Adorno, Theodor, W. sowie Wiesengrund, Maria Barbara und Oskar

Adorno, Theodor, W. sowie Wiesengrund, Maria Barbara und Oskar

Stolperstein-Biographien in Oberrad

Adorno, Theodor,W. sowie Wiesengrund, Maria Barbara und Oskar

 

Theodor W. Adorno wurde als Theodor Ludwig Wiesengrund 1903 in der Schönen Aussicht 9 in Frankfurt am Main geboren. Seine Eltern waren Oskar Wiesengrund und Maria Barbara Calvelli-Adorno, die in Bockenheim geboren wurde, als dieses noch nicht Stadtteil von Frankfurt war. Oskar Wiesengrund war Weinhändler und führte die vom Großvater Bernhard Wiesengrund gegründete Weinhandlung in der Schönen Aussicht 7.

 

Oskar Wiesengrund hatte längere Zeit in London gelebt. Dorthin war sein Bruder Bernhard ausgewandert und wurde unter dem naturalisierten Namen Bernard Wingfield Fabrikant. Maria Barbara Calvelli-Adorno und Oskar Wiesengrund heirateten am 4. Juli 1898 in London. Maria Calvelli-Adorno war wie ihre Schwester Agathe (1868-1935) eine ausgebildete Sängerin mit Engagements am Hof-Operntheater in Wien.

 

Laut Geburtseintrag von Theodor W. Adorno war die Mutter katholisch, der Vater „israelitische Religion“. Die Familie zog 1914 in ein neu gekauftes Haus in Oberrad in der Seeheimer Straße 19. In einem Erkerzimmer wohnte Agathe Calvelli-Adorno, die Schwester von Adornos Mutter.

 

Von 1913 bis 1921 besuchte Theodor W. Adorno das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium (heute Freiherr-vom- Stein-Gymnasium) in Sachsenhausen. Er erhielt, nachdem er 1920 eine Klasse übersprang, mit 17 Jahren 1921 das Reifezeugnis als Jahrgangsbester. Er studierte an der Frankfurter Universität Philosophie, Psychologie, Soziologie und Musikwissenschaften. 1924 folgte die Dissertation über Husserls Phänomenologie 1931 und seine Habilitation über Kierkegaard bei Paul Tillich. Dazwischen hielt er sich in Wien auf und machte eine Kompositionslehre bei Alban Berg.

 

Seit April 1931 war Theodor W. Adorno Privatdozent im Fachbereich Philosophie der Universität Frankfurt. Am 8. September 1933 wurde ihm die Lehrbefugnis an der Universität Frankfurt entzogen. Er war dort Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung unter der Leitung von Max Horkheimer. Die Wohnräume Adornos in der Seeheimer Straße wurden 1933 durchsucht. Adornos Vater versuchte über seinen Bruder in England seinem Sohn eine neue berufliche Existenz zu verschaffen. 1934 flüchtete Theodor W. Adorno nach England und arbeitete beim Academic Assistance Council, das im Mai 1933 gegründet worden war, um von den Nazis verfolgte Wissenschaftler zu unterstützen.

 

Mehrfach kehrte Theodor W. Adorno nach Frankfurt zurück, so 1935, als seine Tante Agathe im Sterben lag. Am 21. Juli 1937 meldete er sich von der Adresse Seeheimer Straße 19 ab, am 8. September 1937 heiratete er die promovierte Chemikerin Gretel Karplus in London. Auf Einladung Horkheimers zogen Adorno und seine Frau im Februar 1938 nach New York.

 

Die Eltern lebten allein in der Seeheimer Straße, sahen aber keine Perspektive mehr in Deutschland und bereiteten seit Frühjahr 1938 die Ausreise vor. Im September 1938 wurde Oskar Wiesengrund verhaftet und für einen Monat inhaftiert. Es wurden ihm Verstöße gegen das Gesetz vom 22. April 1938 vorgeworfen. Dieses Gesetz drohte Zuchthaus-, Gefängnis- und Geldstrafen Personen an, die „aus eigennützigen Beweggründen" dabei mitwirken, „den jüdischen Charakter eines Gewerbebetriebes zu verschleiern". Er wurde am 7. November entlassen.

 

Bei den Novemberpogromen wurde das Wohnhaus in der Seeheimer Straße mit Steinen beworfen. Maria Adorno-Calvelli ging im Schlafanzug auf die Straße und flehte den Rädelsführer an, den Steinhagel einzustellen. Sie und ihr Mann wurden in dieser Nacht verhaftet und ins Polizeipräsidium Frankfurt bzw. ins Frauengefängnis Klapperfeld gebracht. Am folgenden Tag wurde Oskar Wiesengrund nach der Intervention eines Anwalts, einige Tage später Maria Adorno-Calvelli entlassen. Beide trugen gesundheitliche Schäden davon, sie erlitt einen Zusammenbruch, er hatte eine Herzerkrankung und ein Nervenleiden, das zur Erblindung führen wird.

 

Auch die Weinhandlung in der Schönen Aussicht 7 wurde geplündert und zerstört. Ein Zeuge berichtet: „Während der Ausschreitungen des 9.11.38 bei denen die Keller und Büroräume sowie die Einrichtung der Firma vom Mob zerstört und verwüstet wurden…aus den oben genannten Fässern sind über 11.000 Liter Spitzenweine ausgelaufen.“ Der Schaden lag bei über 30.000 RM.
Die Weinhandlung und das Wohnhaus wurden nun unter Wert verkauft. Oskar Wiesengrund und Maria Adorno-Calvelli flüchten 1939 über Kuba in die USA. Am 8. Juli 1946 starb Oskar Wiesengrund in New York, Maria Calvelli-Adorno am 23. Februar 1952 in New York.

 

Theodor W. Adorno kehrte 1949 nach Frankfurt am Main zurück und wurde außerordentlicher (ab 1953 planmäßiger) Professor an der Universität Frankfurt für Philosophie und Soziologie, ab 1954 stellvertretender Direktor des Instituts für Sozialforschung. Gemeinsam mit Max Horkheimer wurde Theodor W. Adorno Begründer der Kritischen Theorie. Seine Hauptwerke sind: Dialektik der Aufklärung (1947 mit Max Horkheimer), Minima Moralia (1951), Noten zur Literatur (1958-1965), Negative Dialektik (1966).

 

Theodor W. Adorno starb am 6. August 1969 während eines Urlaubs in Zermatt an einem Herzinfarkt im Krankenhaus von Visp (Schweiz).

 

Die Stolpersteine wurden von Dieter Wesp initiiert. An der Finanzierung beteiligten sich: Ute und Ernst Szebedits, Ulrich Erhardt, Majid Semnar, Gert Vetter und Maria Vetter-Kurtz, Michael Köhler und Paula Abril, Dieter Müller und Kerstin Dittrich, Heipe und Christina Weiss, Bruno Piberhofer und Lisa Dubenkropp, Michael Quast, Werner Bohr, Rosemarie und Dieter Wesp.

 

Maria und Oskar Wiesengrund, Hochzeitsbild 1898
Maria und Oskar Wiesengrund, Hochzeitsbild 1898 © Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Schöne Aussicht: links Geburtshaus Nr. 9, rechts die Weinhandlung Nr. 7
Schöne Aussicht: links Geburtshaus Nr. 9, rechts die Weinhandlung Nr. 7 © Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Maria Wiesengrund, Agatha Calvelli-Adorno und Theodor W. Adorno, um 1915/1916
Maria Wiesengrund, Agatha Calvelli-Adorno und Theodor W. Adorno, um 1915/1916 © Theodor-W.-Adorno-Archiv

Seeheimer Straße 19, Gartenansicht 1951
Seeheimer Straße 19, Gartenansicht 1951 © Privatarchiv Reinhard Pabst

Hausstandsbuch mit dem Eintrag Seeheimer Straße 19, Wiesengrund
Hausstandsbuch mit dem Eintrag Seeheimer Straße 19, Wiesengrund © Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Seeheimer Straße 19 nach der kriegsbedingten Beschädigung
Seeheimer Straße 19 nach der kriegsbedingten Beschädigung © Privat

Deutschherrenmittelschule, 1910-1913
Deutschherrenmittelschule, 1910-1913 © Wikipedia

Theodor W. Adorno, 1931
Theodor W. Adorno, 1931 © Theodor W. Adorno Archiv

Maria und Oskar Wiesengrund, 1937
Maria und Oskar Wiesengrund, 1937 © Theodor-W.-Adorno-Archiv

Maria und Oskar Wiesengrund, 1939 auf Kuba
Maria und Oskar Wiesengrund, 1939 auf Kuba © Theodor-W.-Adorno-Archiv

Theodor W. Adorno, 1964
Theodor W. Adorno, 1964 © Wikipedia

 

Oskar Wiesengrund 
Geburtsdatum:   30.7.1870 
Haft: September bis 7.11.1938 
Flucht:
1939 Kuba-USA

 

Maria Barbara Wiesengrund, geb. Calvelli-Adorno 
Geburtsdatum:  30.9.1865  
Haft:  9.11.1938
Flucht:  1939 Kuba-USA

 

Theodor W. Adorno  
Geburtsdatum:   11.9.1903 
Flucht:   1934 England, 1939 USA

 

 

 

Stolperstein Seeheimer Straße 19, Theodor W. Adorno
Stolperstein Seeheimer Straße 19, Theodor W. Adorno © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

Stolperstein Seeheimer Straße 19, Maria Barbara Wiesengrund
Stolperstein Seeheimer Straße 19, Maria Barbara Wiesengrund © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

Stolperstein Seeheimer Straße 19, Oskar Wiesengrund
Stolperstein Seeheimer Straße 19, Oskar Wiesengrund © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

 

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