Interview mit Sonja Vandenrath
Die Leiterin des städtischen Literaturreferats im Gespräch
Sonja Vandenrath arbeitet seit 2006 im Frankfurter Kulturamt und leitet dort seit 2013 das Literaturreferat. In dieser Eigenschaft organisiert sie mit einem vierköpfigen Team „Open Books“, das Lesefest zur Frankfurter Buchmesse, die dieses Jahr ihren 75. Geburtstag begeht. Im Gespräch schildert sie Hintergründe und Entwicklungsgeschichte dieses großen Festivals.
Frau Dr. Vandenrath, lassen
Sie uns im Jubiläumsjahr der Buchmesse kurz zurückblicken. Wie ist es dazu
gekommen, dass die Stadt einen eigenen Beitrag leistet?
SONJA VANDENRATH: Das begann Mitte der 70er Jahre. Die Idee war so einfach wie
schlüssig: Die großartigen Autorinnen und Autoren, die aus der ganzen Welt nach
Frankfurt zur Buchmesse kommen, abends in der Stadt lesen zu lassen. Schon damals
ging es darum, die eher spröde Wasserglas-Lesung in ein mehrdimensionales
Erlebnis zu verwandeln, das Event avant la lettre sozusagen. Bestes Beispiel
ist unter der Ägide von Hilmar Hoffmann entstandene Idee eines
„Literatur-Circus“, der in den Römerhallen stattfand. Aus diesem Format wurde
dann „Literatur im Römer“, die Keimzelle von OPEN BOOKS.
Aber „Literatur im Römer“
gibt es doch weiterhin. Das müssen Sie uns kurz erklären.
VANDENRATH: Richtig. „Literatur im Römer“ ist die erste literarische Großveranstaltung
Deutschlands. Kult beim Publikum und bei den Autorinnen und Autoren sowieso.
Die Leute sitzen zwei Stunden bester Laune auf harten Apfelweinbänken, um an
einem Abend acht neue Romane vorgestellt zu bekommen. Ich kann nur sagen:
Chapeau! In diesem Jahr findet erstmalig „Debüts im Römer“ im gleichen Format
statt, kurze Auftritte auf großer Bühne in der Römerhalle. Eines der acht
Erstlingswerke, die wir an dem Abend vorstellen, nämlich „Vatermal“ von Necati
Öziri, steht aktuell auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Wie kam es dann zu OPEN
BOOKS?
VANDENRATH: OPEN BOOKS haben wir gestartet als der Suhrkamp Verlag erklärte,
nach Berlin zu ziehen. Die hiesigen Verlage waren schon vor 2009 mit dem Wunsch
an die Stadt herangetreten, so etwas wie „Leipzig liest“, das parallel zur
Leipziger Buchmesse stattfindet, auch in Frankfurt zu veranstalten. Nach der
Suhrkamp-Causa habe ich mich dann hingesetzt und mir ein Lesefest zur Buchmesse
rund um den Römer ausgedacht. Eine DIN-A4-Seite, das war‘s. Es sollte viel
Frankfurt drin sein, Bücher aller Sparten umfassen und hochprofessionell in
Planung und Durchführung. Ein Lesefest der kurze Wege, in dem sich jede und
jeder ganz nach Gusto sein eigenes Programm zusammenstellen kann. Unsere
Aufgabe als Orga-Team ist bis heute, die Qualität jeder Veranstaltung zu
garantieren. Daran hängt die Bereitschaft der Verlage, ihre Autorinnen und
Autoren bei uns zu präsentieren.
Was ist das Besondere an
OPEN BOOKS?
VANDENRATH: 115 Lesungen aus neuen Büchern an vier Tagen und das bei freiem
Eintritt. Ein Programm, das einen Überblick über die neuen Titel des Herbstes
bietet und zwar quer durch alle Sparten. Das reicht vom Roman des Jahres über
das aktuelle Sachbuch bis zur Graphic Novel und dem Kinderbuch bei OPEN BOOKS
Kids. Um etwas Struktur zu schaffen, haben wir die Sparten auf die
Veranstaltungsorte aufgeteilt. So hat etwa das Sachbuch im Haus am Dom seinen
festen Platz. Wir sind also ein Buchfest und kein Literaturfestival. Die
Signiergelegenheit im Anschluss an die Lesung ermöglicht ein kurzes
persönliches Gespräch mit den Autorinnen und Autoren, in diesem Jahr rund 150.
Von den vielen Bücherverkäufen bei unseren Lesungen profitiert wiederum der
unabhängige Buchhandel in Frankfurt, der die Büchertische stellt. Viel Win-win
also.
Lassen Sie uns über das
Frankfurt-Spezifische sprechen. Warum leistet die Stadt Frankfurt sich diesen
Aufwand?
VANDENRATH: In Frankfurt, der Goethestadt, steckt viel Buch mit der
internationalen Buchmesse als Markenkern, umrahmt vom Deutschen Buchpreis und
dem Friedenspreis. Das weiß niemand besser als unsere Kultur- und
Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig, die dafür einsteht. Aber auch an den
360 restlichen Tagen ist Frankfurt Buch- und Literaturstadt. Hier sind wichtige
Verlage ansässig, leben großartige Autorinnen und Autoren und experimentiert
eine tolle junge Literaturszene. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels,
als Schaltstelle des deutschen Buchmarktes, hat seinen Hauptsitz in der
Braubachstraße, der Mediacampus bildet den buchhändlerischen Nachwuchs aus, die
Deutsche Nationalbibliothek hütet und bewahrt unsere Bücher, es gibt die
älteste Poetikdozentur und den ersten Stadtschreiberpreis und nicht zu
vergessen, das großartige Romantikmuseum neben Goethes Geburtshaus. Ich finde
den Begriff des Labors etwas abgehangen, aber irgendwie trifft er auf Frankfurt
dann doch zu, weil diese Stadt wie ein verdichtetes literarisches Feld so viel
Instanzen des Buchbetriebs auf engem Raum verbindet.
Das klingt zuerst einmal
abstrakt. Könnten Sie das konkreter fassen?
VANDENRATH: Stimmt (lacht). Lassen Sie es mal so sagen: Wir glauben an die
Zukunft des Buches und der Lesekultur, die im digitalen Zeitalter mehr denn je
Orte und Räume für Begegnung und Austausch braucht. Die Frankfurter Buchmesse
vereint dies alles in sich und das macht sie so zukunftsweisend. Was 1949 als
bescheidene Bücherschau in der unter Hochdruck wiederaufgebauten Paulskirche
begann, ist bis heute eine Erfolgsgeschichte ohne gleichen. Die Handels- und
Bürgerstadt Frankfurt und die Buchmesse, das ist eine Wahlverwandtschaft. Die
Kulturdezernentin bekennt sich in Reden und Statements klar zur Zukunft der
Buchmesse und dies wieder sehr deutlich in diesem Jahr aus Anlass des
75-jährigen Jubiläums. Das Lesefest OPEN BOOKS als Bühne für das Buch ist Teil
dieses Bekenntnisses.
Das klingt nach sehr viel
Erfolg. Die Medienbranche ist im Umbruch und die Digitalisierung in aller
Munde. Wie sehen Sie die Zukunft des von Ihnen entwickelten
Veranstaltungsformates?
VANDENRATH: OPEN BOOKS bietet viel Zeitdiagnose. Die Bücher verhandeln
Gegenwart, ob mit literarischen Mitteln oder als Sachbuch. Das Publikum kann
bei Lesungen und Diskussionen die Themen und Stoffe entdecken, die den
Buchherbst bestimmen. Was mich sehr freut, ist, dass wir vermehrt ein junges
Publikum erreichen, das auch mal auf dem Boden sitzt, wenn die Räume zu voll
sind.
Wie finden denn die Leute
das, was sie interessiert und wer kommt so?
VANDENRATH: Wir haben ein Programmfaltblatt, das überall ausliegt, und
natürlich unsere Website openbooks-frankfurt.de.
Am Anfang von OPEN BOOKS haben die Leute häufig mal hier mal dort reingehört und
sich überraschen lassen. Inzwischen zupfen sie sich gezielt die Titel aus dem
Programm, die sie besonders interessieren. Immer mehr Leute kommen auch von
außerhalb Frankfurts, natürlich aus der gesamten Rhein-Main-Region, aber auch
von weiter her, um sich dann gleich einen schönen Frankfurt-Tag zu machen.
Heute rief jemand sogar aus London an, was jetzt allerdings nicht so oft
vorkommt (lacht). Wenn ich mir das große Publikumsinteresse an OPEN BOOKS
anschaue, die vollen Säle, die Schlangen vor den Signiertischen, der Trubel
zwischen den Lesungen und die vibrierende Atmosphäre insgesamt, dann ist mir um
die Buchkultur nicht bange. Oder um Jochen Hörisch zu zitieren, „Die Gutenberg
Galaxie hört nicht auf zu enden“.
Interview
Ulf Baier
Redaktioneller Hinweis
Weitere Informationen zum Veranstaltungsformat gibt es online unter openbooks-frankfurt.deExternal Link.