100 Jahre Waldstadion: „Hier sollte ein Ort des Friedens und der Eintracht entstehen“
Warum das städtische Stadion im Stadtwald entstand und wie dessen Bau mit der Idee des „Neuen Frankfurt“ zusammenhängt.

2025 feiert nicht nur das Stadterneuerungsprogramm „Neues Frankfurt“ 100. Jubiläum, auch die Heimspielstätte der Frankfurter Eintracht im Stadtwald wird ein Jahrhundert alt. Im Gespräch mit Mirco Overländer erklärt der Leiter des Eintracht-Museums Matthias Thoma, wie es an dieser Stelle zum Stadionbau kam und wie die Errichtung der Sportstätte mit der gesellschaftlichen und architektonischen Geisteshaltung der 1920er Jahre zusammenhängt.
Herr Thoma, wie
kam es zum Entschluss, ein Stadion samt Sportpark mitten im Stadtwald
zu errichten?
MATTHIAS THOMA: Das hängt mit der Sportentwicklung in Deutschland zusammen: Fußball begann um die Jahrhundertwende, die Vereine wurden gegründet und haben sich zunächst eigene Stadien und Anlagen errichtet. In Frankfurt waren das der Rosegger-Sportplatz, der FSV-Sportplatz an der Seckbacher Straße und ab 1920 der Riederwald. Da der Sport ganz allgemein nach dem Ersten Weltkrieg immer populärer wurde, hat die Stadt die Notwendigkeit erkannt, ein eigenes städtisches Stadion zu errichten. Die ersten Pläne hierfür kamen schon vor dem Ersten Weltkrieg auf, 1919/1920 wurde ein erster Spatenstich durch Inflation und die schlechte Wirtschaftslage ausgebremst. Richtig los ging es dann am 25. August 1921, als der Beschluss zum Bau gefasst wurde. 1925 erfolgte dann die Eröffnung des Stadions.
Aber warum wurde
das Stadion im damals schon nicht zentral gelegenen Stadtwald gebaut?
THOMA: Mit einem Augenzwinkern könnte man sagen, im Sinne der
Nachkriegszeit sollte ein Ort des Friedens und der Eintracht
entstehen. An der Stelle des Stadions stand damals ein militärischer
Schießplatz. Nach den Versailler Verträgen durfte Deutschland keine
militärische Infrastruktur mehr besitzen. Die Idee war daher,
entweder am Flughafen am Rebstock oder auf dem Schießplatz im
Stadtwald zu bauen. Die Wahl fiel auf den Stadtwald, weshalb die
Gegentribüne des Stadions auf einem Erdwall, der zuvor als Kugelfang
diente, errichtet wurde. Das Praktische daran: Durch den Erdwall
konnte man die Arbeiten des Tribünenfundaments extrem beschleunigen.
Diesen Wall erkennt man übrigens bis heute: Das Höhengefälle vor der
Haupttribüne ist nämlich ein anderes als vor der Gegentribüne. Das
merkt man, wenn man das Stadion umrundet.
Und inwiefern
hängt der Bau des Stadions mit der Idee des „Neuen Frankfurt“
zusammen?
THOMA: Dieses Stadion orientiert sich direkt an der Idee des „Neuen
Frankfurt“, da es als eine Sport-Kultur-Erholungsanlage geplant
wurde. Dazu zählten ein Licht- und Luftbad, das Stadionbad, die
Radrennbahn, ein Turnplatz, das Waldtheater, der Reitplatz, wo später
die Wintersportanlage stand, und ein zentraler Platz für
Massenturnübungen. Das Konzept ist übrigens vergleichbar mit der
Sportanlage rund um das Müngersdorfer Stadion in Köln. Mit dem
Unterschied, dass wir Frankfurter sogar eine 500 Meter lange Laufbahn
hatten. Und das Stadionbad war übrigens das erste Schwimmbad in ganz
Frankfurt, das ohne Fluss auskam, also ohne natürliche
Wasserversorgung.
Was war das
Besondere am Bau des Stadions?
THOMA: Ganz klar die Idee eines öffentlich zugänglichen Sportparks.
Bis heute existieren rund ums Stadion drei Kilometer öffentlich
zugänglicher Wanderwege. Auch die Idee, Kultur und Sport miteinander
zu verbinden, galt als innovativ. So gab es eine in die Haupttribüne
integrierte Bibliothek und sogar Künstler-Ateliers der Städelschule.
Diese Mischung hat sich im Laufe der Jahre allerdings nicht bewährt,
denn es hat sich gezeigt, dass den Kunstschaffenden die Wege zu weit
waren.
Gab es auch
architektonische Brüche?
THOMA: Allerdings! Die einem klassizistischen-antiken Theater nachempfundene Haupttribüne passte gar nicht zur Idee des „Neuen Frankfurt“. Der Plan war, das Stadion zugleich als Ort der Kultur und insbesondere für Theateraufführungen zu nutzen. Das war aber von Anfang an unter sportlichen Gesichtspunkten unpraktisch. Durch die aufwendige Architektur gab es auf der Haupttribüne viel zu wenig Plätze und gerade mal 2500 waren überdacht. Die Gesamtkapazität lag bei circa 35.000 Plätzen.
Die heutige Heimspielstätte der
Eintracht hat architektonisch wenig mit ihrem Vorgänger gemein.
Finden sich rund ums Stadion denn noch Spuren des „Neuen Frankfurt“?
THOMA: Was ich am Frankfurter Stadion so toll und bemerkenswert
finde, ist der Umstand, dass es trotz aller baulicher Veränderungen
immer an selbiger Stelle beheimatet war und ist: Dieser historische
Fußballort hat alle Umbauten überdauert. Von der historischen
Ursprungsanlage ist nicht mehr viel erhalten, aber man findet
beispielsweise noch Treppen aus den Anfangstagen. Wo jetzt der
Kletterpark ist, sind noch immer die alten Treppenstufen des
Turnplatzes zu sehen. An der Mörfelder Landstraße kurz vor der
Tankstelle findet sich eine Treppe, die einst vom Fahrradstellplatz
zum Haupteingang führte.
Auch die frühere Wintersporthalle ist ein Überbleibsel dieses alten Stadions. Diese wurde etwas später auf dem Gelände des ehemaligen Reitplatzes errichtet und dient inzwischen als Kabinentrakt für die Eintracht-Frauen und andere Vereinssport-Disziplinen. Der Zehn-Meter-Turm im Stadionbad musste zwar erneuert werden, befindet sich aber an selbiger Stelle wie vor 100 Jahren. Auch etwas von der Kunst am Bau, etwa die Bronzefigur „Die Startende“ am Haupteingang des Stadions, ist in Teilen erhalten. Andere Kunstwerke und Skulpturen sind über die Jahre verloren gegangen. An der Radrennbahn etwa stand eine Statue des ersten Deutschen Radweltmeisters August Lehr. Diese wurde 2002 gestohlen. Man vermutet, dass sie eingeschmolzen und so zu Geld gemacht wurde. Lediglich der Lorbeerkranz, den August in der Hand hielt, ist erhalten geblieben.
Vor 100 Jahren
herrschte eine besondere Aufbruchsstimmung in der Stadt, die
Architektur, Sport und den Glauben an die Moderne
vereinte. Inwiefern zahlt diese Stimmung bis heute in die DNA
der Frankfurter Eintracht ein?
THOMA: Diese Entwicklung war nicht so entscheidend für den
Gründungsmythos des Vereins. Denn die Eintracht wurde ja schon 1899
gegründet, die Turngemeinde gab es schon seit 1861. Die Eintracht war
1925 in Frankfurt schon „etabliert“. Für den Arbeitersport war die
Eröffnung des Stadions hingegen sehr wichtig. 1925 fand im
funkelnagelneuen Stadion die erste Internationale Arbeiter-Olympiade
statt. Das war eine hochpolitische Veranstaltung, da sie ein
Gegenentwurf zu den bürgerlichen Olympischen Spielen war. Für die
Vereine war der Stadionbau ein weiterer Schritt der Etablierung. Für
die Eintracht und den FSV war es bisweilen auch ein Ärgernis. Denn es
gab die Vereinbarung, dass Endrundenspiele im städtischen Stadion
stattzufinden hatten und nicht etwa am Riederwald oder am Bornheimer
Hang, wo die Vereine keine Miete hätten zahlen müssen.
Es gab also eine
parallele Nutzung verschiedener Stadien?
THOMA: Ja, die Heimat der Eintracht war bis 1963 der Riederwald.
Endrundenspiele oder Europapokal-Partien sowie große Derbys wurden
jedoch im Stadtwald ausgetragen. 35.000 Plätze waren dafür zu wenig,
die gab es auch am Riederwald. 1936 wurde das Stadion im Stadtwald
daher auf 50.000, im Jahr 1955 zwischenzeitlich gar auf bis zu 90.000
Plätze erweitert. Besucherrekord ist bis heute übrigens das
Endrundenspiel 1959 gegen den SK Pirmasens, das die Eintracht mit 3:2
gewann und das 81.000 Zuschauer verfolgten. 1959 waren auch die
Offenbacher Kickers in der Endrunde dabei und durften ihre Spiele
hier austragen. Das belegt die Weltoffenheit des Frankfurter
Fußballkosmos (lacht).
Ist die
Sportstätte im Stadtwald aus Ihrer Sicht exklusive Heimat der
Eintracht?
THOMA: Dieses Stadion ist schon unsere Heimat. 1980 haben wir hier
den UEFA-Cup-Sieg gefeiert, die übrigen Titel haben wir ja alle in
der Fremde geholt. Aber auch der FSV hat 1925 das Endspiel um die
Deutsche Meisterschaft gegen Nürnberg hier ausgetragen – und
verloren. Hinzu kommen fünf DFB-Pokal-Finals im Waldstadion sowie
zwei DFB-Pokal-Finalpartien der Frauen. Dann gab es ja noch diverse
Länderspiele, je zwei Männer-WMs und Europameisterschaften.
Aber auch Muhammad Ali hat hier 1966 geboxt. Marika Kilius ist hier
in der eigens umfunktionierten Radrennbahn Schlittschuh gelaufen. Ob
Fußball, Eishockey, Feldhockey, Bahnrad-Weltmeisterschaften in den
1920ern und 1950ern: Im Stadtwald ist vor 100 Jahren eine Sportanlage
für alle professionellen Ansprüche entstanden. Dabei war die Anlage
auch Vorreiter bei musikalischen Großveranstaltungen: 1970 fand auf
der Radrennbahn mit dem dreitägigen „Open Air Rock Circus“
deutschlandweit das erste internationale Open-Air-Festival statt. Mit
dabei waren Bands wie Deep Purple und Ozzy Osbourne.
Am 21. Mai 1925
wurde das Stadion samt einer 500 Meter langen Laufbahn offiziell
eröffnet. Was plant die Eintracht zum Jubiläum?
THOMA: Wir haben eine Veranstaltungsreihe im Museum samt
Jubiläums-Kollektion und einer Sammlung mit fünf verschiedenen
Medaillen zur Geschichte des Stadions geplant. Auch werde ich am Tag
der offenen Tür im Rathaus Römer am 17. Mai einen Vortrag über die
Geschichte des Stadions halten. Zudem gibt es ein Jahrbuch in unserem
Museum und ein Sportfest rund ums Stadion am 17. Mai.