Interview Stadträtin Annette Rinn

Interview Stadträtin Annette Rinn

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Magistrat geht Herausforderungen im Bahnhofsviertel strukturiert an

Seit 9. September 2021 ist Annette Rinn als Dezernentin für Ordnung, Sicherheit und Brandschutz Frankfurts erste Ansprechpartnerin in ordnungspolitischen Fragen. Im Interview mit Mirco Overländer spricht sie über die Situation im Bahnhofsviertel, ihre Pläne, die angespannte Lage in der Ausländerbehörde zu verbessern und die Herausforderung, Sicherheit und Lebensqualität in einer Großstadt wie Frankfurt in Einklang zu bringen.

Stadträtin Annette Rinn, Foto: Holger Menzel
Stadträtin Annette Rinn © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Holger Menzel

Frau Rinn, als Sie das Sicherheitsdezernat übernommen haben, haben Sie das Bahnhofsviertel zu einem Schwerunkt Ihrer Arbeit erklärt. Wie hat sich die Lage seither entwickelt?

ANNETTE RINN: Es ist bereits eine Menge passiert. Die Einheiten der Stadt- und Landespolizei wurden verstärkt, auch die Öffnungszeiten der Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich wurden erweitert. Deren Stärkung ist ein laufender Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Derzeit arbeiten wir im Magistrat daran, im Viertel öffentliche Toiletten aufzustellen. Zudem hat ein Koordinierungsbüro seine Arbeit aufgenommen, dessen Aufgabe es ist, Stadtteil-Initiativen und kommunale Träger noch besser miteinander zu vernetzen. Manches stellt man sich von außen betrachtet einfacher vor als es in der Realität ist. Es ist aber mitnichten so, dass die Situation, wie wir sie kennen, über Nacht entstanden wäre. Ich bin selbst in den 70er Jahren im Bahnhofsviertel zur Schule gegangen. Das war aus dem Blickwinkel eines jungen Mädchens damals schon nicht sonderlich einladend.

 

Ist es der Stadtverwaltung überhaupt möglich, die komplexe Gemengelage im Bahnhofsviertel ohne externe Hilfe zur allgemeinen Zufriedenheit zu beordnen?

RINN: Eines ist klar: Nur mit Repression lassen sich die Probleme nicht lösen. Ich denke, dass auch das Land Hessen gefordert ist, die Gemeinden aus dem Umland zu motivieren, eigene Hilfseinrichtungen zu schaffen und zu unterhalten. Denn viele der Abhängigen kommen aufgrund der hiesigen Hilfsstrukturen nach Frankfurt. Unabhängig davon werden wir auch künftig auf externe Partner in Form privater Drogenhilfe-Einrichtungen oder Gewerbevereine und Initiativen setzen und diese stärken.

Zudem arbeitet die Stadt Frankfurt darauf hin, dass auf Bundesebene Gesetzesänderungen erfolgen, die etwa den sogenannten Ameisenhandel, also den Verkauf kleiner Drogenmengen unter Abhängigen, entkriminalisieren. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um den Konsum unter fachlicher Obhut in geregelte Bahnen zu lenken. Was diese Gesetzesänderungen anbelangt, so sehen wir in der aktuellen Regierungskoalition eine historische Chance. Was die Befugnisse sowie die personelle und materielle Ausstattung unserer Stadtpolizei anbelangt, so reichen diese nicht aus, um die Herausforderungen im Bahnhofsviertel im Alleingang zu lösen.


Auch über die Situation in der Ausländerbehörde wurde ausgiebig berichtet. Was kann noch unternommen werden, um die Kundinnen und Kunden, aber auch die Mitarbeitenden, zu entlasten?

RINN: Die Mitarbeitenden der Behörde arbeiten mit Hochdruck daran, die aktuelle Situation zu verbessern. Wir stellen fortlaufend neues Personal ein, dessen Einarbeitung aber Zeit benötigt. Auch wird derzeit eine neue Website aufgebaut, mit deren Hilfe die Flut an E-Mails ordentlich sortiert und Mehrfach-Anschriften den jeweiligen Fällen zugeordnet werden können. Unterdessen arbeiten wir mit hoher Priorität jene Fälle ab, bei denen die größte Dringlichkeit vorliegt. Diese Situation ist nicht erquicklich, aber hier ist Frankfurt wie alle Kommunen auf die Hilfe von Bund und Land angewiesen. In München etwa warten rund 25.000 E-Mails auf eine Beantwortung.

Mittelfristig planen wir, ein Willkommens-Center für qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland zu schaffen. Doch dafür benötigen wir jenes Personal, das derzeit in der Ausländerbehörde gebunden ist. Ferner ist im Ausländerrecht sehr viel Entbürokratisierung vonnöten, damit etwa beim Arbeitgeberwechsel Behördengänge entfallen.

 

Ist es möglicherweise so, dass die Aufgabenfülle der Kommunalverwaltungen in den vergangenen Jahren stetig zugenommen hat, das Personal jedoch nicht in gleichem Maße mitgewachsen ist?

RINN: Das ist völlig richtig. Das liegt einerseits an der stetig wachsenden Stadtbevölkerung, anderseits aber auch daran, dass sich Bund und Land ständig neue Gesetze ausdenken, deren Umsetzung und Administration den Kommunen obliegt. Allein in meinem Dezernat bräuchten wir von der Lebensmitteüberwachung über die Feuerwehr bis zur Stadtpolizei zahlreiche zusätzliche Stellen, um die vorhandenen Aufgaben zu bewältigen. In fast allen Bereichen mangelt es an geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern. Ausnahme ist die Berufsfeuerwehr, die hat einen Stellen-Besetzungsgrad von 100 Prozent und benötigt dennoch weiteres Personal.


Wussten Sie von dieser Fülle an Herausforderungen, als Sie Ihr Amt antraten – und machen Sie Ihren Job dennoch gerne?


RINN: (lacht) Bei mir sitzen tatsächlich in vielen Bereichen Not und Elend an einem Tisch beisammen. Ich war mir aufgrund meiner jahrelangen Erfahrungen als Stadtverordnete aber bewusst, worauf ich mich einlasse. Ich gehe montags weiterhin sehr gerne ins Büro, wo ich mit einem großartigen Team zusammenarbeiten darf. Und für Fatalismus ist in diesem Job kein Platz. Wenn Vorhaben und Projekte dann realisiert werden, motiviert das umso mehr, weil die Effekte sehr zeitnah ersichtlich sind. Die Ergebnisse kann ich vor Ort gut beobachten, weil ich bei Dienstantritt auf Dienstwagen und Fahrer verzichtet habe und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu meinen Terminen fahre. Das spart Geld und hilft mir, die Lage in Gegenden wie dem Bahnhofsviertel authentisch beurteilen zu können.

 

Eine der großen Herausforderungen im vergangenen Jahr war ja die nächtliche Ruhe an den Plätzen im Nordend. Welche Ergebnisse konnten Sie dort erzielen?

RINN: Nächtlicher Lärm ist ein stadtweites Problem, das an vielen attraktiven Orten auftritt. Unsere eigens geschaffene Taskforce rückt zu 90 Prozent ihrer Einsätze wegen Ruhestörung aus. Dieses Phänomen ist im Wesentlichen in der Corona-Zeit entstanden und wird vermutlich auch nie mehr ganz verschwinden. Was die Situation am Friedberger Platz anbelangt, so haben wir auf den Hinweis von zwei Stadtpolizisten hin im Juli die Praxis eingestellt, den Platz um 22 Uhr mit Kehrmaschinen zu befahren und die Menschenansammlung aufzulösen. Das Ergebnis ist, dass das Publikum nicht mehr zu Tausenden auf die umliegenden Plätze im Norden ausweicht und es dort seither viel ruhiger ist. Wir sind darüber hinaus im Gespräch, die 2022 begonnene „Nachtschicht Hauptwache“ auch in diesem Sommer fortzusetzen, um einen alternativen Treffpunkt im Freien anzubieten. Ich erhoffe mir auch viel von der geplanten Umgestaltung der Hauptwache, um die Atmosphäre vom Konsti-Markt und dem Vorplatz der Kleinmarkthalle auf die Hauptwache zu übertragen.

Ihrem Dezernat unterstehen ja auch der Präventionsrat und die Regionalräte – sind diese Einrichtungen notwendig und erfolgreich?

RINN: Aus meiner Sicht sind dies sehr erfolgreiche Instrumente; insbesondere die Regionalräte in den Stadtteilen mit ihren sehr unterschiedlichen Problemlagen. Die Arbeit des Präventionsrates wird immer bedeutsamer – denn er hilft, Gewalt zu verhindern, bevor sie entsteht. Gerade Angriffe auf Rettungskräfte, Polizei und Feuerwehrleute machen mir große Sorgen. So etwas darf nicht passieren und muss unterbunden werden.

 

Die Feuerwehr (Berufs- und Freiwillige) und die Rettungsdienste in Frankfurt – aus Ihrer Sicht ein Erfolgsmodell?

RINN: Bei der Feuerwehr wird ganz hervorragende Arbeit geleistet – zum Teil vollkommen ehrenamtlich. Wie eingangs erwähnt benötigt die Berufsfeuerwehr dringend mehr Stellen, um ihr Aufgabenportfolio zu bewältigen und die Einsatzfristen einhalten zu können. Das hierzu von meinen Vorgängern erarbeitete taktische Feuerwehrkonzept ist noch in der Umsetzung und wird fortlaufend optimiert.

 

Wie stehen Sie zur Abschaffung des Freiwilligen Polizeidienstes?

RINN: Die meisten Probleme, mit der die Polizei in einer Großstadt wie Frankfurt konfrontiert ist, können nicht vom Freiwilligen Polizeidienst gelöst werden. Für die Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien sind professionell ausgebildete Polizisten zuständig und keine freiwilligen Helfer, die mit Pfefferspray und Taschenlampe durch die Straßen ziehen.


Welche Projekte und Vorhaben möchten Sie in diesem Jahr vorantreiben?

RINN: Wir haben, wie eingangs geschildert, unsere Vorhaben im Bahnhofsviertel und mit der Ausländerbehörde noch nicht abgeschlossen. Dies sind laufende Prozesse, die meinen Arbeitsalltag auch in diesem Jahr prägen werden. Ich möchte anmerken, dass das Bahnhofsviertel wohl zuletzt um das Jahr 1905 eine vornehme Gegend war. Diesen Zustand wiederherzustellen ist utopisch. Realistisch wäre es, den Zustand wie vor fünf Jahren wieder zu erreichen. Aus der Ausländerbehörde möchten wir ein Willkommens-Center sowie einen Business-Immigration-Service machen. Dieser Transformation wird jedoch Zeit benötigen.

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