„Du bist Politiker geworden, um Probleme zu lösen. Also löse sie!“
Dr. Bastian Bergerhoff ist als Stadtkämmerer und Personaldezernent Herr der städtischen Ausgaben und Einnahmen. Trotz gestiegener Energiepreise und Inflation wächst Frankfurt weiter und mit ihr auch der Bedarf an sozialer Infrastruktur sowie an Fachkräften, die die Verwaltung am Laufen halten. Wie er mit diesem Spagat umgeht und dennoch nicht die digitale Transformation der Kommunalverwaltung aus den Augen verliert, darüber spricht der promovierte Physiker im Interview.
Herr Bergerhoff, wie lässt
sich angesichts von Energiekrise, Ukraine-Krieg und stetig steigenden
Rohstoff-Preisen ein solider Haushalt planen?
BASTIAN BERGERHOFF: Das ist tatsächlich schwierig. Eigentlich lässt sich
derzeit nicht richtig gut planen. Entsprechend müssen wir Annahmen treffen und
uns bei der Durchführung von Projekten Flexibilität erhalten. Das bedeutet
auch: Wenn Reste im Haushalt vorhanden sind, dürfen wir diese nicht
verschleudern. Umso mehr hilft uns in dieser Situation die vom Bund
beschlossene Gas- und Strompreisbremse. Doch gerade bei Investitionen und
Bauvorhaben sehen wir, dass die Preise steigen. Daher gehen wir mit unseren
Schätzungen entsprechend nach oben. Ähnlich sieht es in anderen Bereichen aus,
wie etwa der Kreditfinanzierung. Unser Problem ist, dass eine Kommune nicht
parallel auch einfach ihre Einnahmen steigern kann.
Gleichwohl stellt gerade
diese Situation diverse Dezernate vor besondere finanzielle Herausforderungen,
die keinen Aufschub dulden.
BERGERHOFF: Das ist korrekt. Aber die Dezernate verfügen über eigene Budgets,
die sie in aller Freiheit selbst verlagern können. So standen etwa die Folgen
der Ukraine-Krise nicht in unserem Haushalt. Bisher wurden die finanziellen
Folgen aber bewältigt, ohne andere Vorhaben zu vernachlässigen.
Die Inflation galoppiert,
die Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent mehr Lohn für Mitarbeitende im
öffentlichen Dienst. Zugleich ist trotz Rekordeinnahmen bei Gewerbesteuer die
Haushaltslage angespannt. Wie lässt sich dieses Dilemma erklären und lösen?
BERGERHOFF: Tatsächlich fordert die Gewerkschaft ja nicht nur 10,5 Prozent mehr
Lohn, sondern auch mindestens 500 Euro mehr Monatslohn. Das käme über die
gesamte Tabelle gerechnet einer Lohnsteigerung von durchschnittlich rund 15
Prozent gleich. Ich glaube daher, dass die Tarifgespräche spannend werden. Die
derzeitige Inflation ist in der Tat für viele eine Belastung. Vor diesem
Hintergrund lässt sich das von Ihnen angesprochene Dilemma nur schwer auflösen.
Als Kommune haben wir schlichtweg nicht das geeignete Finanzsystem, um mit
solch einer Situation umzugehen. Denn Bund und Länder können reagieren, auch
weil sie bei höheren Löhnen mehr Einkommenssteuer erlösen. Als Stadt können wir
jedoch die Gewerbe- und Grundsteuer nicht entsprechend anheben. Somit haben wir
durch die Inflation einen jährlichen Kaufkraftverlust von fünf Prozent in
unserem Haushalt. Dieses Geld fehlt dann natürlich an anderer Stelle. Trotz
dieses Kaufkraft-Verlusts steigt in dieser Situation natürlich auch die
Leistungserwartung der Bevölkerung uns gegenüber.
Hätten Sie vor anderthalb
Jahren gewusst, was als Kämmerer auf Sie zukommt, hätten Sie dennoch diesen Job
angetreten?
BERGERHOFF: (lacht) Ich bin in die Politik gegangen, weil ich zum Beispiel den
Klimawandel bekämpfen und die Verkehrswende in Frankfurt vorantreiben wollte –
und nicht, um die Folgen des Kriegs in der Ukraine zu managen. Aber mein
17-jähriger Sohn hat mir neulich gesagt: „Du bist Politiker geworden, um
Probleme zu lösen. Also löse sie!“ Ich finde, da hat er durchaus recht.
Ein kleiner Blick zurück:
Wie hat sich die Stadtverwaltung aus Sicht des Personaldezernenten in der
Corona-Zeit geschlagen?
BERGERHOFF: Die Beschäftigten haben einen super Job gemacht. Angesichts dieser
völlig unvorhergesehenen Ausnahmesituation hat die Verwaltung extrem schnell
und flexibel reagiert. Alle Leistungen, von Müllabfuhr über Kinderbetreuung bis
zu den Angeboten im Bürgerbüro konnten im Rahmen der rechtlichen Vorgaben
aufrechterhalten werden. Zugleich hat die Pandemie auch bei Arbeitskultur und
Digitalisierung einiges bewegt: Wir konnten Arbeitsformen wie Homeoffice
erfolgreich etablieren und etwa im Kassen- und Steueramt die Gewerbesteuer
komplett auf digitale Arbeit umstellen. Von daher glaube ich, dass die
Corona-Pandemie nicht nur gut gemanagt wurde, sondern der öffentlichen
Verwaltung an einigen Stellen auch den Weg ins 21. Jahrhundert geebnet hat.
Stetig wachsende
administrative Aufgaben und Einwohnerzahlen: Mangelt es am Geld oder am
geeigneten Personal, um die Verwaltung mit ihren Aufgaben wachsen zu lassen?
BERGERHOFF: Mal so, mal so: Manche Stellen können wir nicht besetzen, weil
keine Bewerber vorhanden sind – was übrigens ganze Branchen auch außerhalb der
Verwaltung betrifft. Teilweise mangelt es uns auch am Geld. Zudem steigen auch
die Anforderungen an die Verwaltung: Wenn es etwa durch die Wohngeld-Reform
mehr als dreimal so viele Berechtigte wie bislang gibt, müssen wir das
entsprechend administrieren. Dazu brauchen wir Personal. In diesem Fall konnten
wir kurzfristig 13 neue Stellen einrichten. Doch bei allem, was Bund und Land
beschließen, um Menschen zu entlasten, liegen dazwischen die Kommunen, die dies
umsetzen müssen. Dieser Umstand belastet uns sehr, da wir personell nicht
adäquat ausgestattet sind. Das gilt nicht nur für Frankfurt, sondern für alle
Kommunen. Zwar glaube ich, dass sich durch die Digitalisierung einiges
verbessern lässt. Aber auch hierfür braucht es entsprechend geschultes
Personal. Wobei wir gerade in der IT sehen, etwa bei unseren SAP-Experten, dass
es nicht allen nur ums Geld geht, sondern vielleicht auch um eine sinnstiftende
Arbeit und Selbstverwirklichung. Auch hat man als städtischer Bediensteter
andere Möglichkeiten, Familie und Beruf in Einklang zu bringen.
Wo drückt personell der Schuh
besonders?
BERGERHOFF: Um im Bild zu bleiben: Es gibt einen ganzen Schrank voller
Schuhe, von denen keiner zu groß für unsere Füße ist. Wir müssen daher
strukturell dazulernen. Wir sind als Verwaltung sehr gut darin, Abläufe so zu
strukturieren, dass sie für die Ewigkeit gemacht sind. Projekt- und
Transformationsarbeit, auf die es gerade besonders ankommt, gehören noch nicht
zu unseren Stärken. Solche Veränderungen sind immer eine Herausforderung, aber
auch eine Frage der Kommunikation: Die Botschaft muss lauten, wir ändern
Abläufe nicht, um Angestellte zu entlassen, sondern um sie zu entlasten und
Freiräume zu schaffen.
Viele Ämter und Dezernate
klagen über Besetzungssperren und Mittelkürzungen. Gleichzeitig steigen
Personal-, Investitions- und Unterhaltskosten in vielen Bereichen. Wie lange
muss die Stadt den Gürtel noch enger schnallen?
BERGERHOFF: Das ist tatsächlich schwer vorherzusagen. Wir hatten, mit Ausnahme
der Corona-Jahre, stetig steigende Gewerbesteuer- und Umsatzsteuer-Einnahmen.
Doch gleichzeitig hat der Bund die Kalte Progression abgebaut, was allein die
Kommunen mit 1,5 Milliarden Euro belastet. Wenn das aufhört und wir unseren
Standort gut weiterentwickeln, können wir dereinst auch wieder Rücklagen
bilden. Übrigens müssen wir grundsätzlich über den Planungszeitraum der
nächsten vier Jahre einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Andernfalls wird er
von Wiesbaden nicht genehmigt. Nun ist Frankfurts Finanzkraft trotz allem
größer als die vieler anderer Kommunen. Wir werden auch 2023 abundant sein, was
bedeutet, dass wir über den Kommunalen Finanzausgleich und andere Fördertöpfe
viel Geld nach Wiesbaden überweisen, davon aber nichts zurückbekommen. Ich will
die Sorgen anderer Kommunen nicht klein reden. Doch der Eindruck, dass wir Geld
mit beiden Händen aus dem Fenster werfen, stimmt so einfach nicht.
Sie kommen aus der
IT-Branche und kennen sich mit digitalen Lösungen aus. Wie zufrieden sind Sie
mit dem Fortschritt der Digitalisierung im kommunalen Bereich?
BERGERHOFF: Ich finde, es hat sich, auch durch die Corona-Zeit, einiges bewegt.
Diese Erfahrungen helfen uns, diesen Weg mutig voranzugehen. Dank meiner für
Digitalisierung zuständigen Kollegin Eileen O´Sullivan werden nun auch die
nötigen Strukturen geschaffen. Und an vielen Stellen sind wir bereits deutlich
weiter und besser, als es den Anschein hat. Oft setzt auch nicht die Technik
die Grenzen, sondern die bisherige Organisation der Prozesse und Abläufe. Das
ist ein Punkt, an dem wir gerade arbeiten, um den Bürgerinnen und Bürgern
digitale lebensorientierte Angebote zu machen. Klar ist aber auch:
Digitalisierung und der dazugehörige Kulturwandel kann nicht bei einem Dezernat
in Auftrag gegeben werden. Das ist eine Aufgabe, die alle Mitarbeitenden und
Verwaltungseinheiten betrifft.
Welche Vorhaben stehen für
nächstes Jahr ganz oben auf Ihrer Agenda?
BERGERHOFF: Ich möchte ein neues Haushaltsverfahren einführen, bei dem
Entscheidungen über Investitionen auch im Hinblick auf deren Nachhaltigkeit
getroffen werden. Daran arbeiten wir derzeit im Hintergrund. Im Personalressort
arbeiten wir an einem Projekt zum strategischen Personalmanagement. Dabei geht
es um Führungskultur, Diversität und die Reduzierung des Krankenstands. Diese
beiden Projekte sind im kommenden Jahr unsere großen Highlights. Darüber hinaus
gilt es im Jahr 2023 aber nicht zu vergessen, die Transformation der Verwaltung
voranzutreiben.
Durch die Gewerbesteuer
des Corona-Impfstoffherstellers BioNTech hat Mainz einen
Überschuss von mehr als einer Milliarde Euro im Haushalt. Wenn auch Ihnen so
ein Geldsegen ins Haus stünde und Sie einen Wunsch frei hätten: Welches Projekt
würden Sie dann forcieren?
BERGERHOFF: Das Problem ist, dass es den meisten Projekten nicht nur am Geld,
sondern auch am nötigen Personal fehlt. Wenn ich mir aber etwas wünschen
dürfte, wären es drei Sachen: Erstens in der Energiewende vorankommen und alle
Häuser mit Photovoltaik ausstatten. Zweitens würde ich gerne die
Digitalisierung der Verwaltung mit allem Zubehör über Nacht vollzogen haben.
Und drittens wäre es schön, morgen die neuen Städtischen Bühnen eröffnen zu
dürfen.