Studentische Poliklinik feiert zehnten Geburtstag
03.06.2024, 12:20 Uhr
Initiative mit Vorbildcharakter für Medizinstudium und Stadtgesellschaft
Die Studentische Poliklinik
(StuPoli) der Goethe-Universität im Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt feiert
am Montag, 3. Juni, zehnjähriges Bestehen. Eine Initiative mit vielfachem
Nutzen: Die Sprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung wird von
Studierenden unter Aufsicht erfahrener Ärztinnen und Ärzte angeboten.
Ein solches Wahlpflichtfach hätte sich Prof. Robert Sader als Student auch
gewünscht: „Zu meiner Studienzeit vor 40 Jahren war die medizinische Lehre
extrem theorielastig, und richtigen Patientenkontakt hatten wir erst im
Praktischen Jahr“, erinnert sich der Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und
Plastische Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt in einem
Interview zum Jubiläum. Die Idee, dass der Fachbereich Medizin sich in die
Versorgung Bedürftiger einbringen könnte, hatte der Frankfurter Anatom Prof.
Helmut Wicht. Sader, damals Studiendekan, griff sie auf und entwickelte sie
gemeinsam mit Studierenden weiter. Nachdem – auch mit Hilfe des Frankfurter
Gesundheitsamtes – so manche Hürde beseitigt werden konnte, ging die
Studentische Poliklinik am 17. Juni 2014 als bundesweit erstes Angebot dieser
Art in Betrieb. Seither wurde hier vielen Patientinnen und Patienten geholfen.
Und auch von studentischer Seite war das Interesse stets groß. Eine besondere
Bestätigung für das Projekt: 2017 erhielt es den Hessischen Hochschulpreis für
Exzellenz in der Lehre, der mit 60.000 Euro dotiert war.
Elke Voitl, Dezernentin für Soziales und Gesundheit, stellt die Initiative in
die Tradition des berühmten Frankfurter Stadtarztes und Stifters Johann
Christian Senckenberg. „Noch immer haben Menschen ohne Krankenversicherung in
Deutschland lediglich in absolut akuten Notlagen einen Anspruch auf
medizinische Hilfe. Das ist ein Problem. Wir brauchen dringend eine kostenlose
Grundversorgung für jede:n in unserer Gesellschaft. Gesundheit ist eine
wesentliche Voraussetzung für Teilhabe, sie ist die Basis für ein gutes Leben.
Diese Basis allen zu ermöglichen, stärkt auch die Gemeinschaft. Andernfalls
schreitet die Spaltung weiter voran, nehmen gesellschaftliche Verwerfungen und
Spannungen unaufhaltsam zu“, warnt Voitl. „Die StuPoli setzt hier einen ganz
entscheidenden Impuls, denn sie ergänzt vorbildlich die Humanitären
Sprechstunden unseres Gesundheitsamts. Beide Angebote wurden über die Jahre
hinweg ausgebaut – und die Nachfrage ist weiterhin enorm. Dies bestätigt
unseren politischen Handlungsansatz und zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg“,
sagt die Stadträtin.
„Das Präsidium der Goethe-Universität gratuliert der Studentischen Poliklinik
zum zehnjährigen Bestehen. Die StuPoli ist ein besonders gutes Beispiel dafür,
wie sich Wissenschaft direkt in die Gesellschaft einbringen kann – so wie es in
der Gründungs-DNA der Goethe-Universität festgeschrieben ist. Auf Solidarität
angewiesene Menschen in unserer Stadt profitieren davon; die Studierenden
gewinnen durch ihre Mitarbeit in der StuPoli Praxiserfahrung und – vielleicht
noch wichtiger – erleben das Gefühl großer Sinnhaftigkeit. Wir sind stolz auf dieses
rundum gelungene Projekt“, sagt Prof. Viera Pirker, Vizepräsidentin für Lehre
an der Goethe-Universität.
„Der Kontakt mit Patientinnen und Patienten ohne festen Wohnsitz, ohne
Krankenversicherung und mit Problemen, die in Deutschland nicht im Mittelpunkt
der Gesellschaft stehen, fordert nicht nur fachliche Kompetenzen unserer
Ärztinnen und Ärzte von morgen, sondern regt insbesondere auch zur Reflexion
über die eigene Rolle, das eigene Verhalten und Engagement an. Die jungen
Menschen erhalten im Vergleich zu ihrem regulären Studium eine ganz neue
Perspektive auf ihre zukünftige Tätigkeit und erweitern dabei ihren
Erfahrungsschatz und ihre kommunikativen Fähigkeiten erheblich“, erklärt Prof.
Miriam Rüsseler, Studiendekanin des Fachbereichs Medizin.
„Das Spektrum an Erfahrungen bereichert die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten“,
sagt Dr. Peter Tinnemann, Amtsleiter des Gesundheitsamtes. „Dass die
Studentinnen und Studenten bereits während ihres Studiums viele
unterschiedliche praktische Erfahrungen sammeln können, ist ein Gewinn für die
Menschen in Frankfurt, für die Patientinnen und Patienten sowie natürlich für
die Studenten und Studentinnen. Vielen Dank für zehn Jahre StuPoli. Es ist ein
bemerkenswertes Projekt.“
Dr. Dr. Lukas Seifert, einer der studentischen Initiatoren, erinnert sich an
die Planungsphase: In Europa habe es damals nichts Vergleichbares gegeben. Die
amerikanischen Student-run Free Clinics dienten als Vorbild, eine
studentische Delegation machte sich unter anderem in Harvard ein Bild von Ablauf
und Organisation. Seifert entwickelte auf dieser Basis im Rahmen einer
Doktorarbeit das Konzept für das Frankfurter Wahlpflichtfach. Auf dem Weg zur
Realisierung der StuPoli habe es vor allem zwei Hürden gegeben, schildert Prof.
Sader: Zum einen die versicherungsrechtliche Problematik – sie sei gelöst
worden, indem das Gesundheitsamt zur akademischen Lehreinrichtung der
Universität akkreditiert, das klinische Wahlfach der StuPoli entwickelt und im
Studium implementiert wurde. Zum anderen gestaltete sich die Suche nach
Räumlichkeiten schwierig, aber dieses Problem wurde mit Hilfe des
Gesundheitsamtes gelöst, das zunächst provisorisch mit Räumen aushalf. Aus dem
Provisorium wurde eine Dauerlösung, die sich bewährt hat.
Von Beginn an als ärztliche Supervisorin dabei ist Dr. Petra Tiarks-Jungk. Sie
leitete die Humanitäre Sprechstunde und gab den ersten StuPoli-Studierenden die
Gelegenheit, dort zu hospitieren. Ihre Skepsis in Bezug auf die Qualität der
studentischen Medizinkenntnisse sei rasch verflogen, berichtet sie: Von deren
Engagement und Versiertheit sei sie „hellauf begeistert“ gewesen. Deshalb habe
sie die StuPoli gern als ärztliche Supervisorin unterstützt und tue das auch
heute noch – nach dem aktiven Berufsleben.
Die Studierenden treffen nicht unvorbereitet auf Patientinnen und Patienten.
Erst nach einem Semester und einem erfolgreich absolvierten Untersuchungskurs
und Fallseminaren können sie praktisch in der StuPoli arbeiten – begleitet von
einem „Senior“ und unter ärztlicher Supervision. Die Sprechstunden der
Studentischen Poliklinik finden dienstags von 17 bis 19 Uhr und mittwochs von
18 bis 20 Uhr statt. Jeweils zwei Teams aus zwei Studierenden – ein Junior und
ein Senior – untersuchen die Patienten, stellen die Anamnese, nehmen Blut ab
oder machen einen Ultraschall. Oft geht es um akute Leiden, aber auch
chronische Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck kommen vor. Robert Sader
zufolge haben sich nicht wenige StuPoli-Engagierte für eine Tätigkeit in einer
Hausarztpraxis entschieden. „Durch meine Mitarbeit in der StuPoli ist mein
Interesse an der Allgemeinmedizin gestärkt worden“, bestätigt Petra Sporerova
vom aktuellen StuPoli-Team. „Es macht viel Freude, den Patienten helfen zu
können. Man erhält so viel Dankbarkeit zurück“, sagt die Medizinstudentin.