Koordinierungsbüro Bahnhofsviertel

Koordinierungsbüro Bahnhofsviertel

Wir l(i)eben das Viertel

„Wir sind eine Art Schatzsucher“

Silja Polzin, Angela Freiberg und Dirk Herwig stellen sich im Koordinierungsbüro Bahnhofsviertel den Herausforderungen und Potenzialen des Viertels

v.l.: Silja Polzin, Angela Freiberg und Dirk Herwig, das Team des Koordinierungsbüros Bahnhofsviertel
v.l.: Silja Polzin, Angela Freiberg und Dirk Herwig, das Team des Koordinierungsbüros Bahnhofsviertel © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Holger Menzel

An einem sommerlichen Donnerstagmorgen, wenn in vielen Frankfurter Stadtteilen noch entspannte Ruhe herrscht, brummt im Bahnhofsviertel bereits das Leben. Auf so viele Arten, wie es in Frankfurt nur hier möglich ist, in diesem kleinen Stadtteil, der so viel in sich vereint. In der Münchener Straße rattert die Straßenbahn an den Gastronomen vorbei, die Tische und Stühle vor die Restaurants mit Spezialitäten aus aller Welt stellen. Zwischen den hohen Wohnhäusern der Kaiserstraße, die vom einstigen Glanz des Viertels erzählen, liegen an den Ständen des Wochenmarkts verschiedene Köstlichkeiten aus. In der Taunusstraße streiten sich zwei junge Männer unter den noch ausgeschalteten Leuchtreklamen eines Bordells. Und in der Niddastraße sitzt eine ausgemergelte Frau neben einem Müllberg auf der Straße – ob sie die Menschen, die unbeteiligt an ihr vorbeilaufen, wahrnimmt, ist schwer zu sagen.

 

Das alles, und noch vieles mehr, ist das Bahnhofsviertel. Ein Stadtteil, den jeder kennt, und zu dem jeder eine Meinung hat, positiv wie negativ. Ein Stadtteil mit scheinbar unendlich vielen Problemen – aber auch mit ebenso vielen Möglichkeiten, auch wenn diese in der öffentlichen Wahrnehmung oft in den Hintergrund treten. Um die Probleme anzugehen und ungenutztes Potenzial aufzudecken, hat die Stadt Frankfurt Anfang des Jahres das Koordinierungsbüro Bahnhofsviertel ins Leben gerufen. Hier arbeiten Silja Polzin, Angela Freiberg und Dirk Herwig.

 

Kein Tag wie der nächste

 

Das Koordinierungsbüro ist durch die Zusammenarbeit dreier Dezernate entstanden, welche die drei Mitarbeitenden entsandt haben. Silja Polzin, die im Dezember 2022 als erste ihren Posten im Bahnhofsviertel antrat, arbeitete früher im Gesundheitsamt und vertritt das Gesundheitsdezernat. Nur ein paar Tage später folgte ihr Dirk Herwig, der Ordnungsdezernentin Anette Rinn repräsentiert und mit elf Jahren Erfahrung in der Geschäftsstelle des Präventionsrates gut gerüstet ist. Im März kam Angela Freiberg hinzu, die vorher als Quartiersmanagerin in Preungesheim tätig war und nun für Sozialdezernentin Elke Voitl arbeitet. Dementsprechend haben alle drei unterschiedliche Schwerpunkte, sitzen aber auch oft gemeinsam an Projekten. Denn eins haben alle Aufgabenbereiche gemein: Eine Vielzahl an Akteurinnen und Akteuren, städtisch wie nicht-städtisch, sind im Bahnhofsviertel tätig. Sie alle an einen Tisch zu bekommen, ist die Kernaufgabe des Koordinierungsbüros.

 

„Wir haben auf jeden Fall einen extrem abwechslungsreichen Job“, sagt Silja Polzin lachend. „Hier ist kein Tag wie der nächste.“ Zu Beginn habe sie sich erst einmal einen Überblick verschaffen müssen. „Wir mussten uns viele Fragen stellen: Wer macht was? Welche Arbeitsgruppen gibt es? Welche Gremien gibt es? Und welche Probleme gibt es? Das stand am Anfang im Vordergrund. Wir mussten eine Bestandsaufnahme machen. Dazu gehörte vor allem, viele Menschen und viele Einrichtungen kennenzulernen“, erzählt die 54-Jährige.

 

Zwei Stunden für eine geklaute Tür

 

So vielfältig wie das Bahnhofsviertel sind auch die Aufgaben des Koordinierungsbüros. Dirk Herwig kategorisiert sie nach dem jeweiligen Auftraggeber. „Oberste Priorität haben die Aufgaben, die von der Politik an uns herangetragen werden. An zweiter Stelle stehen diejenigen, die die Ämter an uns herantragen. Und dann gibt es natürlich noch eine Vielzahl an Aufgaben, die sich aus Hinweisen aus der Bevölkerung ergeben“, erläutert der 54-Jährige. Erst vor Kurzen hat er genau so einen Fall bearbeitet: Dabei ging es um eine geklaute Tür. „Bei einem Grundstück in der Moselstraße hat plötzlich die Tür gefehlt. Der Bereich dahinter wurde schnell als WC und Ablageplatz für diversen Müll genutzt. Bewohner haben uns auf dieses Problem hingewiesen, und ich habe mich daraufhin direkt mit der Stadtpolizei in Verbindung gesetzt, die wiederum den Hausbesitzer kontaktiert hat. Ein paar Tage später war dann wieder eine Tür da“, berichtet Herwig. Eigentlich eine Kleinigkeit – aber zwei Stunden habe es schon gekostet, die richtigen Stellen anzurufen und anzuschreiben, bis am Ende alles geklärt war. Bei der Vielzahl an solchen Vorkommnissen im Bahnhofsviertel kann man sich vorstellen, dass auch Alltagsgeschäft viel Zeit des Koordinierungsbüros einnimmt.

„Die Kraft der gesamten Stadtverwaltung“

 

Im Mittelpunkt der Arbeit steht jedoch immer die Vernetzung mit den vielen Akteurinnen und Akteuren im Bahnhofsviertel. Das sind einerseits Menschen und Institutionen im Viertel selbst, von der sozialen Einrichtung über die Schule bis zum Sportverein. Aber es sind auch viele verschiedene städtische Ämter und Dezernate, die dort tätig sind: das Jugend- und Sozialamt, das Drogenreferat, das Ordnungsamt, das Stadtplanungsamt und so viele mehr. Dass auch das Koordinierungsbüro dezernatsübergreifend aufgestellt ist, ist für Herwig der Schlüssel dafür, im Bahnhofsviertel etwas zu erreichen: „Ein Dezernent alleine kann die Problematik nicht auflösen. Deshalb müssen alle Gewerke zusammenkommen und zusammenarbeiten. Dann steht die Kraft der gesamten Stadtverwaltung dahinter – und dann können wir auch etwas bewirken.“ Der Aufbau als dezernatsübergreifendes Büro war für alle drei Mitarbeitenden ein Grund, ihre jeweilige Stelle anzunehmen.

 

Um alle Involvierten von Seiten der Stadt an einen Tisch zu bringen, hat Silja Polzin ein Vernetzungstreffen der städtischen Mitarbeitenden organisiert. Auch die Zusammenarbeit mit dem Drogenreferat und weiteren Ämtern sowie Akteurinnen und Akteuren, um neue niedrigschwellige Räume für Angebote zu suchen, fällt in ihren Bereich. Dirk Herwig hat sich ebenfalls mit Aktiven aus dem Viertel in Verbindung gesetzt: Aktuell bereitet er ein Treffen mit Clubbetreiberinnen und Clubbetreibern aus dem Bahnhofsviertel vor, auch ein Meeting mit Immobilienunternehmen ist in Planung. Ziel ist es, sich darüber auszutauschen, was diese Akteurinnen und Akteure von der Stadt erwarten, und klar zu kommunizieren, welche Erwartungen erfüllt werden können – und welche nicht.

 

„Vernetzen, zusammenführen, Kommunikation schaffen – das ist das Wichtigste“, verdeutlicht auch Angela Freiberg, die den Bereich Soziales vertritt. Sie hat bereits einen Treff für Bewohnerinnen und Bewohner ins Leben gerufen, bei dem sich die Menschen, die im Bahnhofsviertel leben, miteinander austauschen können. „Meine Tage finden hauptsächlich draußen statt. Ich gehe in die Einrichtungen und in die Schulen und höre hin, welche Erwartungen an unser Büro gestellt werden“, erzählt sie. Die 54-Jährige ist auch für die Kinder und Jugendlichen im Viertel zuständig. Seit März konnte sie schon einiges für die jungen Bewohnerinnen und Bewohner des Bahnhofsviertels auf die Beine stellen: Dieses Jahr gab es ein Sommerferienangebot durch das Jugend- und Sozialamt im Viertel, zudem unterstützt das Koordinierungsbüro verschiedene Feste für Kinder und Jugendliche und stärkt die Vernetzung der Kinder- und Jugendhilfeangebote im Viertel, beispielsweise durch einen Newsletter für die Fachkräfte vor Ort. Weiterhin befinden sich verschiedene Formate für das sogenannte Quartier der kulturellen Vielfalt in der Planung. „Das ‚Quartier der kulturellen Vielfalt‘ zu fördern, ist meine Mission“, sagt Freiberg, die seit 17 Jahren selbst im Bahnhofsviertel lebt. „Der Raum hier ist zwar eng, aber ich wünsche mir, dass er auch weiterhin Menschen zur Verfügung steht, die in anderen Stadtteilen Schwierigkeiten haben, ihre Nische zu finden. Beispielsweise für die unglaublich vielfältigen Lebensmittelgeschäfte aller möglichen Kulturen sollte hier Platz bleiben. Dafür kommen Menschen aus anderen Stadtteilen und dem Umland hierher.“


Ärgernisse sind eine Frage der Perspektive

 

Da jede und jeder der drei Mitarbeitenden einen eigenen Bereich abdeckt und dementsprechend auch mit unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren in Kontakt kommt, werden die unterschiedlichsten Probleme und Bedenken an das Koordinierungsbüro herangetragen. Auffällig sei dabei, dass die Menschen auch unterschiedliche Dinge als am drängendsten im Bahnhofsviertel wahrnehmen. „Wir stellen in unserem regelmäßigen Statusbericht immer die fünf größten Ärgernisse im Viertel vor. Seitdem wir das machen, habe ich mir angewöhnt, jede Woche eine andere Person zu fragen, was sie persönlich als drängendstes Problem im Bahnhofsviertel wahrnimmt. Und es sind immer unterschiedliche Antworten – im Bahnhofsviertel ist alles eine Frage der Perspektive“, erläutert Freiberg.

 

Das zeigt sich auch schon bei ihrer Kollegin und ihrem Kollegen. Für Silja Polzin ist die Situation im öffentlichen Raum ein großes Thema im Viertel. „Viele Menschen halten sich auf den Straßen auf, weil sie keinen anderen Platz haben. Wir müssen einerseits Entlastung und Hilfsangebote für sie schaffen und andererseits dafür sorgen, dass sich alle im öffentlichen Raum wohlfühlen“, sagt sie. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, wäre es mehr Platz – mehr Bäume, breitere Fuß- und Radwege. Brücken aus dem Bahnhofsviertel seien deshalb besonders wichtig, ergänzt Polzin, die sich gerne unter den Palmen des Nizzas am Main eine Auszeit von der Hektik nimmt. „Auch das ist das Bahnhofsviertel!“

 

Dirk Herwig sieht es als Schwierigkeit an, dass oft sehr kleinteilig geplant werde. „Wenn wir uns bei der Betrachtung des Bahnhofsviertels beispielsweise nur auf einen Platz fokussieren, dann klappt das nicht. Man muss es größer angehen. Wir sind eine Art Schatzsucher – es ist unsere Aufgabe, die Potenziale, die hier liegen, auch zu heben, mittelfristig oder langfristig, und damit die Lebensqualität im Viertel anheben. Immer mit dem Gedanken ‚Bahnhofsviertel für alle‘, ohne Menschen zu verdrängen“, erklärt er.

 

„Wir haben das Gefühl, dass es jetzt jemanden gibt, der zuständig ist“

 

Für alle Menschen im Bahnhofsviertel erreichbar zu sein, ist ein wichtiges Ziel des Koordinierungsbüros. Und dieses Ziel scheinen Freiberg, Polzin und Herwig zu erreichen: „Es ist sehr viel in Bewegung und die Menschen spüren das. Wenn ich im Viertel unterwegs bin, bekomme ich oft gesagt: ‚Wir haben das Gefühl, dass es jetzt jemanden gibt, der zuständig ist‘“, sagt Angela Freiberg. Ein gutes Beispiel sei das viel diskutierte Thema der Essensverteilung, bei dem das Koordinierungsbüro bereits mitgearbeitet hat. „Das Thema hat die Leute vor Ort immer verärgert und für Unmut in vielen Bereichen gesorgt, egal ob bei Bewohner:innen oder Einrichtungen. Jetzt merken sie: Hier passiert plötzlich was. Hier wird ein alternativer Platz gesucht, hier wird eine Karte erstellt, hier wird kommuniziert. Es passieren ganz konkrete Sachen“, fährt sie fort. Alle drei betonen, dass sie sehr froh sind, sich dabei auf die Hilfe der städtischen Ämter und anderer Behörden verlassen zu können. „Ich bin berührt und begeistert über die Unterstützung, die uns angeboten wird“, sagt Freiberg.

 

Es gäbe aber auch eine Erwartungshaltung, die mit der Zeit wachse. „Wir stehen unter den Blicken der Öffentlichkeitsarbeit. Wir werden beobachtet – aus städtischer Sicht, aus der Sicht der Presse, aus der Sicht der Bewohner“, sagt Herwig. Denn so vielfältig das Bahnhofsviertel und seine Bewohnerinnen und Bewohner sind, so vielfältig sind auch die Meinungen und Erwartungen rund um den kleinen Stadtteil. Denn sie alle – der Gastronom, die Verkäuferinnen und Verkäufer auf dem Markt, die Bordellbesitzer, die Menschen auf der Straße – sind ein Teil des Viertels und sie alle haben eine eigene Vorstellung davon, was ihnen und ihrem Stadtteil gut tut. Es ist die Aufgabe von Polzin, Freiberg und Herwig, all diese Ideen, Wünsche und Probleme unter einen Hut zu bekommen – und wer einmal mit den dreien gesprochen hat, weiß, dass sie sich dafür mit voller Energie einsetzen.

 

Text: Laura Bicker

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