Interview mit Stadtrat Marcus Gwechenberger

Interview mit Stadtrat Marcus Gwechenberger

Interviews

„Im Zentrum steht der Dreiklang der gerechten, lebenswerten und produktiven Stadt“

Frankfurts neuer Dezernent für Planen und Wohnen, Marcus Gwechenberger, spricht im Interview mit Mirco Overländer über die vor ihm liegenden Herausforderungen und betont, dass die Schaffung bezahlbaren Wohnraums nicht auf Kosten der Umwelt geschehen darf. Um seine Ziele zu erreichen, setzt der Stadtplaner auf konstruktive Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Magistrat.

Planungs- und Wohnungsdezernent Marcus Gwechenberger vor dem Stadtmodell des Stadtplanungsamtes, Foto: Maik Reuß
Dezernat III – Planen und Wohnen Herr Dr. Gwechenberger © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Maik Reuß

Herr Gwechenberger, Sie arbeiten bereits seit sieben Jahren im Dezernat für Planen und Wohnen, das Sie nun seit dem 22. Juni leiten. Sind Ihre Schubladen voll mit Vorhaben, die Sie nun nur noch umsetzen müssen, oder wird es erst einmal eine Bestandsaufnahme der laufenden und in Planung befindlichen Projekte geben?


MARCUS GWECHENBERGER:
Bei der Stadtplanung ist Kontinuität von hoher Bedeutung. Viele Projekte haben einen Zeithorizont von über zehn Jahren. Von daher ist es wichtig, dass ich die Arbeit meines Vorgängers Mike Josef fortsetze, zumal ich mit ihm in den letzten Jahren an zahlreichen Projekten gearbeitet habe. Ich möchte aber auch Neues anschieben. Im Zentrum unserer Planungen steht der Dreiklang der gerechten, lebenswerten und produktiven Stadt. Eine unserer Hauptaufgaben wird es sein, Frankfurts Vielfalt zu erhalten – in sozialer, funktionaler und kultureller Hinsicht.

Mein Ziel ist auch die 15-Minuten-Stadt. Das heißt: Ob zum Einkaufen, zur Kita, zum Arbeitsplatz, zum Sport oder zu Naherholungsangeboten im Grüngürtel sollte der Weg nicht länger als 15 Minuten dauern.


Für jene, die nicht mit Ihrer persönlichen Vita vertraut sind: Wofür steht der Stadtplaner Marcus Gwechenberger und was wird es mit ihm nicht geben?


GWECHENBERGER: Bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und zu schaffen ist eine riesige Aufgabe und Verpflichtung für uns. Wenn wir das nicht schaffen, geht die Vielfalt dieser Stadt verloren. Um diese Vielfalt zu erhalten, betrachte ich das Stadtplanungsprogramm des Neuen Frankfurt zwischen 1925 und 1930 als Vorbild. Unsere Ausgangssituation ist jedoch eine andere: In Frankfurt gehen die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten Jahren in Rente. Gleichzeitig stellen die Unternehmen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, für die es zusätzliche Wohnungen braucht. Wir müssen jenen, die die Stadt am Laufen halten, bezahlbaren Wohnraum bieten. Bezahlbarkeit und sozialer Zugang sorgen für jene Vielfalt, die Frankfurt so besonders macht.

Trotz der Ausweisung neuer Baugebiete und Konversion vorhandener Flächen ist und bleibt Wohnraum – zumal bezahlbarer – in Frankfurt Mangelware. Haben Sie noch ein Ass im Ärmel oder ist der städtische Einfluss auf die Lage am Wohnungsmarkt schlichtweg limitiert?

GWECHENBERGER: Mir ist wichtig, mit der Baubranche im Gespräch zu bleiben. Denn auch für die Immobilienwirtschaft ist die Heterogenität dieser Stadt ein wichtiger Standortfaktor. Zentral wird hierbei die konsequente Umsetzung des Baulandbeschlusses sein. Bei Neubauten kommt es stärker denn je auf die Balance zwischen sozialen und ökologischen Aspekten an. So werden wir auch den neuen Stadtteil der Quartiere im Nordwesten entwickeln.

Ein weiteres wichtiges Mittel ist die Aufstockung von Bestandsgebäuden nach dem Vorbild der Fritz-Kissel-Siedlung, wo auf diesem Wege über 100 neue Wohnungen geschaffen wurden. Neben zahlreichen kleineren Projekten möchte ich den Gutleuthafen weiterentwickeln, eine städtische Liegenschaft in zentraler Lage, die sich optimal zum Wohnen eignet.

Die Melange aus Flächenmangel, hohen Kreditzinsen, explodierenden Materialkosten und Rohstoffknappheit hat der privaten Bauwirtschaft den Schwung genommen. Welche städtischen Möglichkeiten sehen Sie, diesem Trend entgegenzuwirken?

GWECHENBERGER: Wir haben Programme aufgelegt, um den geförderten Wohnungsbau anzukurbeln. Konkret handelt es sich um Darlehen mit null Prozent Verzinsung sowie ein Paket aus Fördermitteln. Globale Ereignisse können wir nicht beeinflussen, doch es ist nicht sinnvoll, die Arbeit an aktuellen Planungen einzustellen. Ich arbeite seit 20 Jahren in diesem Bereich und das ist nicht die erste Krise, die ich erlebe. Erfahrungsgemäß wird es zu Verschiebungen kommen. Dennoch ist und bleibt Frankfurt für die Immobilienwirtschaft ein sehr attraktiver Standort.

Das zeigt sich auch daran, dass derzeit 5000 Wohnungen an der Sandelmühle, beim Projekt Franky im Gallus, im Rebstock und im Schönhofviertel – der größten Baustelle Hessens – entstehen. Wir müssen jetzt also weiterarbeiten, um eine gute Grundlage für die Zukunft zu schaffen. Übrigens beobachten wir, dass erste Gewerke wieder günstiger werden. Die Investoren und Entwickler haben derzeit eher mit hohen Kreditzinsen zu kämpfen.

Stichwort Mieterschutz, welche Themen sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig, damit sich die Menschen in bestehenden Wohnungen sicher fühlen können?

GWECHENBERGER: Wichtig ist für die Menschen, sich darauf verlassen zu können, nicht aus ihrer Wohnung verdrängt zu werden. Unsere Stabsstelle Mieterschutz leistet hier sehr gute Arbeit und ist eine wichtige Anlaufstelle, die auch vor Ort präsent ist. Wir wollen aber noch stärker aufklären und somit die Rechte von Mieterinnen und Mietern stärken. Eine weitere bedeutende Komponente ist die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden, um durch geringere Nebenkosten die Warmmiete zu stabilisieren. Insbesondere bei Projekten der Nachverdichtung und Bestandssanierung ist es wichtig, dass es von Beginn an eine gute Kommunikation mit den Mieterinnen und Mietern gibt – auch hier kann die Stabstelle Mieterschutz einen Beitrag leisten.

Wäre nicht die Umwandlung leerstehender Gewerbeimmobilien in der Innenstadt eine Möglichkeit, Wohnraum zu schaffen und zugleich die Stadtmitte zu beleben?

GWECHENBERGER: Nicht jede leerstehende Bürofläche in der Innenstadt eignet sich für eine solche Umnutzung. Wir brauchen auch Orte, wo es abends laut sein darf, und die befinden sich eben im Zentrum der Stadt. Andere Lagen wie das Mertonviertel oder die ehemalige Bürostadt in Niederrad eignen sich deutlich besser – zumal zu beobachten ist, dass viele Unternehmen aus der Peripherie in kleinere, aber repräsentativere Immobilien in zentralerer Lage umziehen. Und genau jene vakanten Flächen am Stadtrand möchten wir als Wohnraum erschließen.

In den vergangenen Jahren hat sich Frankfurt auch dem Thema Konzeptvergabe und gemeinschaftlichem Wohnen verstärkt angenommen. Welchen Beitrag können diese gemeinwohlorientierten Projekte leisten?

GWECHENBERGER: Laut Statistik sind 50 Prozent aller Frankfurterinnen und Frankfurter Singles. Nicht all diese Menschen leben gerne alleine, sondern würden lieber in Gemeinschaft wohnen. Auch wer älter wird, möchte oft nicht seine eigentlich zu große Wohnung aufgeben und direkt in ein Pflegeheim ziehen. Auf diese Bedarfe reagiert die Wohnungswirtschaft aber kaum, obwohl die Nachfrage ungebrochen hoch ist. Durch die Konzeptverfahren stellen wir Flächen für neue und innovative Wohnformen mit anderen Grundrissen und zukunftsweisende Formen des Zusammenlebens zur Verfügung. Das trägt zu lebendigen und sozialen Nachbarschaften bei und ist letztlich auch gut für gesamte Quartiere. Deshalb möchten wir die gemeinschaftlichen Wohnformen weiter stärken und entsprechende Flächen für innovative Projekte ausweisen.

Auch ökologische Verträglichkeit und Anpassung an den Klimawandel wird im Bausektor immer bedeutender. Das gilt sowohl für einzelne Bauvorhaben, aber auch für Quartiere. Was ist aus Ihrer Sicht besonders wichtig?

GWECHENBERGER: Besonders wichtig ist es, Quartiere so zu planen, dass von Beginn an Freiflächen angelegt werden, insbesondere schattenspendende Bäume, die Platz zum Wachsen haben. Umwelt- und Wohnqualität sollten partnerschaftlich betrachtet werden und nicht miteinander konkurrieren. Das steigert einerseits das Lebensgefühl, ist anderseits aber auch ein bedeutendes Element im Kampf gegen die Überhitzung im städtischen Raum.

Stadtentwicklung heißt nicht nur Bauen, sondern auch die lebenswerte Gestaltung öffentlicher Plätze wie beispielsweise der Hauptwache. Wo steht Frankfurt heute im Vergleich zur Vergangenheit und wohin soll der Weg während Ihrer Amtszeit führen?

GWECHENBERGER: Frankfurt hat sich im öffentlichen Raum in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Wir möchten die Qualität dieser wichtigen öffentlichen Räume weiter steigern und an die Bedürfnisse der jeweiligen Nutzungsgruppen anpassen. Die Hauptwache etwa ist ein Hotspot vor allem für jüngere Menschen. Mit Angeboten wie der ,Langen Bankʹ möchten wir auf ihre Bedürfnisse eingehen und Begegnungsräume schaffen.

Ein anderes Beispiel ist das Fischerplätzchen an der Kurt-Schumacher-Straße, das sich zu einem Treffpunkt für die Nachbarschaft entwickelt hat. Auch das Mainufer soll mit Aktionen wie dem ,Sommer am Mainʹ weiter aufgewertet werden. Oft sind es die kleinen Maßnahmen wie in der Weißadlergasse, wo Parklätze in gastronomische Fläche umgewidmet wurden, die sich direkt positiv auf das Lebensgefühl auswirken. Wir sollten Plätze Stück für Stück aufwerten, die Prozesse beobachten und sehen, was vor Ort funktioniert.

Zu Ihrem Dezernat zählen neben dem Stadtplanungsamt auch das Stadtvermessungsamt, das Amt für Wohnungswesen, die Bauaufsicht sowie das Denkmalamt. Wo wollen Sie hier während Ihrer Amtszeit Impulse setzen?

GWECHENBERGER: Alle diese Ämter arbeiten daran, die Vielfalt und Lebensqualität dieser Stadt zu erhalten. Ohne die Expertise des Stadtvermessungsamtes würde uns die Grundlage unserer planerischen Arbeit fehlen. Die Bauaufsicht ist ein wichtiger Partner, wenn es um die bauliche Qualität geht. Unser Denkmalamt zeigt, dass es lohnt, sich auch mit der Geschichte eines Ortes auseinanderzusetzen und daraus für die Zukunft zu lernen. Das Amt für Wohnungswesen leistet hervorragende Arbeit bei der raschen Bearbeitung von Wohngeldanträgen oder bei der Beseitigung von Missständen, auch die Stabsstelle Mieterschutz vertritt die Anliegen von Mieterinnen und Mietern in Not. Im Stadtplanungsamt ist das Knowhow zur Entwicklung neuer Quartiere gebündelt. All diese Ämter sind also Puzzleteile des großen Ganzen. Sie stehen außerdem vor der gemeinsamen Herausforderung des demographischen Wandels. Der sich abzeichnende Fachkräftemangel ist ein riesiges Problem für uns.

Daher möchte ich stärker projektbasiert mit der Frankfurt University of Applied Sciences zusammenzuarbeiten, um deren Absolventinnen und Absolventen für uns zu begeistern. Denn wir stellen fest, dass wir als städtische Arbeitgeberin gerade bei Mitarbeitenden mit langjähriger Berufserfahrung nur schwer mit den Löhnen in der freien Wirtschaft mithalten können, dafür aber mit Inhalten und einer sinnstiftenden Arbeit punkten.

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