Drogenhilfe in Zeiten von Corona
Neue Angebote und Zugangswege zu Hilfen lindern erschwerte Lebensbedingungen der Abhängigen
Lebensumstände unter Pandemiebedingungen
Reduzierte Platzzahlen
Die Corona-Pandemie hat die
Drogenszene im Bahnhofsviertel verändert. Seit dem Lockdown ab März 2020 haben
sich die Lebensbedingungen der Abhängigen dramatisch verschärft. Wegen der
gebotenen Abstandsregeln und Hygienevorschriften musste die Zahl der Plätze in
den vier Konsumräumen in der Stadt zeitweise fast halbiert werden. Auch
Aufenthaltsorte wie das Nachtcafé in der Moselstraße mussten die Zahl der Gäste
auf etwa ein Drittel reduzieren. (Für gewöhnlich halten die Konsumräume
zusammen 37 Plätze für den intravenösen Konsum und 15 Rauchplätze vor.)
Die Träger sind sehr flexibel mit der Situation umgegangen. Wann immer es möglich und gemäß der Hygienevorschriften erlaubt war, haben sie die Platzzahlen in ihren Einrichtungen umgehend wieder erhöht.
Leben auf der Straße
Viele Drogenabhängige haben in Folge
der reduzierten Platzzahlen in den Einrichtungen ihr Leben auf die Straße
verlagert – mit allen negativen Begleiterscheinungen wie offener Konsum, Müll
auf den Straßen, Konflikte mit Anwohnern, anderen Milieus.
Essensversorgung
Mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 sind Verdienstmöglichkeiten für
Drogenabhängige wie Flaschensammeln oder Betteln nahezu ganz weggebrochen. Träger der Obdachlosenhilfe und der Drogenhilfe haben
sofort reagiert und kostenlose Essensangebote deutlich ausgebaut. Zum Beispiel
wurden im April 2020 etwa 1.370 Essensportionen täglich ausgegeben Vor der
Corona Krise waren es zwischen 675 und 775 Mahlzeiten pro Tag.
Corona Nothilfe
Die Stadt bzw. Gesundheitsdezernat / Drogenreferat haben im Frühjahr 2020
Corona-Nothilfen auf den Weg gebracht, um Drogenabhängige von der Straße zu
holen und Überlebenshilfe zu sichern.
Quarantänehotel
Um einem COVID-19-Ausbruch innerhalb der Drogenszene
vorzubeugen, hat das Drogenreferat gemeinsam mit städtischen Stellen im April
2020 ein Hostel mit 30 Zimmern in Bahnhofsnähe gemietet. Dort können seither
obdachlose Drogenkranke unterkommen, die sich infiziert haben oder die als
Verdachtsfälle in Quarantäne müssen. Als Betreiber wurde der Arbeiter Samariter
Bund e. V. eingesetzt, die Integrative Drogenhilfe (idh) koordiniert die
psychosoziale Betreuung und das Bürgerhospital stellt die Substitution und
medizinische Versorgung der Betroffenen sicher. Die Zahl der
COVID-19-Infektionen oder auch der Verdachtsfälle innerhalb der Drogenszene
sind bis heute sehr gering. Seit Frühjahr 2020 bis Ende 2021 kamen in dem
Quarantänehotel über die Zeit verteilt 30 Patient:innen unter. Zum Teil waren
es Konsumierende aus der Szene im Bahnhofsviertel, Rückkehrende aus dem
Ausland, einige kamen aus Drogenhilfeeinrichtungen.
Nachtcafé erweitert Öffnungszeiten in den Tag
Das Nachtcafé wurde am 2. Mail 2018 mit Platz für etwa
70 Personen eröffnet. Seit Beginn der Corona-Pandemie dürfen sich nur 27 Gäste
gleichzeitig im Café aufhalten. Deshalb wurden die Öffnungszeiten sukzessive
erweitert. Seit Februar 2021 steht die Anlaufstelle montags bis freitags von
14.30 Uhr bis 11.30 Uhr des Folgetages offen. An Wochenenden und Feiertagen von
6 bis 11.30 Uhr. 150 bis 220 verschiedene Nutzer:innen werden täglich
registriert.
24-Stunden-Öffnung der Konsumräume
Um Drogenabhängige nachts von der Straße zu holen,
wurde zu Jahresbeginn 2021 die Rund-um-die-Uhr-Öffnung der Konsumräume im
Bahnhofsviertel angestrebt. Bisher ist es den Drogenhilfeträgern nicht
gelungen, ausreichend viele Fachkräfte für die zusätzlichen Schichten zu
finden. Perspektivisch soll die 24-Stunden-Öffnung aber umgesetzt werden.
Humanitäre Sprechstunde
Um schwer kranke Drogenabhängige zu erreichen, haben das
Gesundheitsdezernat und das Drogenreferat im Frühjahr 2021
Allgemeinmedizinische Sprechstunden sowie 30 Substitutionsplätze auch für
Menschen ohne Krankenschein eingerichtet. Generell steigt in Zahl von
Abhängigen ohne Krankenversicherung in den vergangenen Jahren in Frankfurt
deutlich. Die Stadt finanziert dieses medizinische Angebot für Nichtversicherte
als wichtiges Instrument der Überlebenshilfe nun dauerhaft. Die Humanitäre
Sprechstunde hat sich als sehr wirksames, niedrigschwelliges Mittel erwiesen,
schwerkranke Menschen, die meist auch unter psychischen Erkrankungen leiden, zu
erreichen und zu stabilisieren. Mehr als 80 Drogenabhängige ohne
Versicherungsschutz haben die Substitutionsärzte im Drogennotdienst Elbestraße
(Bahnhofsviertel) und in der Drogenhilfeeinrichtung Eastside (Frankfurter
Osten) seit Jahresanfang 2021 erreicht. Mehr als 20 Patientinnen und Patienten
von ihnen sind inzwischen krankenversichert, konnten in eine reguläre
Behandlung wechseln und ihre Substitutionsplätze für weitere Nichtversicherte
freimachen.
Impfaktionen für Drogenabhängige
Impfteams des Gesundheitsamts
haben seit Herbst 2021 COVID-19-Impfungen in Einrichtungen der Drogenhilfe
angeboten. Für Erst-, Zweit- und Booster-Impfungen waren die Teams mehrmals im
Drogennotdienst Elbestraße, im Konsumraum Niddastraße, La Strada, Eastside
Schielestraße sowie bei der Heroin- und Substitutionsambulanz Grüne Straße.
Impfaktionen fanden ebenfalls in
den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe im Ostpark, in der B-Ebene
Eschenheimer Tor, in der Weser 5, der Bahnhofsmission, der Elisabeth-Straßenambulanz
sowie in einer Wohngruppe der Aidshilfe statt. Die Impfangebote wurden sehr gut
angenommen, die Impfwilligen erschienen auch zuverlässig zu ihren Impfterminen.
Neuorganisation der aufsuchenden offenen Sozialarbeit „OSSIP“
Das Streetworkprojekt Offene
Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention, Prävention – kurz: OSSIP – wurde im Frühjahr 2022 unter
der Trägerschaft des Vereins jj e. V. reorganisiert. Ziel ist es, durch ein klares Commitment und verbindliche
Vorgehensweisen und Prozessabläufe die Effektivität und Wirksamkeit der
aufsuchenden Arbeit sowie der Einzelfallhilfen zu erhöhen. Alle Angebote werden
regelhaft überprüft und angepasst. Die Straßensozialarbeit schließt
das neben dem Bahnhofsviertel auch alle „Ausweichquartiere“ von Drogenabhängigen
mit ein.
Drogenpolitisch relevante Zahlen für Frankfurt am Main (Stand: 11.06.2021)
Täglich
haben wir in Frankfurt am Main insgesamt ca.
Ø 500
Konsumvorgänge in den vier Konsumräumen
Ø 2.800
getauschte Spritzen
Ø 115
Übernachtungen in Notschlafstätten
Drogentote in Frankfurt am Main (2020 / 2021)
Im Jahr 2020 wurden in Frankfurt 40 Drogentote registriert, 2021 sank die
Zahl auf 30 Tote. Die hohe Zahl 2020 ist nicht in Verbindung mit Corona zu
bringen. Schwere Nebenerkrankungen, die Altersentwicklung, Überdosierungen oder
Suizid sind Unwägbarkeiten, die die Zahl jährlich schwanken lassen. Anders als
in anderen Großstädten konnte die Zahl der Drogentoten seit 1991 deutlich
gesenkt werden. Seither bewegen sich die Zahlen relativ konstant zwischen 20
und 40 Drogentoten pro Jahr.
Konsumraumdokumentation 2020
Im Jahr 2020 gab es insgesamt 148.471(2019: 183.605) Konsumvorgänge und
3.521 (2019: 4.152) unterschiedliche Konsumraumnutzer. Der Rückgang ist auf die
Corona-Pandemie und die damit einhergehenden verringerten Platzzahlen in den
Konsumräumen zurückzuführen. 78% der Konsumvorgänge sind intravenös (2019: 77%)
und 22% inhalativ (2019: 23%).
85% der
Konsumraumnutzer sind Männer und 15% Frauen.
Das
Durchschnittsalter der Nutzer der Konsumräume beträgt 41 Jahre (2019: 40,3
Jahre).
Substanzen
in den Konsumräumen 2020:
50%
konsumierten Heroin,
19%
konsumierten Crack
30%
konsumierten Heroin und Crack
46% der Nutzer:innen wohnen in Frankfurt, 26% leben in Hessen, 29% in
anderen Bundesländern oder im Ausland. Nutzer:innen aus Frankfurt
besuchten die Konsumräume im Durchschnitt 58 mal pro Jahr, Nutzer:innen aus
Hessen 44 mal und Nutzer:innen aus anderen Bundesländern 20 mal.
(Quelle:
Konsumraumdokumentation 2020, April 2021, Frankfurt University of Applied
Sciences.)