Das Amt im Dritten Reich

Das Amt im Dritten Reich

Das Amt im Dritten Reich

Geschichte

NS Gesundheitspolitik

NS-Zeit © Historisches Museum Frankfurt - Stadt Frankfurt am Main

Volksgesundheit statt Fürsorge – Das Amt im Dritten Reich
Die Nationalsozialisten sahen im Gesundheitswesen „eine der Säulen, auf denen sich der Aufbau des Dritten Reiches“ vollziehen sollte. Zugleich beinhaltete diese Politik die Abkehr vom individuellen Fürsorgewesen der Weimarer Republik und die konsequente Durchsetzung rassenhygienischer Prinzipien. Gesundheit stand nun für Leistungs- und Einsatzfähigkeit, die dem „Volkskörper“ dienen sollte. Wer dem Ideal entsprach, erfuhr Aufwertung und materielle Unterstützung, etwa in den Säuglingsberatungsstellen. Wer krank war, wurde sozial ausgegrenzt. Mithilfe von gesetzlichen Vorgaben, etwa dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von Januar 1934, setzten die Nationalsozialisten diese Ziele durch.
Bereits 1933, gerade mal drei Monate nach der Machtübernahme, waren dafür der sozialdemokratische Amtsleiter, Karl Schlosser, seine Vertreter, zahlreiche Institutsleiter, Ärztinnen und Ärzte, meist jüdischen Glaubens, entlassen und durch Mitglieder der NSDAP ersetzt worden. Allein im Haushaltsjahr 1934/35 traf es 58 städtische Bedienstete des Gesundheitsamtes, darunter Ärzte und Fürsorgerinnen.

Frankfurt wurde zu einem der Zentren der nationalsozialistischen Rassenforschung – ab 1935 auch durch Professor Otmar Freiherr von Verschuer, der an der städtischen Universität, unter anderem assistiert von Josef Mengele, dem späteren Lagerarzt von Auschwitz, tätig war. Per Gesetz war schon ein Jahr zuvor die „Erb- und Rassenpflege“ zum Schwerpunkt der Arbeit in den Gesundheitsämtern erklärt worden. Sie zielte darauf ab, durch „Ausmerze und Auslese“ die Fortpflanzung mutmaßlich erblich belasteter Personen zu verhindern. Eine entsprechende Abteilung sollte die Bevölkerung der Stadt möglichst flächendeckend erfassen. Dazu wurde eine Erbkartei mit Verweisen auf Akten mit persönlichen Informationen über Abstammung und mögliche Erbkrankheiten jedes und jeder Einzelnen angelegt. Diese Informationen stammten nicht nur aus unterschiedlichen Beratungs- und Fürsorgestellen, sondern auch aus Kranken- und Schulakten – meist unter Verletzung der ärztlichen und fürsorgerischen Schweigepflicht.

1933 befanden sich rund 30.000 Karteikarten zu einzelnen Personen in den Register­schränken. Zehn Jahre später sollen es rund 420.000 gewesen sein. Damit hatte man mehr als zwei Drittel der damals rund 550.000 Frankfurterinnen und Frankfurter erbbiologisch erfasst und eine der größten Erbkarteien Deutschlands zusammengetragen. Die Einträge oder Querverweise konnten über das Schicksal von Menschen entscheiden, die zum Beispiel heiraten – wofür ab 1935 ein Ehetauglichkeitszeugnis des Gesundheitsamtes notwendig war –, ein Kind adoptieren oder eine Stelle im städtischen Dienst antreten wollten.

Sie wurden genutzt, um Menschen in Heilanstalten einzuweisen, wo einige von ihnen später nachweislich Opfer des systematischen Massenmordes an den Insassen wurden. Darüber hinaus konnte das Gesundheitsamt Menschen anzeigen und aufgrund einer mutmaßlichen Erbkrankheit ein Verfahren zur Unfruchtbarmachung einleiten. Erbkrank im Sinne des Gesetzes waren Menschen mit „angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein“, aber auch mit „erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schwerer erblicher körperlicher Missbildung“ sowie schwere Alkoholiker. Diagnosen wurden zudem mit der Definition „moralischer Schwachsinn“ kombiniert, häufig bei Frauen, die der Prostitution verdächtigt wurden. In den eigens für die Prozesse eingerichteten Erbgesundheitsgerichten entschieden Ärzte des Gesundheitsamtes mit über die Verfahren. Aus den heute noch erhaltenen Akten sind allein rund 3.200 Fälle von Betroffenen bekannt, von denen mindestens 73 Prozent zwangssterilisiert wurden.

 

©Text: Sabine Börchers

inhalte teilen