Stadt Frankfurt verleiht den Theodor W. Adorno-Preis 2024 an die Philosophin Seyla Benhabib
12.09.2024, 12:32 Uhr
Bei einem feierlichen Festakt am Mittwoch, 11. September, überreichte Oberbürgermeister Mike Josef in der Paulskirche den Theodor W. Adorno-Preis 2024 an die US-amerikanische Philosophin Prof. Dr. Seyla Benhabib.
Der Oberbürgermeister betonte die Verbundenheit
der Preisträgerin zu Frankfurt als Stadt der Kritischen Theorie: „Wie Seyla
Benhabib über das fruchtbare intellektuelle Klima im Frankfurt der
Achtzigerjahre spricht, ist beeindruckend. Dass die Frankfurter Schule sie
intellektuell wie biografisch maßgeblich geprägt und beeinflusst hat, zeigen
ihr Denken und ihre Schriften nachdrücklich. Mit Seyla Benhabib zeichnet die
Stadt Frankfurt eine Philosophin von Weltrang aus, die in Zeiten
identitätspolitischer Verhärtungen und erbitterter Kulturkämpfe den
Universalismus verteidigt.“
Die Dankesrede der Preisträgerin stand unter dem Titel „Gegen falsche
Universalien und identitäres Denken“. In Rekurs auf Theodor W. Adorno und
Hannah Arendt plädierte Seyla Benhabib für eine „erweiterte Denkungsart“, die eine
Pluralität von Standpunkten anerkenne, ohne ihnen deshalb zwangsläufig
zuzustimmen. Einer solchen „Anerkennung der Nichtidentität“, die sich aus der
Philosophie der Aufklärung speise, stehe zunehmend ein Klima der
identitätspolitischen Abschottung entgegen. Seyla Benhabib drückte darüber
hinaus ihre enge Verbundenheit zu Frankfurt aus: „Ich fühle mich der Stadt
Frankfurt nicht nur deshalb verbunden, weil ich mich in der Tradition der
Frankfurter Schule verorte, sondern auch, weil ich 1980, also vor mehr als vier
Jahrzehnten, als ausländische Studentin und Wissenschaftlerin in diese Stadt
kam und die Begegnung mit Frankfurt mein Leben für immer verändert hat.“
Die Laudatio auf Seyla Benhabib hielt der US-amerikanische Historiker Prof. Dr.
Martin Jay, ein bedeutender Kenner der Geschichte der Frankfurter Schule. Er
beschloss seine Darstellung des Œuvres der Preisträgerin mit der Prognose, dass
dieses auch in Zukunft breit rezipiert und diskutiert werde: „Seyla Benhabib
wird in den Kanon jener Denkerinnen und Denker aufgenommen werden, deren
Reflexionen für ihre Kollegen von Bedeutung waren, und die sowohl für ihre
theoretischen Innovationen als auch für deren Anwendung auf reale Probleme
geschätzt werden. Seyla Benhabib ist somit eine würdige Trägerin des Adorno-Preises,
nicht nur für das, was sie bereits erreicht hat, sondern auch für die
weitreichende Wirkung, die ihre Arbeit in den kommenden Jahren sicherlich noch
haben wird.“
Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig, wie Oberbürgermeister Mike
Josef Mitglied des Kuratoriums des Adorno-Preises, betonte: „Für den
Adorno-Preis des Jahres 2024 hätte es keine bessere Preisträgerin als Seyla
Benhabib geben können. Sie verbindet in ihrer Deutung des Universalismus
wesentliche Positionen der Kritischen Theorie mit denjenigen Hannah Arendts und
entwickelt daraus eine genuin eigene philosophische Position, die Antworten auf
zentrale Fragen unserer Zeit findet. Die glanzvolle Preisverleihung am 11.
September hat den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt erneut als eines der großen
intellektuellen Ereignisse Deutschlands erwiesen.“
Seyla Benhabib wurde 1950 in Istanbul geboren und studierte unter anderem an
der Brandeis University und in Yale, wo sie 1977 mit einer Arbeit zu Hegels
Rechtsphilosophie promovierte. Sie hatte Assistenzprofessuren in Yale und
Boston sowie Professuren in Harvard und an der New School for Social Research
in New York inne, bevor sie 2001 als Eugene Meyer Professor of Political
Science and Philosophy an der Yale University berufen wurde. Nach ihrer
Emeritierung ist sie weiter als Senior Research Scholar an der Columbia Law
School tätig. Benhabib wurde mit dem Meister-Eckhart-Preis 2014, dem Dr.
Leopold Lucas-Preis 2012 und dem Ernst-Bloch-Preis 2009 ausgezeichnet.
Zahlreiche ihrer Werke sind auch in deutscher Übersetzung erschienen, darunter
„Selbst im Kontext“ (1995), „Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der
Moderne“ (1998), „Die Rechte der Anderen“ (2008), „Kosmopolitismus ohne
Illusionen: Menschenrechte in unruhigen Zeiten“ (2016) und „Kosmopolitismus im
Wandel. Zwischen Demos, Kosmos und Globus“ (2024).
Der mit 50.000 Euro dotierte Theodor W. Adorno-Preis wird alle drei Jahre von
der Stadt Frankfurt am Main zum Gedenken an den Philosophen Theodor W. Adorno
vergeben und dient der Förderung und Anerkennung hervorragender Leistungen in
den Bereichen Philosophie, Musik, Theater und Film. Theodor W. Adorno wirkte
viele Jahre an der Universität Frankfurt und dem Institut für Sozialforschung
und war einer der namhaftesten Vertreter der Frankfurter Schule. Seine
Schriften, darunter „Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben“,
„Negative Dialektik“ und die gemeinsam mit Max Horkheimer im Exil verfasste
„Dialektik der Aufklärung“, zählen zu den einflussreichsten philosophischen und
kulturtheoretischen Werken des 20. Jahrhunderts.
Dem Kuratorium des Theodor W. Adorno-Preises 2024 gehören als Mitglieder qua
Amt Oberbürgermeister Mike Josef, Stadtverordnetenvorsteherin Hilime Arslaner,
die Vorsitzende des Kultur-, Wissenschaft- und Sportausschusses Julia Eberz,
Kulturdezernentin Ina Hartwig, der Direktor des Instituts für
Sozialforschung Prof. Dr. Stefan Lessenich sowie die geschäftsführende
Direktorin des Sigmund-Freud-Institutes Prof. Dr. Vera King an. Als freie
Mitglieder gemäß Satzung wurden der Soziologe Prof. Dr. Steffen Mau
(Humboldt-Universität zu Berlin), die Philosophin Prof. Dr. Juliane Rebentisch
(Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main), die Schriftstellerin Kathrin
Röggla und der Journalist Dr. Alf Mentzer (Hessischer Rundfunk) ins Kuratorium
berufen. Vorherige Preisträgerinnen und Preisträger waren Klaus Theweleit
(2021), Margarethe von Trotta (2018), Georges Didi-Huberman (2015) und Judith
Butler (2012). Der erste Preisträger war im Jahr 1977 der Soziologe Norbert
Elias.