Interview Prof. Herbert Waldmann

Interview Prof. Herbert Waldmann

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„Je mehr wir wissen, desto schwieriger wird es“

Prof. Herbert Waldmann wird am Donnerstag, 26. Oktober, in der Paulskirche mit dem Otto-Hahn-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Im Interview mit Mirco Overländer spricht der Senior-Professor der TU Dortmund und emeritierte Direktor am Max-Planck Institut Dortmund über den Inhalt seiner wissenschaftlichen Arbeit und erklärt, weshalb er schon als Schüler Chemiker werden wollte.

 Prof. Herbert Waldmann
Prof. Herbert Waldmann © Stadt Frankfurt am Main

Herr Prof. Waldmann, seit 1991 sind sie als Professor für Organische Chemie in der Forschung tätig. Können Sie einem Laien in wenigen Sätzen erklären, was Ihr Forschungsgegenstand ist?

PROF. HERBERT WALDMANN: Organische Chemiker beschäftigen sich mit der Chemie der belebten Materie. Dazu gehört alles, was auf Kohlenstoff basiert; also Pflanzen, Tiere, Lebensmittel, Medikamente und vieles mehr. Eine der großen Disziplinen unseres Fachs besteht darin, solche organischen Verbindungen synthetisch herzustellen. Wenn man in der Natur also etwa geringe Mengen eines nahen Verwandten von Aspirin findet, davon aber zum Beispiel 100 Tonnen benötigt, um den Wirkstoff herzustellen, muss ein chemisches Verfahren zur Synthese gefunden werden. Meine Arbeit zielt darauf ab, diese potenziellen Wirkstoffe zu finden, Wege für ihre Synthese zu entwickeln und aufzuklären, warum und wie sie ihre biologische Aktivität entfalten. Mein Leitgedanke dabei ist und war stets, die grundlegenden Prinzipien zu erkennen, die dazu geführt haben, dass gewisse Wirkstoffe auf natürliche Weise entstanden sind. Denn die Natur stellt diese Substanzen ja bereits selbst her – und das nicht ohne Grund. Wenn wir also erkennen, dass gewisse Naturstofftypen immer wieder auftreten, können wir die Prinzipien der Evolution verstehen und nachverfolgen, die dem Entstehen dieser Naturstoffe zu Grunde liegen – und das Wissen etwa zur Entwicklung von Medikamenten verwenden.

Sie glauben eher nicht an Zufälle oder göttliche Schöpfung?

WALDMANN: Die Evolution „ist“, sie wurde durch Umweltbedingungen und daraus hervorgehende Selektion vorangetrieben. Gewisse Naturstoffe haben Lebewesen einen Vorteil erbracht und daher im Laufe der Zeit immer wieder Anwendung gefunden. Das ist für mich ein wissenschaftlich erklärbarer Vorgang und kein Zufall oder Akt göttlicher Schöpfung. Schon die antiken Naturphilosophen wie Aristoteles haben zwischen Induktion und Deduktion unterschieden. Bei der Induktion beobachtet man, was existiert, und leitet daraus Handlungsempfehlungen ab. Wir organischen Chemiker schauen, was die Natur entwickelt hat und was wir daraus zur Anwendung bringen können.

Wann wussten Sie, dass Sie Chemiker werden wollten?

WALDMANN: Das wusste ich bereits in der Oberstufe. Ich hatte im Gymnasium einen Lehrer, der Biologie und Chemie unterrichtet hat und extrem prägend für mich war. Ich hätte wegen meines guten Notenschnitts auch Medizin studieren können, wollte aber unbedingt Chemiker werden und habe das dann auch gemacht. Meine Eltern haben mich immer sehr gefördert. Das war für mich eine wichtige Grundvoraussetzung. So ist mir aus sehr einfachen Verhältnissen der Weg in die Spitze der Wissenschaft gelungen.

Ihnen wird der von der Stadt Frankfurt, der DPG und der GDCh verliehene Otto-Hahn-Preis laut Jury-Beschluss für Ihr Lebenswerk verliehen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

WALDMANN: Innerhalb der Gemeinschaft der Deutschen Chemiker- und Physiker ist dies die höchste und damit eine besondere Auszeichnung. Der Preis wird nur alle zwei Jahre vergeben, stets im Wechsel zwischen Chemikern und Physikern. Für mich ist dieser Preis daher eine große Anerkennung für die Arbeit der vergangenen 30 Jahre.

Der Otto-Hahn-Preis wird gern auch als „Kleiner Nobelpreis“ tituliert und ist mit 50.000 Euro dotiert. Wissen Sie bereits, wozu Sie das Preisgeld verwenden werden?

WALDMANN: Nein, da habe ich mir noch nichts Konkretes überlegt. Ich habe schon den einen oder anderen Preis erhalten und mir vom Preisgeld meist etwas zur Erinnerung gegönnt, etwa ein schönes Bild oder eine Skulptur. Ich denke, ich werde auch ein Erinnerungsstück an den Otto-Hahn-Preis erwerben.

Welche wissenschaftliche Entdeckung ist für Sie persönlich in der Rückschau am bedeutsamsten?

WALDMANN: In der Rückschau kann ich die Frage, ob wir tatsächlich ein grundlegendes Prinzip gefunden haben eindeutig bejahen. Unsere Arbeiten führten zur Entwicklung sogenannter Pseudo-Naturstoffe, also Substanzen, in denen man Prinzipien erkennt, die die Natur entwickelt hat, die jedoch nicht selbst in der Natur vorkommen. Sie enthalten die Essenz der Naturstoffe, sind aber von ihnen verschieden und gut zugänglich. In der Tat wurden solche Substenzen in der Entwicklung von Medikamenten häufig verwendet, aber ohne, dass die Forscher sich des Prinzips bewusst waren. Man hat intuitiv gehandelt und die Natur nachgeahmt. Wir haben aus Kulminationspunkt unserer Arbeiten dieses Prinzip erkannt, sodass es in Zukunft rational eingesetzt werden kann.

Haben Sie während Ihrer Forschung zu Pseudo-Naturstoffen einen Punkt erreicht, an dem Sie sicher waren, einen wissenschaftlichen Durchbruch erzielt zu haben?

WALDMANN: Wissenschaft ist in wenigen Fällen spektakulär. Unsere Forschung war ein kontinuierlicher Prozess im Laufe der vergangenen fast 30 Jahre. Da gab es keinen alles überstrahlenden Aha-Augenblick. Erst in der Retrospektive lassen sich die entscheidenden Meilensteine benennen.

Sie blicken auf eine lange akademische Vita sowie zahlreiche Auszeichnungen zurück. Ist der Otto-Hahn-Preis der krönende Abschluss Ihrer Karriere oder haben Sie noch weitere wissenschaftliche Vorhaben?

WALDMANN: Das ist natürlich ein Höhepunkt, einen Abschluss möchte ich es nicht nennen. Ich bin im August in Ruhestand gegangen und arbeite noch als emeritierter Senior-Professor in Dortmund weiter. Aber statt wissenschaftlicher Großprojekte warten andere Aufgaben auf mich. So hat mich der Rat der Stadt Dortmund zum Beauftragten für den Masterplan Wissenschaft 2030 der Stadt ernannt, und ich gestalte die Einbindung und Repräsentation der Wissenschaft in Dortmund federführend mit. Der Rektor der TU Dortmund hat mich in den Strategierat der Universität berufen, und ich arbeite für Stiftungen und seit langem auch im Einsatz, arbeite als Berater von Pharma- und Biotechnologie-Firmen. Es gibt keine Langeweile, ich würde mein zukünftiges Engagement eher als ein sukzessives Ausgleiten aus einer sehr intensiven Arbeitsphase bezeichnen.

 

Sie gelten in Fachkreisen als Mitbegründer der chemischen Biologie. Ihre Arbeit hat wichtige Grundlagen zur Erforschung innovativer Krebstherapien gelegt. Steht dieses Forschungsfeld durch die zunehmende Anwendung Künstlicher Intelligenz abermals vor einer Revolution?

WALDMANN: Das ist eine schwierige Frage. Ja, ich denke, ich kann als Mitbegründer der chemischen Biologie bezeichnet werden. Bei der Entwicklung dieser Wissenschaft war ich in der Tat sehr früh dabei und habe Beispiele gesetzt, die andere inspiriert haben. Künstliche Intelligenz ist momentan ein Buzzword, ein Schlagwort, das gerne und oft genutzt wird und Erwartungen weckt. Ich kann momentan aber noch nicht erkennen, dass KI bei der Medikamentenentwicklung in der nahen Zukunft zu einer Revolution führen wird. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat es immer wieder technische Fortschritte gegeben, die unsere Arbeit erleichtert und verändert haben, etwa im übergeordneten Rahmen die Einführung und Verbesserung der Computertechnik oder des Internets. Die Arbeit der Wissenschaft kann KI ohne entsprechende Anwender aber nicht ersetzen. Antworten müssen interpretiert und eingeordnet werden. Daher ist KI für mich derzeit noch keine disruptive Technik bei der Wirkstofforschung.

Können Sie dem Laien verständlich erklären, was die Rolle von Ras-GTPasen in der biologischen Signalübertragung ist und welchen Beitrag Ihre Forschung hierbei gespielt hat?

WALDMANN: Ras ist ein Protein, das in der Membran von Zellen als Schalter wirkt. Ein von außen ankommendes Signal, etwa zum Wachsen, muss durch die Oberfläche in die Zelle gelangen. Das Ras-Protein ist ein Signalgeber, der bei Fehlregulierung auch permanente Wachstumssignale senden und so zum unkontrollierten Wachstum bei der Tumorentstehung beitragen kann. Dafür muss es aber an der richtigen Stelle, der Membran verankert sein. In Dortmund haben wir in einer Zusammenarbeit von drei Arbeitsgruppen die Mechanismen erforscht, die diese gezielte Membranbindung regulieren. Ich durfte eine dieser Gruppen leiten. Eine Erkenntnis, die wir aus dieser Forschung gewonnen haben, lautet: Je mehr mir wissen, desto schwieriger wird es, weil durch die Beantwortung gestellter Fragen stets neue Fragen aufgeworfen werden.

Viele hochangesehene deutsche Wissenschaftler aus Deutschland verschlägt es eher früher als später dauerhaft ins Ausland. Welche Gründe könnte das haben und warum sind Sie – trotz Ehrenprofessur der Universität Leiden – dem Wissenschaftsstandort Deutschland treu geblieben?

WALDMANN: Ich vermute, viele Kolleginnen und Kollegen gehen ins Ausland, weil sie dort vermeintlich bessere Arbeitsbedingungen vorfinden. Das mag individuell stimmen, oft bleibt das aber auch nur eine Illusion. Ich habe ebenfalls mehrere Angebote aus dem Ausland gehabt und hätte diese auch annehmen können. Ich habe aber aus zwei Hauptgründen einen permanenten Wechsel ins Ausland nie ernsthaft in Betracht gezogen. Ich habe persönlich immens davon profitiert, dass in diesem Land auch Menschen aus einfachen Verhältnissen ihre Träume realisieren und Großes erreichen können. Ich wollte der Gesellschaft immer auch etwas zurückgeben und meinerseits junge Leute mit Talent fördern. Zudem sind die Forschungsmöglichkeiten und -freiheiten in der Max-Planck-Gesellschaft hervorragend, und ich kann mir keine bessere Wissenschaftsorganisation auf der Welt vorstellen. Als Wissenschaftler haben wir das Privileg, mit Steuergeldern unsere wissenschaftlichen Träume zu leben. Demzufolge sollte man auch in dieser Hinsicht den Versuch unternehmen, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Man muss daher auch der Anwendung gegenüber offen sein und Erkenntnisse, die potenziell der Menschheit von Nutzen sein können, der wirtschaftlichen Verwertung zugänglich machen, etwa durch Patentierung und Firmengründungen. Ich habe mich bewusst für die akademische Forschung entschieden, war aber stets offen für Zusammenarbeit mit der forschenden Industrie.

Anhand Ihrer Vita lässt sich eindrucksvoll aufzeigen, welch epochale Durchbrüche in Wissenschaft und Pharmazeutik binnen der vergangenen 30 Jahre erzielt wurden. Dies vorausgesetzt und den rasanten technologischen Fortschritt einberechnet, lässt sich eine Prognose wagen, welche Meilensteine die Forschung binnen der nächsten 30 Jahre setzen könnte?

WALDMANN: Ich möchte eine Gegenfrage stellen: Hätte jemand vor 30 Jahren vorausgesehen, welche Rolle das Internet heute spielt? Diese disruptiven Entwicklungen sind meist nicht vorhersehbar. Natürlich kann es auch bei KI und Robotik signifikante Fortschritte geben, und eine Wette auf diese Gebiete scheint mir attraktiv. Ich glaube darüber hinaus, dass wir in den nächsten Jahren große Fortschritte bei der personalisierbaren Behandlung kleinerer Patientengruppen erleben werden, das heißt bei der maßgeschneiderten, personalisierten Medizin. Auch wird die Wissenschaft ein tieferes Verständnis der Funktionsweise des Gehirns erlangen.

Hat Sie als Pharma-Experte überrascht, wie schnell nach Ausbruch der Corona-Pandemie Impfstoffe zur Verfügung standen?

WALDMANN: Diese Pandemie kam mit Ansage, und es ist nur eine Frage der Zeit bis zur nächsten. Mit welcher Geschwindigkeit Moderna und Biontech hochpotente Impfstoffe entwickelt haben, ist absoluter Weltrekord und ein Ausweis der Leistungsfähigkeit von Wissenschaft zum Wohl der Gesellschaft. Der Impfstoff von Biontech resultiert auch aus dem Ansatz dieser Firma, personalisierte Impfstoffe gegen Krebs zu entwickeln. Der schnelle Erfolg bei der Impfstoff-Entwicklung wäre aber ohne entsprechende Grundlagenforschung nicht möglich gewesen. Als dann die „richtige“ Krankheit kam, haben die aus anderem Grunde erarbeiteten Befunde und Methoden ineinandergegriffen und einen Quantensprung ermöglicht. Diese titanische Leistung zeigt für mich die eminente Bedeutung jahrzehntelanger akribischer Forschung, die hierfür die Grundlage bildete.


 

Einlasskarten für die Verleihung des Otto-Hahn-Preises für Bürgerinnen und Bürger verfügbar

Für die Verleihung des Otto-Hahn-Preises  am Donnerstag, 26. Oktober, gibt es ein Bürgerkontingent an Einlasskarten. Diese können in der Bürgerberatung, Hinter dem Lämmchen 6, zu den Öffnungszeiten von Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr gegen Hinterlegung der Personalien (für zwei Personen) abgeholt werden.

 

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