartige Engagement danke ich der Bürgervereinigung
Höchster Altstadt sehr herzlich.“
Vor dem Glockenguss wird gebetet
Gleich geht es los. Die Glockengießer kratzen die obere Kruste, auch
Schlacke genannt, von der flüssigen Metallsubstanz und geben noch etwas reines
Zinn zur Metallmischung hinzu. Doch Halt! Eine wichtige Sache fehlt noch, bevor
der heiße Guss in die Glockenform gegeben werden kann. „Traditionell wird vor
dem Guss einer Glocke gebetet“, erklärt Rincker. „Für das Gelingen der Glocke
und für die Friedenszeit, in der die Glocke schlagen wird.“ Dann wird es kurz
ganz still – bevor Rincker mit den Worten „In Gottes Namen wollen wir gießen“
den Startschuss gibt und die Glockengießer die glühende Substanz in die
Glockenform aus Lehm schütten. Nicht einmal fünf Minuten dauert es – dann ist die
neue Glocke für den Bolongaropalast in Höchst gegossen.
Jetzt heißt es abwarten und vor allem abkühlen. Die Höchster Glocke wird über
das Wochenende in der Lehmform bleiben, bevor am Montag dann weitere
Arbeitsschritte zur Fertigstellung erfolgen. Denn „je länger eine Glocke
abkühlen kann, desto besser ist am Ende ihr Klang“, erklärt Rincker, der die
Glocke als „Königin der Musikinstrumente“ bezeichnet. Einen guten Klang soll
das Höchster Exemplar auch haben, wenn sie täglich ab 8 bis etwa 20 Uhr läuten
wird. Dabei solle das Läuten aber keinesfalls die Nachbarn beeinträchtigen,
betont Brandt, der den Guss einer neuen Glocke mit initiiert hat.
Alte Glocke spurlos verschwunden
Im Zuge der allgemeinen Sanierung des 240 Jahre alten Bolongaropalastes soll
die neue Glocke voraussichtlich im nächsten Frühjahr eingebaut werden. Das
historische Gebäude, das zuvor für Verwaltungszwecke genutzt wurde, wird
momentan zu einem multifunktionalen Bürgerhaus umgestaltet, einem wie Brandt
beschreibt, „Ort, dessen Türen für Jung und Alt offen stehen“. 2022 sollen die
Sanierungsarbeiten am Bolongaropalast beendet sein und der Palast samt Glocke
in neuem Glanz erscheinen.
In ganz Deutschland gibt es nur vier Glockengießereien. Die Glocken- und Kunstgießerei Rincker in Sinn bei Wetzlar mit etwa 20 Mitarbeitern ist eine davon. Sie hat sich gegen zwei weitere Konkurrenten, die sich für den Guss der Glocke des Bolongaropalastes in Höchst beworben hatten, durchgesetzt. Jährlich werden im Betrieb der Rinckers etwa 50 Glocken gegossen, Glockenspiele inklusive. Das Familienunternehmen, das es bereits seit 1590 gibt, wird mittlerweile in der dreizehnten Generation von den Brüder Hanns Martin und Fritz Georg Rincker geleitet. Die schwerste bisher unter der Leitung der Brüder Rincker gegossene Glocke war mit 8,3 Tonnen die Glocke für den Dom zu Halberstadt, die sogar vor Ort gegossen wurde. Nachwuchsprobleme hat die Firma Rincker nicht – die vierzehnte Generation arbeitet bereits im Betrieb.
Text: Hannah Oechler