Wo Vielfalt in der Pflege gelebt wird
Teil 5 der Feature-Serie zum ersten Frankfurter Pflegepreis: das Diversitätsprojekt „Wir l(i)eben Vielfalt – Diversität, Inklusion und Migrationsgeschichte(n)“
Ein stilisierter Schwan mit kunterbunten Federn, dessen Flügel ein großes Herz bilden. Dieses Werk des queeren Künstlers Levy Silva a.k.a. Zhion, das über dem Eingang des Agaplesion Schwanthaler Carrée prangt, steht sinnbildlich für das, was hinter der Fassade des Pflegeheims gelebt wird: Hier sind alle Menschen willkommen, egal woher sie stammen, welche Religion oder Hautfarbe sie haben, egal, wen sie lieben, ob sie queer sind oder trans* oder cis. Hier soll niemand von niemandem diskriminiert werden. Oder, wie Cornelia Sciborski es ausdrückt: „Wir begegnen allen Menschen mit Respekt!“
Cornelia Sciborski ist Pflegedienstleiterin im „Schwani“, wie Mitarbeitende des Agaplesion Schwanthaler Carrée ihre Pflegeeinrichtung nennen. Und im Schwani hat Diskriminierung keinen Platz. Mit ihrem Diversitätsprojekt „Wir l(i)eben Vielfalt – Diversität, Inklusion und Migrationsgeschichte(n)“ will die Einrichtung ein Miteinander ohne Vorurteile fördern. Das Projekt, dessen Konzept Tom Dörr, Florian Scheib, Cornelia Sciborsiki und Carolin Zimmer für den Frankfurter Pflegepreises eingereicht haben und das zu den fünf Finalisten zählt, verfolgt zwei Ziele: eine diversitätssensible und bedürfnisorientierte Pflege zu gewährleisten und ein sicherer Arbeitgeber zu sein für queere Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte und neurodiverse Menschen, die beispielsweise ADHS, Legasthenie oder eine Autismus-Spektrumsstörung aufweisen. „Wir wollen mit unserem Projekt alle Aspekte von Diversität berücksichtigen und die Bedürfnisse aller Menschen in den Fokus rücken, die unter unserem Dach zusammentreffen – Bewohnerinnen, Bewohner, Angehörige, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Schülerinnen und Schüler und auch Angehörige“, sagt die Pflegedienstleiterin.
Diskriminierung kann in der Gesellschaft in vielerlei Konstellationen vorkommen und ist somit auch in der Pflege möglich. Die Kollegin, die ein Kopftuch trägt und fürchtet, vom Team ausgrenzt zu werden. Der Bewohner, der sich nicht von einem schwarzen Pfleger pflegen lassen will oder die Bewohnerin, die nicht mit einem anderen Bewohner am Tisch sitzen möchte, weil dieser homosexuell ist – all dies sind mögliche Beispiele von Diskriminierung, die nicht im Agaplesion Schwantahler Carrée vorkommen, auf die das Team aber reagieren würde, würde es davon erfahren. „Sollte es zu einem Fall kommen, liegt uns daran, gut und sensibel damit umzugehen und das Gespräch zu suchen. So kann es uns gelingen, mit der Zeit beide Seiten zueinander zu bringen“, sagt Pflegedienstleiterin Cornelia Sciborski. „Wir respektieren den einzelnen Menschen, seine Sozialisation und auch seine persönliche Geschichte. Gleichzeitig haben wir eine strenge Haltung gegenüber Diskriminierung.“
Um das Projekt umzusetzen, wurde eigens eine Stelle eines/r Diversitätsbeauftragten geschaffen, die seit 2021 vom Soziologen Tom Dörr bekleidet wird, der auch der Leiter der Sozialen Betreuung ist. Eine seiner ersten Aufgaben war eine Bestands- und Bedarfsanalyse. „Wir haben uns selbst immer als offenen, bunten Haufen gesehen und wollten wissen, ob wir das auch wirklich sind“, erzählt Cornelia Sciborski. „Wir haben uns also viele Fragen gestellt: Wie gehen wir miteinander um? Diskriminieren wir vielleicht einen Kollegen oder eine Bewohnerin, ohne uns dessen bewusst zu sein? Stellen wir beim Aufnahmegespräch eines neuen Bewohners womöglich Fragen, mit denen wir ihn verschrecken?“ Nach der Bestands- und Bedarfsanalyse dreht sich eine der ersten Fragen der Aufnahmegespräche nun nicht mehr um Familienstand und Kinder, sondern um die Wünsche des neuen Bewohners oder der neuen Bewohnerin „Wir fragen ganz offen: Was können wir für Sie tun? Wer hat Sie im Leben begleitet? Die Leute erzählen dann ganz von selbst“, sagt Cornelia Sciborski. Sensible Sprache ist ein zentrales Thema, wenn es um Diversität und Inklusion geht. Der Diversitätsbeauftragte Tom Dörr organsiert dazu Schulungen mit externen Referentinnen und Referenten für die Mitarbeitenden, mitunter fungiert er auch selbst als Referent. Damit sich die Einheiten, die neben der sensiblen Sprache auch Themen wie Alltagsdiskriminierung oder Grenzen ziehen und Konsensbildung am Arbeitsplatz widmen, gut in den sich in den ohnehin schon vollgepackten Arbeitsalltag im Pflegeheim integrieren lassen, sind sie unterschiedlich lang – mal dauern sie mehrere Stunden, mal wird das Team mit 30-minütigen Wissenshäppchen versorgt. Beim Kollegium des Schwanis kommt das sehr gut an. „Mit den Schulungen schärfen wir das Verständnis füreinander“, sagt Cornelia Sciborski. Offen über eigene Erfahrungen und Erlebnisse zu sprechen könne mitunter eine befreiende Wirkung haben und ermögliche es, Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Kolleginnen und Kollegen mit größerer Offenheit zu begegnen.
Das gesamte Diversitätsprojekt setzt sich aus den Bereichen
modulares Schulungs- und Fortbildungskonzept, Vielfalt (vor)leben, Teilhabe
sowie Außenwirkung zusammen. Konkret heißt das beispielweise, als Gruppe beim Christopher
Street Day in Frankfurt dabei zu sein oder bei einer Veranstaltung im Haus eine
Dragqueen zu Gast zu haben. „Und wir haben uns auf den Weg zur Zertifizierung
als ‚Lebensort Vielfalt‘ der Schwulenberatung Berlin gemacht.“ Die Entscheidung für dieses Qualitätssiegel
fiel, weil es von queeren Inhalten über (post)migrantische Pflege und Inklusion
alle Aspekte von Diversität begutachtet und voraussetzt. „Genauso wie wir das
bei uns im Schwani leben wollen“, sagt Cornelia Sciborski.
Text: Anja Prechel