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Eine Reise durch die Moderne mit der Tramlinie 12 von Schwanheim nach Fechenheim
Die
Trambahnen, die heute durch Frankfurt fahren, zischen, blinken und blitzen. Sie
streifen an elektrischen Oberleitungen entlang auf Schienen, die sich von
Ginnheim nach Offenbach, von Louisa Bahnhof nach Preungesheim oder – im Falle
der Tramlinie 12 – vom grünen Schwanheim bis ins Industriegebiet Fechenheims
erstrecken.
Eng verwoben mit dieser Trambahngeschichte ist die Historie der Stadtteile, nach denen das Verkehrsmittel seine Schienen im Zuge der Industrialisierung wie Fühler ausgestreckt hat. Mit dem technischen Wandel ging ein Zeitenwandel in ehemaligen Dörfern wie Schwanheim und Fechenheim einher: vom Leben im Einklang mit der Natur hin zum Takt der Uhr. Wer auf der Strecke und während der Fahrt mit der Tramlinie 12 einmal genau hinhört und -sieht, kann die Spuren des großstädtischen und industriellen Aufbruchs in Frankfurt entdecken.
Der Blick
zurück: Pferde, Schienen, Dampf – und dann Elektrizität
Die elektrischen Straßenbahnen gibt es bereits seit 138 Jahren in Frankfurt;
aber der eigentliche Ursprung des Tramverkehrs der Stadt liegt noch weiter
zurück, ganze 150 Jahre. Denn die erste Bahn, die am 19. Mai 1872 zwischen dem
Schönhof in Bockenheim und der Hauptwache verkehrte, fuhr mit einer genügsamen
Durchschnittsleistung von einem PS über die vor ihr liegende geschiente Straße.
Nicht von einer Maschine angetrieben, sondern von einem Pferd gezogen,
erreichte das Fahrzeug etwa zehn Kilometer pro Stunde. So legte die Pferdebahn
das Fundament für den heutigen innerstädtischen Schienenverkehr. Sie fuhr im
Laufe der Jahre durch Bockenheim, Sachsenhausen, über die Konstablerwache –
heute zentraler Verkehrsknotenpunkt, an dem auch die Linie 12 entlangrattert –
und vielerorts mehr. Die Pferdebahn war über 32 Jahre lang ein wichtiger
Bestandteil des städtischen Lebens in Frankfurt und in ihren Hochzeiten wurden
über 900 Pferde und mehr als 200 Wagen eingesetzt. Die Ausbauarbeiten der
Pferdebahn konzentrierten sich auf die Erschließung der Stadtteile. Sie verband
Bornheim, Bockenheim, Rödelheim, Sachsenhausen, das Westend, Nordend, Ostend
und den Hauptfriedhof mit der Innenstadt.
Das frühere Bauerndorf Schwanheim und das ehemalige Fischerdorf Fechenheim
zählten noch nicht zu diesen Stadtteilen; die Pferdebahn erreichte sie nicht.
Beide Dörfer wurden erst am 1. April 1928 nach Frankfurt eingemeindet. Sie sind
am gleichen Tag Teil einer Großstadt geworden und doch prägt sie ein ganz
unterschiedlicher Charakter. Besonders in Fechenheim hat die Industrialisierung
mit großen Veränderungen Einzug gehalten. Werbung, Logos, Kommerzialisierung –
zahlreiche Fabrikansiedlungen bestimmen das Erscheinungsbild der Gegend. Zur
Zeit der Pferdebahnen gab es nicht einmal eine Schienenverbindung nach
Fechenheim. Heute fährt allein die Linie 12 an die hundert Mal am Tag von
Schwanheim bis zur Endhaltestelle in der Fechenheimer Hugo-Junkers-Straße. 17,9
Kilometer legt die Tram auf dieser Strecke zurück.
Vor Schwanheims Idylle machte die technische Revolution derweil genauso wenig
Halt wie vor Fechenheim. Die Schienen erreichten sie sogar schon früher: Vor
der elektrischen Straßenbahn fuhr hier die Frankfurter Waldbahn, eine
normalspurige Dampfstraßenbahn, die von 1889 bis 1929 verkehrte. 1899 übernahm
die Stadt Frankfurt diese und integrierte die Strecken schrittweise in die elektrische
Straßenbahn.
Wie die Großstadt selbst ist ihr Schienennetz gewachsen und mit diesem sind es
die Distanzen, welche Straßenbahnen tagtäglich zurücklegen. An einem normalen
Freitag, dem betriebsstärksten Tag aufgrund des Nachtverkehrs, sind es etwa
25.000 Kilometer, die alle Straßenbahnzüge in Frankfurt zusammengenommen
zurücklegen. Die meisten von ihnen sind Straßenbahnen vom Typ S, der
zweitjüngsten Fahrzeug-Generation Frankfurts, die seit Anfang der 2000er Jahre
durch die Stadt rollen. Sie stellen mit 74 Exemplaren den größten Teil der
aktuellen Flotte. Auch auf der Tramlinie 12 werden sie genutzt und könnten eine
Höchstgeschwindigkeit von 70 Kilometern pro Stunde erreichen; die etwa
siebenfache Geschwindigkeit der Pferdebahnen. Da aber auch für die Linie 12 die
regulären Geschwindigkeitsbegrenzungen in Frankfurt gelten, erreicht sie ihre
Höchstgeschwindigkeit im Linienverkehr nicht.
Bitte einsteigen: Türen schließen automatisch und los geht die Fahrt durchs
Grün
Wer in Schwanheim losfährt, tut dies in der Rheinlandstraße am alten
Stationshäuschen der Frankfurter Waldbahn. In der dörflichen Umgebung des aus
dem Jahr 1888 erhaltenen urigen Fachwerkgebäudes im Stil der Neurenaissance ist
es zumeist ruhig. Wie ein Bote aus vorindustrieller Zeit kräht hier manchmal
ein Hahn. Nebenan im Kobelt Zoo sitzt er und teilt sein Quartier mit wiehernden
Pferden, grunzenden Schweinen und vielen weiteren Tieren.
In Schwanheim – früher „Sweinheim“ – mit seinen gepflasterten Straßen, wo
vorangehende Generationen ihren Zeittakt vor allem nach den Bedürfnissen ihrer
Nutztiere ausrichteten, hängt eine Uhr am Stationsgebäude. Mit minutengenauen
Abfahrtsplänen von Zügen und Bahnen wurde diese im Industriezeitalter immer
wichtiger. In der Rheinlandstraße fährt die Linie 12 meist sehr pünktlich ab.
Am Stationshäuschen machen Tramfahrerinnen und -fahrer einige Minuten Pause,
bevor sie zur nächsten Runde durch die Stadt aufbrechen. Eine Runde dauert
dabei durchschnittlich eine Stunde und elf Minuten.
Von hier aus geht es durch Niederrad, am Universitätsklinikum vorbei und über
die Friedensbrücke mit Blick auf die Skyline weiter in die Innenstadt. Für
viele Fahrgäste ist es in die eine oder andere Richtung der moderne Weg zur
Arbeit, auch für diejenigen, die im Stadtteil Flughafen direkt neben Schwanheim
arbeiten.
Der Beginn der Fahrt aus Schwanheim führt durch die grüne Lunge der Stadt: An den Haltestellen Ferdinand-Dirichs-Weg bis Kiesschneise stehen rundum Bäume. Schwanheim ist bekannt für seinen Wald und die 58,5 Hektar große Düne, die Teil einer im Mittelalter weit ausgedehnten Dünenlandschaft ist. Bei einem Blick aus dem Fenster künden Flugzeuge im Landeflug bereits davon, was eigentlich kein Geheimnis ist: Die Idylle kennt ein Ende, denn die Fahrt geht schließlich, wenn man es hier auch noch nicht glauben mag, durch eine pulsierende Großstadt.
Wer hat an der Uhr gedreht? Jetzt wird es hektisch
Enge Kurven, kreuzender Verkehr, zur Tram sprintende Fahrgäste: „Ab der
Friedensbrücke kann es schon ganz schön nervig werden. Aber so richtig
konzentrieren muss man sich am Hauptbahnhof in der Münchener Straße“, berichtet
ein Tramfahrer, der schon oft die Linie 12 gefahren ist und für den
nichtsdestotrotz jede neue Runde eine Herausforderung darstellt.
Am Hauptbahnhof in der Münchener Straße herrscht so viel Trubel, dass meist
nicht einmal mehr die Zeit für den üblichen Gruß per Handzeichen zwischen
Trambahnkolleginnen und -kollegen auf gegenüberliegenden Fahrbahnen bleibt. Augen auf die Straße –
jetzt ist volle Konzentration gefragt. Das multikulturelle Bahnhofsviertel ist
eine Welt, in der die unterschiedlichsten Menschen aufeinandertreffen. Die
Trambahnen füllen sich manchmal bis zum Rand; der Zeitdruck Zugreisender bringt
Hektik in die Münchener Straße. „Und die Leute, die hier einsteigen, sind schon
manchmal sehr speziell“, berichtet der Tramfahrer weiter und lacht.
Dass hier viel los ist, ist kein Wunder: Der Frankfurter Hauptbahnhof ist nach
seinem Hamburger Pendant der am zweitstärksten frequentierte Fernbahnhof in Deutschland
und die wichtigste deutsche Verkehrsdrehscheibe im Zugverkehr. Wo in Hamburg
mehr als 550.000 Reisende pro Tag verkehren, sind es in Frankfurt um die
500.000 Reisende täglich. Interessanterweise ist das große, imposante
Frankfurter Hauptbahnhofsgebäude nicht einmal älter als das kleine
Stationshäuschen in Schwanheim. Der „Centralbahnhof Frankfurt“, so der
ursprüngliche Name, wurde wie dieses im Jahr 1888 fertiggestellt. Nur scheint
die Zeit hier im Bahnhofsviertel schneller zu vergehen – wenn auch die Uhr am
Eingangsportal des Hauptbahnhofs objektiv gesehen genauso gleichmäßig
voranschreitet wie ihr Gegenstück in Schwanheim. Ganz oben auf dem
Eingangsportal ragen Symbolfiguren für Dampf und Elektrizität an beiden Seiten
einer Atlas-Skulptur empor – einem Titanen der griechischen Mythologie – und
tragen mit dieser Skulptur gemeinsam die Weltkugel. Atlas trägt wohl nur die
ferne Vergangenheit. Denn Dampf, Elektrizität und Zeit sind das Dreiergespann
des modernen Schienenverkehrs in Frankfurt.
Bitte aussteigen – Endstation: Fechenheim
Auf ihrer Weiterfahrt streift die Tramlinie 12 noch viele weitere Orte, die
alle für sich spannende Geschichten zu erzählen haben. Vom Finanzverkehr im
Bankenviertel am Willy-Brandt-Platz, über den Tourismus am Römerberg, die
Ausstellungen im Museum für Moderne Kunst in der Braubachstraße bis hin zum
Nachtleben an der Konstablerwache, am Friedberger Platz und in Bornheim –
allesamt sind sie mehr oder minder Geschichten der Moderne. Über begrünte
Gleise an der Eisporthalle vorbei geht es bis nach Fechenheim.
An der Endhaltestelle in Fechenheim aussteigend, treffen Fahrgäste auf eine
weite, zumeist menschenleere Hugo-Junkers-Straße. Große, industrielle Gebäude
und Baustellen säumen ihre Straßenränder. Gegenüber der Gleise steht die
ehemalige Zentrale einer Ikone des deutschen Wirtschaftswunders: des 2012
insolvent gegangenen Versandhändlers Neckermann. Ein Name, der wie kaum ein
anderer mit dem Gedanken an Kataloge verbunden ist. Und dann, nur wenige
Minuten zu Fuß entfernt, findet sich in der Hanauer Landstraße das alte
Rotklinkergebäude der Cassella-Farbwerke, einer der größten Arbeitgeber zur
Zeit der Industrialisierung. Heute beheimatet das Gebäude nicht mehr „die
Cassella“, aber es besteht noch als Teil des Industrieparks Fechenheim.
Rund um die Hanauer Landstraße prägen Gewerbebetriebe das Wirtschaftsleben. Im
Industriegebiet in Fechenheim ist die Tramlinie 12 schlussendlich im Herzen der
Industrialisierung angekommen. Es zeigt sich, wer mit dieser Trambahn fährt,
fährt nicht nur durch die Stadt, sondern auch durch die sich rasend schnell
verändernden Jahrzehnte moderner Stadtgeschichte.
Text: Anna-Lisa Meil
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