Kastellan, Anna Rosa, Herbert und Lotte sowie Goldschmidt, Ellen
Herbert Kastellan wurde am 3. Mai 1885 in Koschmin (Posen) als Sohn des Händlers Adolf Kastellan und seiner Frau Emma, geb. Steckel, geboren. Er besuchte die Volksschule und die Vorbereitungsschule in Koschmin, ab 1897 die Höhere Schule in Lissa (Posen), die er mit dem Einjährigen/Mittlerer Reife abschloss. 1901 trat er in das Ledergeschäft von Benno Bernhardt in Berlin ein, 1908 bis 1909 machte er seinen Militärdienst im „5. Garde-Regiment zu Fuß“ in Spandau. Danach wurde er bis 1913 Geschäftsreisender der Lederfabrik von Johann Metzger in Elmshorn.
Zum 1. April 1913 trat Herbert Kastellan in die 1861 in Offenbach von Jacob Schönhof gegründete Schuhfabrik ein. Er wurde Partner von Ernst Schönhof, dessen einzige Tochter Anna Rosa Schönhof, er im Mai 1913 heiratete. Anna Rosa wurde am 1. Juni 1892 geboren. Herbert Kastellan wandelte die Schuhfabrikation in eine Ledergroßhandlung um. Die Firma hatte ihren Sitz in Frankfurt in der Bürgerstraße 87. Von 1928 bis etwa 1935 war er Alleininhaber. Von 1935 bis zu dessen Flucht nach Chile 1937 war Hugo Reiss sein Sozius – an diesen und dessen in Lodz/Litzmannstadt ermordete Eltern erinnern Stolpersteine in der Frankfurter Wolfsgangstraße 41. Herbert Kastellan betätigte sich auch als gerichtlich beeideter Sachverständiger für Ledersachen.
Anna Rosa und Herbert Kastellan wohnten in Offenbach und bekamen zwei Töchter: Ellen wurde am 2. März 1914 geboren, Lotte am 17. August 1922. Herbert Kastellan kam zwar aus einer orthodoxen Familie, lebte aber nicht nach den religiösen Vorschriften, seine Frau Anna Rosa war nicht religiös erzogen. Deren Großeltern gehörten zum liberalen Offenbacher Judentum. Man ging nur an Feiertagen in die Synagoge.
Ellen Kastellan besuchte die Offenbacher Grundschule und danach das Gymnasium, wo sie 1933 ihr Abitur machte. Samstags ging sie zum Hebräisch-Unterricht und zum Gottesdienst in die Synagoge an der Goethestraße. Sie sang dort jahrelang im Chor. Einer ihrer Lehrer, Dr. Grundberger, erschien zu den Prüfungen bereits in Naziuniform und hatte sich auch schon vor 1933 feindselig gegenüber den jüdischen Schülerinnen verhalten, erinnerte sie sich. Ellen wollte Medizin studieren, was sich angesichts der durch die Nazis erlassenen Beschränkungen für Juden an den Universitäten nicht mehr verwirklichen ließ. Sie machte daher eine Ausbildung in der Firma ihres Vaters, lernte Schreibmaschine, Buchhaltung und Stenografie. Nach der Lehre arbeitete sie bei einem jüdischen Rechtsanwalt, der bereits nur noch jüdische Klienten vertreten durfte und vor allem Leuten bei ihrer Emigration half.
Im März 1934 zog die Familie Kastellan nach Frankfurt in die Parterrewohnung der Bürgerstraße 87, wo sich auch die Firma befand. Ellen Kastellan trat dem mit dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten verbundenen Frankfurter Sportverein „TSV Schild“ bei. Juden wurden zu dieser Zeit bereits von den Frankfurter Sportvereinen ausgeschlossen. Dort lernte sie im Juli 1935 ihren künftigen Ehemann Hans Goldschmidt kennen: Im Dezember 1937 verlobten sie sich und am 24. März 1938 heirateten sie standesamtlich. Es war an einem Donnerstag, denn Juden durften nur an Donnerstagen heiraten. Am 10. April 1938 wurden sie von dem Offenbacher Rabbiner Dienemann in der Frankfurter Westendsynagoge getraut. Bei der Hochzeitsreise nach Süddeutschland hätten sie ausschließlich in von Juden geführten Pensionen übernachtet, da Juden überall sonst unerwünscht waren, erinnert sich Ellen.
Das junge Ehepaar zog in die Wohnung der Kastellans. Lotte Kastellan wohnte zu diesem Zeitpunkt bereits in Köln, wo sie im Israelitischen Kinderheim in der Lützowstraße eine Ausbildung zur Kinderpflegerin machte.
Vor ihrer Heirat hatte Ellen von Dezember 1937 bis Ende März 1938 bei Edmund Stern, dem Küchenchef der Pension Schönbach-Meier in der Freiherr-von-Stein-Straße 29 einen Kochkurs absolviert. Im Mai 1938 nahm sie in Bad Nauheim im Sanatorium Dr. Schoenewald bis Ende August 1938 eine Stelle als Küchenhilfe an. Ihr Mann Hans war zu diesem Zeitpunkt bei dem jüdischen Juwelenhändler M. Adler Senior in Frankfurt als Reisender beschäftigt.
Bei den Novemberpogromen in Frankfurt wurden Herbert Kastellan und Hans Goldschmidt nach Buchenwald deportiert. Als „Weltkriegsteilnehmer“ wurde Herbert Kastellan Anfang Dezember 1938 aus Buchenwald entlassen. In einem Kaufvertrag vom 1. Januar 1939 wurde der erzwungene Verkauf der Firma notariell besiegelt. Die Tochter Ellen Goldschmidt teilte dazu später der Entschädigungsbehörde mit: „Die allgemeine Judenverfolgung, ein Monat Buchenwald Nov 38 und weitere Drohungen der SS und SA nach Rückkehr aus Buchenwald zwangen unseren Vater, das Geschäft ungefähr Ende 38 an Eugen Fabian und das SS Mitglied, meiner Erinnerung nach Sturmführer, Rudolf Gramlich, für ein Butterbrot zu verkaufen“. Die Firma Fabian Gramlich OHG bestand bis zu ihrer Auflösung am 27. August 1956. Danach führte Rudolf Gramlich (1908 -1988), von 1931 bis 1936 Fußballnationalspieler und von 1955 bis 1970 Präsident von Eintracht Frankfurt, das Geschäft alleine noch bis 1961 in der Gutleutstraße 40.
Hans Goldschmidt kam am 21. Dezember 1938 aus Buchenwald zurück. Er musste sich sofort bei der Gestapo Frankfurt melden. Dort traf er auf den hohen Gestapobeamten August Presser, mit dem er früher einmal befreundet gewesen war. Bei ihm musste er unterschreiben, dass er Deutschland „so schnell wie möglich“ verlassen und sich bis dahin „einmal monatlich“ bei der Gestapo Frankfurt melden wird. Durch die frühere Freundschaft hatte er bessere Konditionen erhalten als die meisten anderen Rückkehrer aus Buchenwald und Dachau. Seine Schwester Lotte, die 1934 mit einem Kindertransport in den USA gelangt war, hatte Affidavits besorgt. Über Verwandte der Kastellans in England bekamen Ellen und Hans Goldschmidt ein Trainee Permit, eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis, um dort eine Ausbildung zu machen.
Am 17. Januar 1939 fuhren Ellen und Hans Goldschmidt mit dem Zug nach Hoek van Holland und von dort mit dem Schiff nach Harwich. In London fanden sie durch Vermittlung ihrer Verwandten einen Job in einem Fish and Chips Shop. Im Februar 1940 konnten sie auf einem Schiff zunächst nach Kanada reisen, fuhren dann nach Boston und schließlich nach Denver/Colorado, wo auch Lotte Goldschmidt lebte. Ihr in Rotterdam lagerndes Umzugsgut kam nie an. Es war von den deutschen Besatzungsbehörden beschlagnahmt und nach Deutschland transferiert worden.
Lotte Kastellan gelang 1939 kurz vor Kriegsbeginn die Flucht von Köln nach England. In Manchester besuchte sie bis Juni 1940 das Babies Hotel Nursery Training College und arbeitete danach im April 1946 als Krankenschwester am dortigen Salford Royal Hospital. 1947 wanderte sie in die USA aus.
Herbert und Anna Kastellan bemühten sich in Frankfurt vergeblich um ein Visum für die USA. Aufgrund seines Geburtsorts im inzwischen polnischen Posen fiel Herbert Kastellan unter die schlechtere polnische Quote. Am Sonntag, den 19. Oktober 1941, wurde das Ehepaar aus seiner Wohnung in der Bürgerstraße 87 geholt und zum Sammelort Großmarkthalle gebracht. Einen Tag später wurden sie zusammen mit etwa tausend anderen Frankfurter Juden ins Ghetto Litzmannstadt deportiert. Umstände, Ort und Zeitpunkt ihres Todes sind nicht bekannt.
Die Stolpersteine wurden initiiert von Renate Hebauf.
Anna Rosa Kastellan, geb. Schönhof | |
Geburtsdatum: Deportation: Todesdatum: |
1.6.1892 19.10.1941 Lodz/Litzmannstadt unbekannt |
Herbert Kastellan | |
Geburtsdatum: Deportation: Todesdatum: |
3.5.1885 19.10.1941 Lodz/Litzmannstadt unbekannt |
Ellen Goldschmidt | |
Geburtsdatum: Flucht: |
2.3.1914 1939 England, 1940 USA |
Lotte Kastellan | |
Geburtsdatum: Flucht: |
17.8.1922 1938 England, 1940 USA |