Drogenreferatsleiter Artur Schroers

Drogenreferatsleiter Artur Schroers

Wir l(i)eben das Viertel

„Wir müssen uns an die Herausforderungen anpassen“

Im Interview spricht Dr. Artur Schroers, Leiter des Frankfurter Drogenreferats, über die Bemühungen der Stadt, die Situation der im Bahnhofsviertel lebenden Drogenabhängigen zu verbessern. Der Referatsleiter zählt erste Erfolge auf, benennt aber auch die Ursachen für komplexere Probleme und gibt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass Bund und Land für die von der Stadt forcierten Modellprojekte die rechtliche Grundlage schaffen.

Dr. Artur Schroers, Leiter des Frankfurter Drogenreferats
Dr. Artur Schroers, Leiter des Frankfurter Drogenreferats © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Ben Kilb
Herr Dr. Schroers, Sie leiten seit etwa einem Jahr das Drogenreferat. Einer Ihrer Arbeitsschwerpunkte ist das Frankfurter Bahnhofsviertel. Wenn Sie auf Ihr erstes Jahr zurückschauen: Welche Projekte konnten Sie bereits umsetzen – und hat sich die Situation bereits stabilisiert?

ARTUR SCHROERS:
Wir haben tatsächlich bereits einiges erreicht. So wurden zusätzliche Plätze in den Rauchräumen und in den Notübernachtungsquartieren geschaffen, das Nacht-Café als eine wichtige Anlaufstelle für Konsumierende hat nun auch tagsüber geöffnet und bei dem Streetwork-Projekt OSSIP wurden zwei zusätzliche Stellen mit Sozialarbeitern besetzt. Zudem wurde in der Einrichtung Weser 5 ein Hygienecenter mit Duschen und Toiletten eröffnet. Dieses Angebot wird bereits sehr gut angenommen. Nicht zuletzt hat das Koordinierungsbüro Bahnhofsviertel seine Arbeit aufgenommen und schon erste wichtige Impulse gesetzt.

Wenn Sie vor Ort im Bahnhofsviertel sind, was sticht Ihnen als Fachmann sowie als Privatperson als erstes ins Auge?

SCHROERS:
Darüber habe ich erst heute Vormittag nachgedacht, als ich am Hauptbahnhof auf die Straßenbahn gewartet habe. Der Bereich rund um den Bahnhofsvorplatz ist unheimlich eng. Der Straßenverkehr dominiert alles, sorgt für viel Unruhe und verknappt den wenigen Platz zusätzlich. Durch die vielen Passanten herrscht zudem große Hektik und Anonymität. Insgesamt gibt es im Viertel wenige attraktive Orte, um zu verweilen. Die vielen Baustellen verstärken diesen Eindruck zusätzlich. Der Drogenkonsum im öffentlichen Raum ist offensichtlich, da es genug Nischen für Konsum und Handel gibt. In den Zustand des Viertels spielen viele Themen aus den Bereichen Verkehr, Sicherheit und Soziales hinein. All dies wird von der Stadtverwaltung wahrgenommen und behandelt. Wir als Drogenreferat konzentrieren uns als Teil dieses Prozesses auf unsere Kernaufgabe, die Situation der Abhängigen im Viertel zu moderieren und zu verbessern.

In einigen deutschen Städten – beispielsweise in Düsseldorf oder Dortmund, aber auch in Frankfurt – ist seit einiger Zeit ein steigender Crack-Konsum zu beobachten. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf Ihre Arbeit aus?

SCHROERS:
Der Konsumdruck bei Crack ist extrem hoch: Der Rausch setzt nach wenigen Sekunden ein und hält nur wenige Minuten an. Zum Teil müssen Abhängige also alle zehn Minuten „nachlegen“. Zudem handelt es sich um eine extrem aufputschende Substanz mit einer noch stärkeren Wirkung als Kokain. Dies führt mitunter zu großer Aggressivität, der auch die Mitarbeitenden in den Konsumräumen und Streetworker ausgesetzt sind.

Wie lässt sich dieser Entwicklung aktiv entgegenwirken?

SCHROERS:
Wir haben gemeinsam mit anderen Experten während eines Crack-Fachtags in Frankfurt Handlungsempfehlungen erarbeitet. Unserer Ansicht nach könnte eine medikamentöse Behandlung helfen. Hierzu klären wir derzeit mit anderen Bundesländern und Kommunen die Zielrichtung und Möglichkeiten eines Modellprojekts zur pharmakologischen Behandlung bei Crackabhängigkeit. Zwar gibt es anders als bei Heroin kein klassisches Substitut für Crack. Aber es gibt positive Erfahrungen, etwa mit Amphetamin-Präparaten, welche die Konsumierenden zumindest zeitweise vom Crackkonsum abhalten und dem Schwarzmarkthandel entziehen können. Unser primäres Ziel ist es, ein kontrolliertes Setting für den Konsum dieser Substanzen zu schaffen und den Abhängigen Hilfe anzubieten.

Welche (Hilfs-)Angebote für Abhängige bietet Frankfurt, die es im Umland – oder in anderen Städten – so nicht gibt?

SCHROERS:
Das Angebot in Frankfurt ist deutschlandweit einzigartig: Über unsere Träger unterhalten wir vier Konsumräume, haben im Viertel eine gute und niedrigschwellige medizinische Versorgung, viele Substitutionsangebote und eine Heroin-Ambulanz, deren Zugänglichkeit durch restriktive Bestimmungen meines Erachtens nach jedoch zu eingeschränkt ist. Hier ist der Bund am Zug, diese Barrieren zu senken. Unser Ziel wäre es, die Konsumraumverordnung so anzupassen, dass sie auch für Crack-Konsumierende geeignet ist. Das Drogenhilfesystem muss sich an die Herausforderungen anpassen und das bedeutet, mit der dynamischen Entwicklung der Konsumgewohnheiten Schritt zu halten.

 

Welche Rolle spielen die Frankfurter Vereine und Initiativen in der Drogenhilfe?

SCHROERS:
Diese Freien Träger sind für uns extrem wichtige Partner. Wir planen, steuern und koordinieren die Angebote und helfen, Nahtstellen zwischen den einzelnen Einrichtungen zu schaffen. Die Drogenhilfeträger sind dabei wichtige Kooperationspartner. Während wir vorrangig lenken und unterstützen, obliegt es den Trägern, vor Ort konkret mit den Personen und deren Problemen zu arbeiten. Diese Aufgabenverteilung hat sich unserer Ansicht nach bewährt.

Frankfurt setzt sich sehr für Diversität und Antidiskriminierung ein. Inwieweit spielen diese Themen eine konkrete Rolle bei Ihrer Arbeit im Bahnhofsviertel?

SCHROERS:
Wir haben bei etlichen Studien zur Zusammensetzung der Szene tatsächlich eine hohe nationale beziehungsweise kulturelle Vielfalt nachgewiesen – wobei hier keine Bevölkerungsgruppe in besonderer Weise hervorsticht. Menschen, die aus einem anderen Land kommen, etwa, weil sie vor dem Krieg geflohen sind, haben oft bereits in ihrer Heimat und auf der Flucht Drogenerfahrungen gemacht. Die Hilfssysteme anderer Länder unterscheiden sich zum Teil radikal von unseren Strukturen. Oft wird mit Repression gearbeitet und infolge dessen haben Abhängige Angst vor Sicherheitskräften oder Hemmungen, Hilfsangebote anzunehmen. Gerade auch vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass Sozialarbeitende im Viertel die Sprache der Menschen beherrschen, mit denen sie arbeiten. An der Stelle bekommen aber auch wir den grassierenden Fachkräftemangel zu spüren. Deshalb müssen wir diesem wichtigen und sinnhaften Job, der unbedingt gemacht werden muss, zu einer positiveren Wahrnehmung verhelfen und auch die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden vor Ort im Blick behalten.  

Auf welche Vorhaben möchten Sie sich im kommenden Jahr konzentrieren?

SCHROERS: Ich möchte die eingangs erwähnten Handlungsempfehlungen unserer Crack-Tagung umsetzen. Dazu gehört, einen offenen Raum für Crack-Konsum im Viertel zu finden und einzurichten, um die Menschen von der Straße und in einen geschützten Raum zu lenken. Hierbei sind wir auf einem guten Weg. Weiter gilt es, einzelne Einrichtungen und Akteure im Hilfebereich im Viertel besser zu vernetzen. Zudem arbeiten wir am Modellprojekt zur legalen Abgabe von Cannabis und möchten unser Modellprojekt zum Drug-Checking vorantreiben. Bei den beiden letzten Punkten sind jedoch zunächst Bund und Land am Zug, bevor wir praktisch tätig werden können.

Interview: Mirco Overländer
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