FAQ zu „100 Jahre Neues Frankfurt“

FAQ zu „100 Jahre Neues Frankfurt“

100 Jahre Neues Frankfurt

FAQ zu „100 Jahre Neues Frankfurt“

FAQ zu „100 Jahre Neues Frankfurt“

Wer war Ernst May?

Ernst May war von 1925 bis 1930 Stadtbaurat in Frankfurt und mit einer einmaligen Fülle administrativer Kompetenz ausgestattet.

Er war einer der Hauptinitiatoren des Neuen Frankfurt.

Geboren wurde Ernst May 1886 in Frankfurt, Studium der Architektur in London, Darmstadt und München (bei Theodor Fischer), Kontakt zur englischen Gartenstadtbewegung (Raymond Unwin).
Er plante in Frankfurt nach den Prinzipien der Trabantenstadt und des günstigen Bauens durch Typisierung, was damals revolutionär war.

Ernst May ging 1930 in Folge der Weltwirtschaftskrise mit vielen seiner Kollegen und Kolleginnen in die UdSSR, wo ausländische Fachleute gesucht wurden, kehrte nach Ende seines Vertrages wegen seiner jüdischen Mutter allerdings nicht nach Deutschland zurück, sondern emigrierte 1934 nach Ostafrika. Bis 1954 arbeitete er dort als Architekt (und kurze Zeit als Kaffeefarmer), anschließend bis zu seinem Tod 1970 als Architekt und Städtebauer in der Bundesrepublik Deutschland.

Wer war Ludwig Landmann?

Ludwig Landmann war seit 1924 Oberbürgermeister von Frankfurt.

Landmann war studierter Jurist, vormals Stadtsyndikus in Mannheim, ab 1916 Dezernent für Wirtschaft, Verkehr und Wohnungswesen in Frankfurt.

Seine politische Agenda: Der Ausbau Frankfurts zu einem Handelszentrum und Verkehrsknotenpunkt und die Idee der engen Zusammenarbeit in der Rhein-Main-Region, Lösung der Wohnraumfrage, Modernisierung der Stadt Frankfurt, Gewinnung von renommierten Fachleuten auf allen Gebieten der Stadtverwaltung und des öffentlichen Lebens.

Ludwig Landmann war es auch, der den jungen Ernst May als Stadtbaurat engagierte.

Wegen seiner jüdischen Wurzeln wurde Landmann 1933 von den Nazis aus dem Amt gedrängt, es folgte ein Umzug nach Berlin, 1939 die Flucht in die Niederlande, 1945 stirbt Ludwig Landmann dort im Versteck an Unterernährung.

Was genau versteht man unter dem „Neuen Frankfurt“?

Das Neue Frankfurt war ein umfangreiches Stadterneuerungsprogramm, das durch die gleichnamige, von Ernst May herausgegebene Zeitschrift, international berühmt wurde.

Architekten, Städtebauer, Designer und Künstler entwerfen im städtischen Auftrag unter anderem Siedlungen, Häuser, Möbel, Einrichtungsgegenstände, Grafik für städtische Drucksachen, Leitlinien für die Gestaltung privater Projekte – vom Haus bis zum Werbeerzeugnis.

Wie viele Siedlungen und Wohnungen hat Ernst May unter Oberbürgermeister Ludwig Landmann in den Jahren 1925 bis 1930 in Frankfurt gebaut?

Je nach Zählweise entstanden in Frankfurt zwischen 20 und 25 Siedlungen und Wohnhausgruppen – einige wurden erst nach dem Weggang Ernst Mays und mit verändertem Planungsansatz realisiert, das Altenheim der Budge-Stiftung wird gelegentlich als Siedlung mitgezählt.

Welche anderen gesellschaftlichen Bereiche neben Stadtplanung und Wohnungsbau umfasste die Bewegung „Neues Frankfurt“ noch?

Kunst und Kultur: Grafik, Bildende Kunst, Theater, Film, Rundfunk und besonders die Städelschule lieferten in dieser Zeit wertvolle Beiträge zur Entwicklung der Moderne.

Verkehr und Infrastruktur: Begradigung und Kanalisierung der Nidda, großangelegte Verkehrsplanung wie die Autobahn HaFraBa (Hamburg – Frankfurt – Basel, die heutige A3, von den Nationalsozialisten als eigene Planung ausgegeben und umgesetzt).

Etablierung Frankfurts als Stadt für internationale Messen und Zusammenkünfte („Sommer der Musik“ 1927, Internationaler Architektenkongress CIAM 1929).

Parallelentwicklung ohne direkte Kontakte: Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno und Max Horkheimer.

Frankfurter Zeitung als eine der wichtigsten Zeitungen Deutschlands.

Sport: 1925 Eröffnung einer der modernsten Sportstätten des Landes rund um das Stadion im Stadtwald.

Welche Rolle spielte in dem Gesamtkonzept die sogenannte „Frankfurter Küche“ von Margarete Schütte-Lihotzky?

Die Frankfurter Küche war im Grunde die erste Einbauküche und galt damals als eine große Innovation.

Nahezu jede Wohnung, die im Rahmen des Neuen Frankfurt realisiert wurde, war mit einer Frankfurter Küche ausgestattet. Es gab Varianten je nach Wohnungsgröße.

Die Idee war es, die Hausarbeit soweit zu rationalisieren, dass sie möglichst wenig Zeit in Anspruch nahm und die Eltern beide berufstätig sein konnten.

Die Küche sollte Fortschritte in der Hygiene bei der Zubereitung von Mahlzeiten bringen und einfach zu säubern sein.

Die Frankfurter Küche war der Gegenentwurf zur Wohnküche: Essen und Kochen sollten räumlich getrennt werden.

Welche Rolle spielten grundsätzlich die Frauen im „Neuen Frankfurt“?

Die „neue Frau“ war ein Role model in der Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ und wurde zur Identifikation genutzt.

Frauen wie Margarete Schütte-Lihotzky (erste Architektin Österreichs und Erfinderin der Frankfurter Küche), Grete Leistikow (Grafikerin) oder Ilse Bing (Fotografin) lieferten entscheidende Beiträge zu dem Projekt.

Aber: Das Rollenverständnis vieler Vertreter des Neuen Frankfurt war vergleichsweise konservativ, die Berufstätigkeit von Frauen wurde lediglich als nicht zu vermeidende wirtschaftliche Notwendigkeit gesehen, weniger als emanzipatorischer Schritt.

Schütte-Lihotzky wurde gerade in der politisch rechten Presse Frankfurts viele Male geschlechtsspezifisch angegriffen und ihre Arbeit ins Lächerliche gezogen.

Was versteht man unter dem „Frankfurter Register“?

Eine Beilage zur Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“, die als besonders modern geltende Möbel, Haustechnik oder Hausrat bewarb – meist direkt im städtischen Auftrag entworfen, von Frankfurter Firmen hergestellt oder im Frankfurter Umfeld entstanden (etwa an der Städelschule).

Was war das „Lampionfest“?

In den Siedlungen Römerstadt, Bornheimer Hang, Riederwald und Heimatsiedlung organisierten die Anwohnerinnen und Anwohner am 4. Juli 1931 ein großes Fest mit tausenden Lampions.

Die Veranstaltung entstand auf Initiative des Kleingärtnerverbands. Er initiierte erstmals ein Fest gemeinsam mit den Siedlern, um für die Attraktivität des Neuen Frankfurt zu werben.

Kleingärtner schmückten ihre Parzellen mit Fahnen, bunten Lampions und Lichterketten. Die Siedler beleuchteten ihre Fenster mit Kerzen und Laternen. Ein Feuerwerk von der Bastion des Nußbergs bildete den krönenden Abschluss des Lampionfestes. Mehr dazu lesen Sie hier: LampionfesteInternal Link

Welche Parallelen gibt es zwischen damals und heute? Wo haben sich die Dinge verändert?

Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum beschäftigt Frankfurt auch heute noch.

Ansätze wie der genossenschaftliche Wohnungsbau und typisierte Bauverfahren haben sich bewährt.

Die Idee des Wohnens am Grüngürtel als Naherholungsgebiet (Siedlungen Römerstadt, Praunheim, Westhausen) ist nach wie vor aktuell und beliebt.

Die Bedeutung des ÖPNV wurde bereits im Neuen Frankfurt erkannt.

Die Einbauküche ist heute Standard.

Die Idee der Trabantenstadt und der strengen Aufteilung von Städten nach Funktionen ist überholt.

Eine derartige Geschwindigkeit bei Planungs- und Bauprozessen ist heute unvorstellbar, aber ein Ideal, dem es nachzueifern gilt.

Das Neue Frankfurt informierte zwar umfassend über seine Projekte, Möglichkeiten der bürgerschaftlichen Beteiligung waren aber begrenzt. Hier sind wir heute weiter

Welchen Einfluss hatten die „Köpfe“ des Neuen Frankfurt nach ihrer Zeit in Frankfurt noch weltweit? Wo waren sie aktiv und was ist dort passiert?

Während der Weimarer Republik war das Neue Frankfurt in Architektenkreisen und darüber hinaus sehr bekannt. Die Nationalsozialisten brachen mit dem Projekt als „Kulturbolschewismus“. Im Gegensatz zum Bauhaus, das über Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe in den USA nachhaltig als Symbol der Moderne verankert wurde, waren die Köpfe des Neuen Frankfurt öffentlich nach 1933 kaum noch zu hören.

Ernst May wurde Architekt in der UdSSR und Leiter eines staatlichen Wohnungsbautrusts. Er entwarf dort neue Wohnstädte für Industriestandorte in kurzer Zeit. Sie wurden allerdings nur zum Teil realisiert, zum Beispiel Magnitogorsk am Ural oder Nowokusnezk in Sibirien. Weitere Frankfurter Kollegen und Kolleginnen arbeiteten in der UdSSR mit ihm zusammen: Margarete Schütte-Lihotzky und Wilhelm Schütte, Walter Schwagenscheidt, Mart Stam, Hans und Grete Leistikow unter anderem.

1934 emigrierte Ernst May nach Ostafrika, war dort bis 1954 als Architekt (und kurze Zeit als Kaffeefarmer) tätig. Erstellte Privatbauten und Planungen für Großbritannien: Generalbebauungsplan von Kampala (Uganda, damals britische Kolonie). Anschließend bis zu seinem Tod 1970 war er Architekt und Städtebauer in der Bundesrepublik, unter anderem für die Neue Heimat. Projekte: Neue Vahr Bremen, Hamburg Neu Altona, Darmstadt Kranichstein (letztes Projekt).

Martin Elsaesser: Öffentlich durch die Nationalsozialisten massiv diffamiert, während der Jahre des „Dritten Reichs“ als Privatarchitekt tätig, einzelne Bauprojekte in der Türkei. Nach Ende des Krieges Hochschullehrer in München, Tod 1957.

Margarete Schütte-Lihotzky blieb bis 1937 in der Sowjetunion und entwarf Kindergärten. Anschließend arbeitete sie in der Türkei und unterstützte den österreichischen Widerstand, organisiert von der KPÖ. 1941 wird sie bei einem konspirativen Auftrag in Wien enttarnt, entging nur durch Glück der Todesstrafe und war bis Kriegsende in Haft. In der Nachkriegszeit war sie als Architektin in Wien tätig, theoretische Arbeit und enge Kontakte in realsozialistische Länder, wegen ihrer politischen Tätigkeit als Kommunistin bekam sie kaum Aufträge im Westen. Sie ärgerte sich, Zeit ihres Lebens auf die Frankfurter Küche reduziert zu werden. Verstorben im Jahr 2000.

Ferdinand Kramer: Emigrierte mit seiner jüdischen Ehefrau 1938 in die Vereinigten Staaten, arbeitete hier hauptsächlich als Designer und stand im Kontakt mit dem emigrierten Institut für Sozialforschung. 1954 Rückkehr nach Frankfurt und Bau des Unicampus Bockenheim als Universitätsbaudirektor. Verstorben im Jahr 1985.

Zahlreiche Architekten aus der „2. Reihe“, wie Max Bromme, Adolf Miersch oder Herbert Boehm blieben in Frankfurt und Deutschland und konnten ihre Tätigkeit im Nationalsozialismus fortsetzen. Werner Hebebrandt sowie Hans und Grete Leistikow kehrten nach ihrer Tätigkeit in der Sowjetunion noch in den 1930ern nach Deutschland zurück.

Welche Rolle spielte der Sport im Zusammenhang mit dem „Neuen Frankfurt“?

Körperlichkeit und Gesundheit spielten eine große Rolle im Neuen Frankfurt.

Dahinter stand die Idee der „Menschmaschine“, die durch Licht, Luft, Sonne sowie körperliche Betätigung in Schuss gehalten wird.

Der Bau von Sportplätzen und Stadien war eine zentrale kommunale Aufgabe in der Weimarer Republik, Frankfurts 1925 eröffneter neuer und riesiger Sportpark war sehr bekannt.

1925 fand die Erste Internationale Arbeiterolympiade in Frankfurt statt, ebenso das Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft der Herren (FSV Frankfurt verliert 0:1 gegen 1. FC Nürnberg).
Frankfurt bewirbt sich für die Olympischen Spiele 1936, unterliegt letztlich Berlin.

Die antikisierende Form des Frankfurter Stadions (noch von Mays Vorgänger Schaumann realisiert) passt nicht zur Architektursprache des Neuen Frankfurt, das Bauwerk wurde von Ernst May und Kollegen trotz seiner Modernität kaum erwähnt.