„Die Geschichte der deutschen Demokratie ist eine Geschichte des Gelingens“
06.11.2024, 12:20 Uhr
Im Interview erklärt Ehrenplaketten-Träger Eugen Emmerling, was ihn dazu bewog, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren und welchen historischen Stellenwert die Paulskirche seiner Ansicht nach als Symbol der deutschen Demokratiegeschichte hat.
Herr Emmerling, was war der Ursprung Ihres politischen und
gesellschaftlichen Engagements?
EUGEN EMMERLING: Ich bin gelernter Demokrat und kann Persönliches und
Berufliches nicht trennen. Ich bin in der Post-Adenauer-Zeit in Bayern
aufgewachsen und merkte als Jugendlicher, dass ich homosexuell bin. Damals
drohte mit dem Nazi-Paragraphen 175 noch strafrechtliche Verfolgung. Das war im
Grunde der Auslöser und Ansporn meines Engagements, dazu beizutragen, gegen die
Diskriminierung marginalisierter Minderheiten mit demokratischen Mitteln
vorzugehen.
Sie konnten bereits in jungen Jahren auf eine beachtliche Karriere
zurückblicken: Waren Redakteur der Münchner Abendzeitung und mit 30 Jahren
Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Würzburg. Was hat Sie nach
Frankfurt verschlagen?
EMMERLING: Literatur war schon immer ein immaterielles Grundnahrungsmittel für
mich. Während meiner Zeit in Würzburg habe ich durch die lebendigen
Städtepartnerschaften erkannt, wie wichtig internationaler Austausch ist. Als
1986 das Angebot des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels kam, die Abteilung
Auslandsausstellungen der Ausstellungs- und Messe GmbH zu leiten, musste ich
daher nicht lange überlegen.
1990 haben Sie die Leitung der Abteilung Presse und Information und das Amt
des Sprechers des Börsenvereins übernommen. Ist zu dieser Zeit auch Ihre Liebe
zu Frankfurt erwachsen?
EMMERLING: Frankfurt ist die Stadt in Deutschland, die sich ständig neu
erfindet und in die es den Menschen am leichtesten macht, neue Kontakte zu
knüpfen. Während meiner Zeit im Börsenverein habe ich für deutsche Literatur in
mehreren Kontinenten werben dürfen und auch viel politische Lobbyarbeit für die
Buchbranche in Bonn, Brüssel und Paris betrieben. Frankfurt war damals wie
heute eine wichtige Anlaufstelle für den internationalen Buchmarkt. Zudem hing,
anders als in Bayern, keine konservative Käseglocke über der Stadt.
Sie erhalten die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt am Main auch für Ihre
Verdienste um die Paulskirche. Was fasziniert Sie an diesem
geschichtsträchtigen Gebäude?
EMMERLING: Bezeichnenderweise hat mich Stadtrat Bernd Heidenreich von der CDU
für diese Ehrung vorgeschlagen. Gemeinsam mit Uwe Paulsen von den Grünen haben
wir dafür gekämpft, eine verkitschte Disneylandisierung dieses ehrwürdigen
Gebäudes zu verhindern. Seit meiner Arbeit für den Friedenspreis des Deutschen
Buchhandels ist mir dieses Bauwerk sehr ans Herz gewachsen. Dass die
Paulskirche heute so aussieht wie wir sie kennen, ist ein wichtiges Zeichen der
demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik und betont auch die Brüche in der
Geschichte dieses Landes.
Anders als der Reichstag in Berlin oder das Anne-Frank-Haus in Amsterdam ist
die Paulskirche kein Publikums- und Touristenmagnet. Haben Sie dafür eine
Erklärung?
EMMERLING: Wir haben in Frankfurt zahlreiche geschichtsträchtige Orte wie die
Wahlkapelle im Kaiserdom, das rekonstruierte Thurn- und Taxis-Palais als Sitz
des Deutschen Bundes oder eben die Paulskirche. Vielleicht stellen wir diese
wichtigen Zeugnisse der deutschen Geschichte nicht genügend heraus. Frankfurt
ist aufs Engste verknüpft mit der demokratischen Entwicklung Deutschlands.
Jedoch hat diese Stadt sich stets neu erfunden und weiterentwickelt. Sie schaut
selten auf Vergangenes zurück. Die Geschichte der deutschen Demokratie ist
keine Geschichte des Misslingens sondern letztlich eine des Gelingens – und so
muss sie auch erzählt werden. Das Haus der Demokratie, wie auch immer dieses
aussehen wird, wäre eine gute Möglichkeit, den Kontext zwischen dem
Geschichtsort Paulskirche und dem aktuellen demokratischen Diskurs in der
Gesellschaft neu und wirkungsvoll zu vermitteln.