Kiosk Yok Yok-Inhaber Nazim Alemdar

Kiosk Yok Yok-Inhaber Nazim Alemdar

Wir l(i)eben das Viertel

„Das Bahnhofsviertel gibt mir das Gefühl, dass ich Frankfurter bin“

Nazim Alemdar, Inhaber von Frankfurts berühmtesten Kiosk Yok Yok, über Anpassungsfähigkeit, Zusammenhalt und die Probleme des Bahnhofsviertels

Nazim Alemdar ist der Inhaber des Kiosks Yok Yok im Bahnhofsviertel
Nazim Alemdar ist der Inhaber des Kiosks Yok Yok im Bahnhofsviertel © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Ben Kilb

Nazim Alemdar kann viel erzählen. Wer ihm zuhören möchte, muss sich aber darauf einstellen, dass er immer mal wieder unterbrochen wird. Denn in Alemdars Kiosk Yok Yok direkt gegenüber vom Hauptbahnhof kommen im Minutentakt Menschen rein, abends wird der Takt noch viel kürzer. Sie begutachten die Biersorten in den an den Wänden aufgereihten Kühlschränken, kaufen Getränke oder Tabak und unterhalten sich mit Alemdar. Viele von ihnen kennt der Kiosk-Chef schon lange. Und sie alle kennen ihn und seinen berühmten Kiosk, der bis August 15 Jahre lang in der Münchener Straße zu finden war und vor dem sich vor allem an den Wochenenden gut gelaunte Menschentrauben mit Getränken in der Hand zusammenfinden.

 

Ursprünglich hat der 65-Jährige im Bahnhofsviertel Kassetten, Videos und Kompaktdiscs verkauft – im Türk Müzik Marketi, dem türkischen Musikmarkt, zuerst in der Moselstraße, dann in dem kleinen Laden in der Münchener Straße, der später das Yok Yok wurde. „Bis in die 2000er Jahre lief das gut“, erzählt Alemdar. „Aber dann kam das Internet und plötzlich kamen die Leute in den Laden und wollten MP3s kaufen.“ Flexibel wie er ist, schuf er parallel zu seinem Geschäft einen Onlineshop und verkaufte dann über Amazon. „Ich hatte mehr als 5000 positive Bewertungen“, erinnert er sich.

 

Ein guter Rat vom Vater

 

Für den Laden in der Münchener Straße wurde es jedoch immer schwieriger. Also erinnerte sich Alemdar an einen Ratschlag seines Vaters: „Er hat mir gesagt: ,Du musst dich an deine Kundschaft anpassen. Es geht nicht um deinen Geschmack, sondern um ihren.‘“ So begann Alemdar, in seinem Geschäft auch Bier zu verkaufen, und aus dem Türk Müzik Marketi wurde das Yok Yok. Gar nicht so unähnlich wie bei seinem Vater: Dieser führte in den 1930er Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Konditoreien in Warschau und Lodz. Auf seinem Handy hat Alemdar eine ganze Sammlung alter Fotografien, eine zeigt die beiden Männer in einem ihrer Geschäfte in Polen, auf den Regalbrettern im Hintergrund reihen sich Hefezöpfe aneinander. Während des Zweiten Weltkriegs kehrte Alemdars Vater in seine Heimatstadt Ankara zurück. Dort verkaufte er nach dem Krieg an einem Stand aber nicht etwa Backwerk – sondern Bier. So verdiente er genug Geld, um zwei Jahre später eine eigene Konditorei eröffnen zu können. Auch Alemdar ist ausgebildeter Bäckermeister. Er zeigt auf ein sepiafarbenes Bild seines Onkels, der eine dreistöckige Cremetorte mit einer Spritztülle verziert. „Das kann ich auch“, sagt er lachend.

„Alle fühlen sich beteiligt, wie in einer Familie“

 

Wann genau das Yok Yok zu DEM Kiosk im Bahnhofsviertel wurde, weiß Alemdar gar nicht mehr so richtig. Das habe sich einfach so entwickelt. Heute ist es der Treffpunkt im Viertel und am Wochenende muss man sich geradezu durch Menschenmassen drängen, um zu Alemdars Verkaufstheke zu gelangen. Dennoch hat er nur zwei Mitarbeiter. Mehr braucht er nicht, Unterstützung bekommt er nämlich auch von anderer Seite: „Viele Kunden helfen hier mit. Sie fühlen sich beteiligt, wie in einer Familie“, sagt Alemdar. Das sei aber nicht nur im Yok Yok der Fall. „Im Bahnhofsviertel sind wir alle so. Es gibt keinen Tag, an dem wir uns hier nicht sehen, uns nicht gegenseitig helfen. Ich mache jeden Tag meine Runde durch das Viertel und spreche mit den Leuten“, erzählt der Inhaber. Egal ob Gastronomen, Ladeninhaber, Künstler oder Handwerker – sie alle sind im Bahnhofsviertel miteinander vernetzt. Nicht zuletzt durch seine Position als Vorsitzender des örtlichen Gewerbevereins ist der Kioskbesitzer mit allen in Kontakt. „Ich helfe den Leuten gerne dabei, sich im Bahnhofsviertel zurecht zu finden. Wenn mir zum Beispiel ein Kunde erzählt, dass er Hunger hat, frage ich ihn: ,Was willst du essen?‘ und dann empfehle ich ihm etwas Passendes“, sagt Alemdar, der die gastronomischen Angebote im Viertel in- und auswendig kennt.

 

Einen Zusammenhalt wie diesen gäbe es in Frankfurt nur im Bahnhofsviertel und genau das mache den kleinen Stadtteil so besonders. „Das ist unsere Stadt. Ich freue mich, dass ich mich Frankfurter nennen darf. Und das Bahnhofsviertel gibt mir das Gefühl, dass ich Frankfurter bin“, fasst Alemdar zusammen. „Ja, vielleicht streiten sich hier Leute laut auf der Straße. Aber man hilft sich auch.“

 

Den Menschen die Angst nehmen

 

Wer Alemdar das sagen hört, kann sich gar nicht vorstellen, dass sein Lebensmittelpunkt mal woanders als im Frankfurter Bahnhofsviertel lag. Dabei ist Alemdar in Ankara geboren, 1978 kam er nach Deutschland, wo er zuerst für zwei Jahre in Niedersachsen lebte. „Eigentlich war es Zufall“, erzählt er lachend. „Ich war gerade auf dem Rückweg mit dem Zug von der Schweiz in die Türkei. Als ich in Mailand umstieg, rief mich mein Cousin an und fragte, ob ich ihn nicht in Niedersachsen besuchen wollte. Ich fuhr für zwei Wochen hin. Dann lernte ich meine Frau kennen und aus den zwei Wochen wurden zwei Monate, dann Jahre.“ Seit 1980 ist er Frankfurt treu, die Stadt und vor allem das Bahnhofsviertel sind seine Heimat geworden.

 

Dass manche Menschen vor dem Bahnhofsviertel, das ihm so lieb ist, Angst haben, kann der Yok Yok-Chef aber auch verstehen. „Man hat Angst vor dem, das man nicht kennt“, sagt er. Dagegen gäbe es jedoch ein einfaches Rezept: „Wer Angst hat, soll mich anrufen. Ich hole die Leute direkt vom Bahnhof ab und führe sie herum. Dann sehen sie, dass sie keine Angst haben müssen.“ Das läge auch daran, dass dort zu jeder Tages- und Nachtzeit jemand wäre, vor allem auch die Polizei. „In anderen Stadtvierteln ist das nicht so. Wenn man da nachts unterwegs ist, ist man komplett allein“, sagt Alemdar. Wenn es nach ihm ginge, müsse die Präsenz der Polizei und der Stadtpolizei im Viertel aber noch weiter erhöht werden: „Kriminelle müssen spüren, dass an jeder Ecke eine Streife kommen kann. So können sich die Bewohner wirklich in Sicherheit fühlen.“

„Crack ist das Schlimmste“

 

Dass es im Bahnhofsviertel Probleme gibt, will Alemdar nicht bestreiten. Vor allem für die Drogenproblematik müsse eine Lösung gefunden werden. „Crack ist das Schlimmste hier – da muss etwas gemacht werden. Der Frankfurter Weg muss erweitert werden: Es muss Räume für Crack geben und im Umland müssen mehr Drogeneinrichtungen wie in Frankfurt eingerichtet werden“, führt er aus – 60 Prozent der Drogenkranken im Bahnhofsviertel kämen aus der Region in die Stadt. Das Viertel selbst könne dafür keine Lösung finden. „Das ist die Aufgabe der Politik. Hier müssen Stadt, Land und Bund zusammenarbeiten“, macht Alemdar deutlich.

 

Für sich selbst und sein Yok Yok hat er eine klare Linie für den Umgang mit drogenkranken Menschen geschaffen: „Ob jemand ein Junkie ist oder nicht, interessiert mich nicht. Ich bin kein Polizist, ich bin kein Arzt. Aber ich unterstütze niemanden dabei, seine Gesundheit kaputt zu machen“, erklärt er. Deshalb verkauft er ihnen keinen Alkohol. Fünf Minuten vorher sind zwei Männer hereingekommen, die jeweils eine Limo gekauft haben. „Das sind auch Junkies. Aber sie sind harmlos und mit der Limo tun sie sich nichts“, sagt Alemdar, der die meisten Suchtkranken im Viertel kennt und einordnen kann.

 

Auch wenn er selbst mit den drogensüchtigen Menschen umzugehen weiß, erhofft er sich dringend eine Lösung für deren Situation im Viertel. Die Einrichtung des städtischen Koordinierungsbüros sei schon mal ein Schritt in die richtige Richtung für das Bahnhofsviertel, vor allem, was die Vermittlung zwischen Ämtern und den Akteuren vor Ort angehe. „Die machen ihre Arbeit gut. Das hilft uns hier – wir merken das bereits“, sagt er. Wenn er sich noch etwas wünschen könnte, wäre das ein weniger verbauter Blick auf den Hauptbahnhof: „Jetzt schaut man zuerst auf die Betonmauern der Hochbeete. Wenn die Beete auf dem Boden wären, wäre das besser. Das Bahnhofsgebäude ist so schön, das sollte man ungestört sehen können!“ Tatsächlich fällt der Blick von den Fenstern des Yok Yoks auf eine wenig ansehnliche Mauer an der Straßenbahnhaltestelle, über der es grün wuchert, dahinter thront der Hauptbahnhof. Alemdars Kunden ist das egal. Am Abend werden sie wieder in Scharen vor dem Kiosk stehen und fröhlich seine große Auswahl an Biersorten durchprobieren. Einige von ihnen werden Alemdar beim Abkassieren helfen – und Teil der Yok Yok-Familie werden.

 

Text: Laura Bicker

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