„Beim Abwasser ist es immer anders und nie langweilig“
Susanne Schmid leitet die Frankfurter Kläranlagen einschließlich Schlammverbrennungsanlage
An einen ihrer ersten Eindrücke in der Kläranlage in Niederrad erinnert sich Susanne Schmid noch recht genau: „Ich dachte mir: Hier arbeiten nur Männer. Dazu ich als einzige Frau.“ Im September 1992 hatte die promovierte Chemikerin dort beim damaligen Stadtentwässerungsamt als Sachgebietsleiterin für Eigenüberwachung und Verfahrenstechnik ihre Stelle angetreten. Seit 2006 leitet sie die Abteilung Abwasserbehandlungsanlagen in Sindlingen und Niederrad. Mittlerweile wurde das Amt zum Eigenbetrieb Stadtentwässerung Frankfurt (SEF) umfirmiert. Im Gespräch berichtet Frau Schmid über Frauenförderung, die technologische und ökologische Entwicklung der vergangenen Jahre sowie unpraktikable Normen.
Frau
Schmid, Sie leiten als promovierte Chemikerin zwei Kläranlagen. Wie kommt eine
Frau zum Abwasser?
SUSANNE SCHMID: Da ist einmal die fachliche Seite. Ich hatte nach meinem
Studium in Konstanz am Fraunhofer Institut für Umweltchemie und Ökotoxikologie
im sauerländischen Schmallenberg promoviert. Wenn man so will, beinhaltet
Abwasserreinigung fast immer chemische und biologische Prozesse, was
Absolventen aus diesen Fachrichtungen prädestiniert.
Praktisch sah es so aus, dass ich vor meiner Bewerbung in Frankfurt bereits
drei Jahre in der Abwasserreinigung in Bonn gearbeitet hatte. Dorthin war ich
durch die Anregung eines Studienfreundes gekommen. Ich dachte mir: „Das könnte
spannend sein.“ Und das finde ich bis heute so. Abwasser verhält sich immer
anders, als man denkt und ist daher nie langweilig!
Als Sie anfingen, galt die Abwasserreinigung als Männerdomäne. Wie hat sich
das entwickelt?
SCHMID: Stimmt, Frauen gab es hier damals nur in den klassischen Büroberufen
und vielleicht als Putzhilfe. Mittlerweile hat sich das verändert, vor allem in
den vergangenen fünf Jahren. Von neun Abteilungen und zwei Stabsstellen werden
sechs von Frauen geleitet. Praktisch funktioniert es so, dass Frauen wiederum
andere Frauen nachziehen. Zusätzlich waren in der Vergangenheit immer wieder
Überzeugungskraft und Fingerspitzengefühl nötig.
Das klingt jetzt recht abstrakt. Hätten Sie ein Beispiel parat?
SCHMID: Ich erinnere mich deutlich an ein Auswahlverfahren für Auszubildende
zur Konstruktionsmechanikerin vor etwa zehn Jahren. Wir hatten eine junge Frau
unter den Bewerbern. Von einem männlichen Kollegen gab es deutliche Skepsis
nach dem Motto „Es kommt mir keine Frau in die Werkstatt“. Mein Gegenargument
war: „Der Gemischtwarenladen funktioniert am besten!“ Wir hatten die Bewerberin
eingestellt und danach berichteten die Männer aus der Ausbildungswerkstatt voll
Anerkennung über die guten Leistungen der Kollegin und das angenehmere
Betriebsklima. Sie hat ihren Weg bei uns gemacht.
Aber machen wir uns nichts vor: Der Schichtdienst ist für Frauen härter, da sie
sich meistens um die Kinder kümmern und den Großteil der Familienarbeit
leisten. Auch gibt es Bereiche, in denen wir sehr wenig Bewerbungen haben. So
tun wir uns schwer, angehende Elektrikerinnen zu finden, was ich schade finde.
Denn Frauen arbeiten verbissener und engagierter.
Sie sind
seit über 30 Jahren dabei. Was hat sich an ihrer Arbeit verändert?
SCHMID: Hier wären zum einen gestiegene Dokumentationsanforderungen zu nennen.
Die Notwendigkeit, Prozesse zertifizieren zu lassen, und steigende
Umweltstandards bringen diese Entwicklung mit sich. Somit ist auch unser Wissen
komplexer geworden. Galt früher das Prinzip „Hören, sehen, riechen“, erfassen
wir jetzt viel mehr Daten für unsere Analytik und Auswertungen in verschiedenen
Bereichen des Betriebs sowie der Instandhaltung.
Hinzu kommen Prozessautomatisierung und der technologische Fortschritt bei den
Leitsystemen. Heute lassen sich Anlagen über den Computer am Schreibtisch
steuern, was früher nicht möglich war. Das zeigt, wie die Hardware
leistungsfähiger geworden ist. Gleichzeitig bringt das neue Herausforderungen
bei der Absicherung mit sich, da wir zur kritischen Infrastruktur gehören.
Die Stadt verändert sich, ebenso das Abwasser. Welche Trends lassen sich
beschreiben?
SCHMID: Die Nachweisgrenzen bei den Bestimmungen sinken und so können wir nun
vermehrt Pharma-Rückstände im Abwasser nachweisen. Auffällig dabei ist der
Wirkstoff Diclofenac, der in Schmerzsalben und -tabletten enthalten ist.
Hinzu kommen Pestizid-Rückstände von den Farben an den Außenfassaden, die das
Regenwasser mit sich bringt. Auch registrieren wir den steigenden Gebrauch von
Süßstoffen. Oft können wir die Reste dieser Substanzen – auch Spurenstoffe
genannt – nicht vollständig eliminieren, weshalb sie ins Grundwasser gelangen.
Hinzu kommt der Klimawandel mit seinen Starkregenereignissen, die unsere
Kapazitäten stärker beanspruchen.
Da
scheint einiges zusammenzukommen. Welche Herausforderungen bedeutet das?
SCHMID: Ab 2029 gilt für große kommunale Kläranlagen die Pflicht, im
Klärschlamm enthaltenen Phosphor zurückzugewinnen. Dieser Rohstoff soll so als
Teil der Kreislaufwirtschaft wieder zur Verfügung stehen. Gleichzeitig geht es
darum, die bereits von mir genannten Spurenstoffe zu eliminieren. Hierzu
benötigen wir ein zusätzliches Reinigungsverfahren. Aktuell sind die Nutzung
von Aktivkohle und die Ozonierung als mögliche Eliminationsvarianten in der
Diskussion. Hinzu kommen etwa neue angedachte Grenzwerte in der Abluft der
Klärschlammverbrennungsanlage für Stickoxide und Quecksilber. Am sinnvollsten
wäre es, solche Stoffe direkt an der Quelle zu reduzieren. Beispielsweise
könnte Diclofenac oft durch den Wirkstoff Ibuprofen ersetzt werden, der das
Abwasser weniger belastet.
Dazu wollen wir nach städtischen Vorgaben bis 2030 klimaneutral werden. In
Sindlingen soll dies mit der neuen Faulungs- und Verbrennungsanlage geschehen;
für Niederrad haben wir Photovoltaik im Blick. Auch müssen wir unsere Gebäude
sanieren. Denn diese entsprechen oft nicht mehr dem aktuellen energetischen
Standard. Wie in anderen Teilen der Gesellschaft trifft uns auch der
demografische Wandel. Wir werden neue Fachkräfte für die Kolleginnen und
Kollegen benötigen, die in Ruhestand gehen.
Nehmen wir an, Sie könnten einen Wunsch an die politisch Verantwortlichen
äußern. Wie würde dieser lauten?
SCHMID: Es sollten mehr Fachleute aus Naturwissenschaft und Technik an den
Entscheidungen beteiligt werden. Das Übergewicht von Juristen in der Normung
führt zu Vorgaben, die praktisch kaum oder erst mit deutlicher Verspätung
umsetzbar sind.
Ich mache es an folgendem Beispiel deutlich: Wir bekamen in der Vergangenheit
die Auflage, bestimmte Durchflussmesseinrichtungen eichen zu lassen. Nur es gab
keine Verfahren. Mit den herkömmlichen Methoden war das nicht machbar, da bei
uns die Kanalrohre sehr groß sind. Das ist schon etwas anderes als der
Wasserzähler zu Hause. Ich hatte mich dann bei verschiedenen Instituten
erkundigt und es gab kein erprobtes Verfahren mit Ausnahme von einem, das
radioaktive Stoffe nutzt. Das wollten wir aus naheliegenden Gründen des
Umweltschutzes nicht nutzen und standen kurz vor Fristablauf. Gerettet hat uns
dann ein bis dahin kaum bekanntes Verfahren, das mit Farbstoffen arbeitet.
Solche Auflagen machen keinen Spaß! Und das, obwohl ich meinen Job liebe und
gerne jede Herausforderung annehme.
Das Gespräch führte Ulf Baier.