Interview Jan Annendijck
Verkehrsingenieur Jan Annendijck spricht im Interview über seine Arbeit im Radfahrbüro im Straßenverkehrsamt
Jan Annendijck arbeitet seit 2015 im Radfahrbüro der Stadt Frankfurt am Main. Aufgewachsen in der Nähe von Brüssel, kehrte der studierte Maschinenbau-Ingenieur nach den ersten Berufsjahren bei Volvo Cars der Automobilindustrie den Rücken. Als er aus privaten Gründen nach Frankfurt umzog, studierte er für weitere zwei Jahre Verkehrswesen an der TU Darmstadt. Über berufliche Stationen bei der öffentlichen Verkehrsmanagementagentur IVM und der DB Netz kam er zur Stadtverwaltung. Im Interview spricht er darüber, worin seine Arbeit im Radfahrbüro besteht, sein berufliches Selbstverständnis und den Kampf um Platz im öffentlichen Raum. Zugleich präsentiert er in der Weißadlergasse in der Innenstadt ein konkretes Beispiel seiner Arbeit.
JAN ANNENDIJCK: Der Job bei Volvo Cars in Belgien und in Schweden war an sich sehr interessant. Doch ich konnte mich immer weniger mit einem Endprodukt identifizieren, welches Abgase und Lärm produziert, Städte veröden lässt und unsicher macht sowie unnötig viel Platz und Energie verbraucht. Fahrrad bin ich schon immer gefahren. Das war in meiner Jugend mein Weg, die Welt zu entdecken. Und später, um entspannt zur Arbeit zu gelangen und sich mit Freunden sportlich auszutoben. Nach dem Aufbaustudium in Darmstadt konnte ich mir mit der Anstellung bei der IVM eine berufliche Perspektive rund ums Fahrrad aufbauen. Dort initiierte und entwickelte ich die Meldeplattform Radverkehr. Hier lassen sich via Internet Mängel und Verbesserungsvorschläge zur Radverkehrsinfrastruktur im Rhein-Main-Gebiet direkt an die Verwaltung weitergeben. Da war es nur konsequent, sich nach der Zwischenstation bei DB Netz bei der Stadt Frankfurt sehr konkret um das Thema zu kümmern.
Was machen Sie dort genau?
ANNENDIJCK: Ganz allgemein geht es darum, dass mehr Menschen aus rationalen Gründen das Rad benutzen – eben weil es schneller, besser, gesünder und ökologischer ist. Damit das passiert, kümmere ich mich um Angelegenheiten, die sich mit verkehrsrechtlichen Anordnungen erledigen lassen. Das sind beispielsweise Fahrbahnmarkierungen, Einbahnstraßenregelungen, Fahrradbügel, Verkehrsbeschilderung und Poller. Also alles, was wir – das Radfahrbüro gehört zum Straßenverkehrsamt – relativ schnell planen können.
Die Ausführung unserer verkehrsrechtlichen Anordnungen erfolgt durch die Baubezirke des Amtes für Straßenbau- und Erschließung; für die gute Zusammenarbeit sind wir den Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar! Wenn es um bauliche Veränderungen geht, quasi die „großen Sachen“, ist die Planungsabteilung des Amtes für Straßenbau und Erschließung – abgekürzt ASE – gefordert. Dort gibt es auch ein Team Radverkehr, das sich etwa um die Verbreiterung des Radweges auf der Bockenheimer Landstraße kümmert. Hier muss komplett neu gebaut werden, was deutlich mehr Vorbereitungs- und Arbeitszeit bedeutet.
Sie tauschen sich also intensiv mit anderen Fachämtern aus?
ANNENDIJCK: Unsere Arbeit erfordert viel Kooperation mit anderen Beteiligten. Wenn etwa ein Lückenschluss durch eine Parkanlage vorgesehen ist, setzen wir uns mit dem Grünflächenamt und der Unteren Naturschutzbehörde zusammen. Geht es etwa um zu hohe Bordsteine, sind die Baubezirke des ASE dabei. Bei Fahrradbügeln an Haltestellen arbeiten wir mit der VGF oder der Deutschen Bahn zusammen. Und in wieder anderen Fällen ist Hessen Mobil zu beteiligen, also das Land.
Das war jetzt trotzdem immer noch recht abstrakt. Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?
ANNENDIJCK: Das Projekt hier in der Weißadlergasse zeigt es. Dort kann der Radverkehr jetzt auch gegen die Einbahnstraße fahren. Dazu gab es Bügel, um die Fahrräder parken und anschließen zu können. Zusätzlich haben wir ehemalige Parkplätze in neue Flächen für die Außengastronomie umgewidmet. Das reduziert die Gefährdung für den Radverkehr und macht die Straße deutlich attraktiver zum Flanieren. Damit die Geschäfte dort auch weiterhin bedient werden können, gibt es jetzt Lieferantenparkplätze. So stehen die Lastwagen nicht mehr auf der Straße herum und gefährden andere. Hierfür mussten vorher Pläne bei uns entstehen, damit klar ist, was wo zu machen ist.
Das alles klappt aber natürlich nur, wenn die Leute sich daranhalten. Wie man leider aktuell sieht, steht gerade ein Pkw auf dem Lieferparkplatz. Die Folge: Der Lkw, der entladen möchte, steht über Eck und blockiert so die Sichtachse und den Zebrastreifen, was er auch nicht darf. Daher sind für unsere Arbeit auch die Kolleginnen und Kollegen der städtischen Verkehrspolizei wichtig, um Kontrolldruck aufzubauen.
Sie nehmen aber mit Ihrer Arbeit den Autofahrerinnen und -fahrern Platz weg. Wo sollen die denn hin?
ANNENDIJCK: Ich gehe regelmäßig durch die Parkhäuser und Tiefgaragen und wundere mich, wie viel freie Parkplätze es dort gibt. In Wohngebieten mit Einfamilienhäusern sind die privaten Zufahrten und Garagen oft genug mit Trampolinen und sonstige Sachen statt mit dem eigenen Auto belegt. Die Anspruchshaltung, das private Auto kostenlos im öffentlichen Raum parken zu können, ist falsch. Wenn ich ein Pony kaufe, muss ich mich ja auch um einen Stall und eine Weide kümmern, und kann das Pony nicht einfach in einer Grünanlage des Grünflächenamtes abstellen.
An der Hanauer Landstraße etwa gab es nach der längst überfälligen Verbreiterung des Radweges Beschwerden über zu wenig Kfz-Stellfläche, dabei stehen quasi ums Eck in der Lindleystraße die Parkplätze leer. Das bringt auch ein anderes Thema in den Fokus: Brauchen wir so viel Autos in der Stadt? Wenn ich mich umschaue, sind diese oft nur mit einer Person besetzt. Natürlich müssen beispielsweise Menschen mit Behinderung, Lieferanten und medizinische Dienste weiterhin mit dem Auto zu ihren Zielen kommen, im Notfall auch schnell.
Wäre es aber nicht sinnvoller, die ruhigen Nebenstraßen dem Rad zu überlassen und die Hauptverbindungen dem Kraftverkehr?
ANNENDIJCK: Dieses Argument hören wir sehr oft, auch von Ortsbeiräten. Es geht darum, bessere Verbindungen für das Fahrrad zu schaffen und nicht längere. Besser heißt auch weniger gefährlich. Damit etwa auch Eltern ihre Kinder mit dem Fahrrad zu ihren Freunden fahren lassen können oder ältere Menschen sich sicher fühlen. Das schaffen wir aber nicht mit einem Schutzstreifen, der nur mit einer gestrichelten Linie abgetrennt ist. Wenn man aufgrund des begrenzten vorhandenen Raumes kaum etwas neu schaffen kann, kann man ihn nur umverteilen. Man bekommt sonst keine neuen Menschen aufs Rad. Hinzu kommt, dass auch der Platzbedarf des Radverkehrs gestiegen ist. Denn es nutzen immer mehr Menschen dieses Verkehrsmittel und auch anders, wenn ich an Lastenräder denke.
Ihnen geht es also nicht ums Wegnehmen, sondern um das Umverteilen der Verkehrsanteile?
ANNENDIJCK: Der zentrale Aspekt ist für uns die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer. Ich mache es mal an folgendem Beispiel deutlich: Auf der ohnehin recht breiten Senckenberganlage haben wir zusammen mit den Baubezirk Mitte des Amtes für Straßenbau- und Erschließung den Fahrradweg vom Bürgersteig auf die Straße verlegt. Dabei fiel eine Spur für die Autos weg. Hier hören wir immer wieder: „Warum habt Ihr das gemacht? Auf dem Bürgersteig ließ es sich doch gut fahren.“ Eben nicht, denn es gab immer wieder gefährliche Situationen mit Schulklassen, die Radfahrerinnen oder Radfahrern in die Quere gekommen sind. Dieses Beispiel zeigt, dass es insgesamt die beste Lösung ist, die Verkehrswege möglichst zu trennen.
Das Radfahrbüro muss bei seiner Arbeit unzählige Straßen und Ecken im Blick haben. Wie kommen Sie an die Informationen, wo etwas zu tun ist?
ANNENDIJCK: Es gibt einmal den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung „Fahrradstadt Frankfurt am Main“ von 2019, getragen von der damaligen Römer-Koalition. Dieser ist nach Gesprächen mit den Initiatoren des Bürgerbegehrens Radentscheid entstanden. Dieser Beschluss enthält einen Katalog verschiedener Maßnahmen. Dann haben wir verschiedene Eingangskanäle: Etwa die von mir schon erwähnte Meldeplattform, die sozialen Medien oder Anregungen der Ortsbeiräte. Das funktioniert alles recht basisdemokratisch. Das reicht von Hinweisen auf ein Loch im Asphalt über Anregungen für Fahrradparkplätze bis hin zu größeren Umbauten.
Solche kleineren Maßnahmen lassen sich recht schnell umsetzen. Schwierig sind allerdings große Straßenknotenpunkte, da hier oft Ampelschaltungen, bauliche Maßnahmen und die VGF involviert sind. So etwas ist kompliziert und dauert schon aufgrund der Planung länger.
Sie sind jetzt seit sieben Jahren dabei. Wie hat sich die Arbeit verändert?
ANNENDIJCK: Es gab in den vergangenen Jahren einen sehr großen Wandel. Vor 2019 haben wir etwa 20 Prozent unserer Arbeitskapazität in die Planung gesteckt, 80 Prozent unserer Arbeitskapazität brauchten wir für interne und externe Abstimmungen, denn damals gab es im Magistrat nicht den klaren Konsens, dass wir mehr für den Radverkehr tun müssen. Seit dem Stadtverordnetenbeschluss „Fahrradstadt Frankfurt“ ist der Aufwand, den wir in Abstimmungsaufgaben stecken müssen, deutlich geringer geworden. So können wir mehr Arbeitskapazität in neue Planungen stecken. Dann merken wir sehr deutlich die gestiegene allgemeine Relevanz des Radverkehrs. Die Zahl der politischen Aufträge an uns – etwa von der Dezernatsebene – ist deutlich gestiegen. Das hat viel mit der Einigung mit dem Radentscheid zu tun. Dazu ist die Zahl der Stellen mehr geworden. Waren wir früher vier Leute, sind es heute acht.
Eine Anmerkung noch zu unserer Arbeitsweise: Oft heißt es doch, die Verwaltung sei ziemlich träge, das stimmt für uns aber nicht. Wir sind ein ziemlich dynamischer Laden, was für das gesamte Straßenverkehrsamt gilt. Das war mein Eindruck vom ersten Tag an. Ich habe schon das Gefühl, dass wir als Stadt Frankfurt Vorreiter in Deutschland sind, was Radverkehrsförderung angeht.
Jetzt zum Thema Wünsche. Hat Jan Annendijck als Radfahrer so etwas wie eine persönliche Utopie?
ANNENDIJCK (Denkt einen Moment nach): Ja klar, mein Traum wäre, dass wir in einigen Jahren ganz viele Frankfurterinnen und Frankfurter sowie Pendlerinnen und Pendler mit einer guten und sicheren Infrastruktur davon überzeugt haben, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Die Luft ist dann sauberer, es gibt weniger Lärm, deutlich weniger Verkehrsunfälle und nicht mehr benötigte Kfz-Fahrspuren, die wir begrünen können. Und jetzt kommt meine persönliche Utopie: Ich freue mich auf die erste Anregung eines Ortsbeirates, ein Federballfeld auf eine nicht benötigte Kfz-Fahrspur zu markieren – diesen Plan will ich dann unbedingt zeichnen!
Interview: Ulf Baier