Frankfurt bringt „Bündnis gegen Kinderarmut“ auf den Weg
14.09.2023
Trotz bestehender Hilfen sind in Frankfurt Hunderttausende von Kindern armutsgefährdet. Das will die Stadt ändern und schlägt einen grundlegend neuen und innovativen Weg ein. Das Ziel ist ehrgeizig.
Die Stadt Frankfurt will für mehr Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit bei Kindern und Jugendlichen sorgen. Dazu hat Sozial- und Gesundheitsdezernentin Elke Voitl ein „Bündnis gegen Kinderarmut“ auf den Weg gebracht. Es soll ein gesamtstädtisches Leitbild und eine Strategie zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut entwickeln. Das in ihrem Dezernat angesiedelte Jugend- und Sozialamt setzt damit einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom November vergangenen Jahres um.
„Armut ist nicht nur eine finanzielle Notlage. Sie führt zu einer deutlich eingeschränkten Teilhabe am öffentlichen Leben, an Kultur, Sport und Bildung. Kinder und Jugendliche, die in armen Verhältnissen aufwachsen, sind in ihrer Entwicklung insgesamt benachteiligt. Wir müssen eine weitere Zunahme der Kinderarmut in Frankfurt verhindern“, sagt die Stadträtin. „Armut und Ausgrenzung sind der soziale Sprengstoff der Zukunft in dieser Stadt – explosiv und hochgefährlich für das Zusammenleben“, warnt Voitl, „wenn wir das nicht in den Griff bekommen, drohen uns gesellschaftliche Verwerfungen“.
Nach Daten des Statistischen Bundesamts lag die Armutsgefährdungsquote in Deutschland im Jahr 2022 bei 14,7 Prozent. Das bedeutet, dass mehr als jede:r siebte:r Bewohner:in auf Bundesebene weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Vor allem in den Großstädten ist die Armutsgefährdung überdurchschnittlich hoch: Frankfurt gehörte 2022 mit 23,2 Prozent neben Düsseldorf zu den Großstädten mit der höchsten Armutsgefährdungsquote in Deutschland.
Angesichts dieser Entwicklung sorgen sich die Frankfurter Bewohner:innen. In der aktuellen Bevölkerungsumfrage des Bürgeramts, Statistik und Wahlen „Ergebnisse der Umfrage Leben in Frankfurt 2022“ stufen 87 Prozent der Befragungsteilnehmer:innen das Thema „Armut“ nach dem Thema „bezahlbarer Wohnraum“ als zweitwichtigstes politische Handlungsfeld ein, das vorrangig angegangen werden sollte.
Von Armut betroffen sind besonders Kinder und Jugendliche. Ende 2022 lebten in Frankfurt insgesamt 23.016 Kinder unter 18 Jahren in Bedarfsgemeinschaften (17,6 Prozent in ihrer Altersgruppe) und 19.762 Kinder unter 15 Jahren (17,8 Prozent in ihrer Altersgruppe). Betrachtet man die Entwicklung kleinräumig, so zeigt sich, dass in einigen Frankfurter Stadtbezirken der Anteil der Kinder im Sozialgeldbezug mit bis zu 42 Prozent besonders hoch ist.
Durch die Corona-Pandemie hat sich die Situation für von Armut betroffene Kinder und Jugendliche zusätzlich verschärft: Wiederholte Teilschließungen von Schulen und Betreuungseinrichtungen, Einschränkungen von außerfamiliären Treffmöglichkeiten, finanzielle Einschränkungen innerhalb der Familie sowie die unzureichende digitale Ausstattung zur Teilnahme am Unterricht haben zu Verunsicherung und Rückzug bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen geführt. Die psychosozialen Folgen sind gravierend.
Durch den Krieg in der Ukraine sind zudem die Energie- und Lebenshaltungskosten stark angestiegen, was insbesondere einkommensschwache Haushalte belastet. Kinder aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien leben tendenziell in einem benachteiligten, anregungsärmeren Umfeld und haben damit schlechtere Voraussetzungen für ihre kognitive, kulturelle und soziale Entwicklung.
„Armut ist ein soziales Problem, das zwar ökonomische Ursachen hat, sich aber in allen Lebensbereichen negativ auswirkt. Armutslagen von Kindern und Jugendlichen mögen daher in erster Linie als ökonomische Notlage erscheinen, wirken sich jedoch auf die soziale, kulturelle und emotionale Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen negativ aus“, sagt Voitl. „Auf die beschriebenen Entwicklungen gilt es zu reagieren, wenn ein weiterer Anstieg der Kinderarmut in Frankfurt verhindert beziehungsweise Armut abgebaut und damit verbundene Ausgrenzungs- und Verdrängungsprozesse vermieden werden sollen.“
Für das „Bündnis gegen Kinderarmut“ liegt bereits ein erstes Konzept vor. Danach sind insgesamt fünf Arbeitsschritte vorgesehen: Zunächst sollen die notwendigen Arbeits- und Kommunikationsstrukturen aufgebaut werden. Im zweiten Schritt wird eine fundierte Wissensbasis erarbeitet, aus der im dritten Schritt Problemlösungen generiert werden. Danach soll die Zielvision konkretisiert werden. Im fünften Schritt wird diese Vision dann in einer Strategie verankert, die unter anderem konkrete Handlungsempfehlungen gibt. Darüber hinaus soll es im kommenden Jahr eine breit angelegte Armutskonferenz geben, auf der die aktuelle Situation diskutiert wird.
Das Projekt ist ergebnisoffen und soll im Sommer 2024 abgeschlossen sein. Die Arbeit erfolgt gemeinsam mit den sozialen Trägern der Stadt, mit anderen Ämtern und einer Vielzahl von Akteur:innen, die mit der Kinder- und Jugendarbeit befasst sind. Die Festlegung der Visionen, strategischen Ziele und Maßnahmen erfolgt in einem partizipativen und transparenten Prozess, an dem sich alle beteiligen können, die sich gegen Kinder- und Jugendarmut engagieren wollen. „Wenn es gelingt, die städtische Infrastruktur für Kinder und ihre Familien bedarfsgerecht und zugänglich zu gestalten, wäre eine wichtige Voraussetzung zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut und zur Erreichung von Chancen- und Bildungsgerechtigkeit erfüllt“, sagt Voitl.