Eine Baustelle kommt selten allein
Kerstin Bangert leitet die Verkehrliche Baustellenkoordinierung bei der Stadt Frankfurt und sorgt dafür, dass der Verkehr in der Mainmetropole trotz vieler Bauprojekte fließt.
Frankfurt ist eine ganz
besondere Stadt – davon sind die meisten Frankfurterinnen und Frankfurter, die
ihre Heimat nicht zuletzt wegen ihrer Besonderheiten und Eigenarten lieben,
überzeugt. Aber auch ganz ohne Lokalpatriotismus lässt sich sagen, dass Frankfurt
in einigen Bereichen speziell ist und sich von anderen deutschen Städten
abhebt. Das gilt auch für Themen, die den meisten Menschen nicht sofort in den
Kopf schießen würden: Baustellen zum Beispiel. Denn in Frankfurt werden so
viele Hochhäuser gebaut wie in keiner anderen deutschen Stadt – was
zugegebenermaßen wenig überraschend, aber dennoch eine Herausforderung für die
zuständigen Behörden ist. Denn Baustellen in der Innenstadt und deren
Auswirkungen auf den Verkehr müssen gemanagt werden, damit Bürgerinnen und
Bürger sich ungestört in der Stadt bewegen können.
Die Frau hinter dieser Mammutaufgabe heißt Kerstin Bangert. Sie ist Leiterin
des Sachgebiets Verkehrliche Baustellenkoordinierung im Straßenverkehrsamt.
Gemeinsam mit ihrem Team sorgt sie dafür, dass der Verkehr trotz Baustellen
fließen kann – und dass die einzelnen Baustellen sich nicht in die Quere
kommen. Seit 2016 arbeiten sie dabei mit einer digitalen Karte. Kommunalregie
heißt die Software, die Bangert und ihrem Team die Arbeit erleichtert. Das
System, entwickelt von einem Unternehmen aus Magdeburg, bietet dem
Straßenverkehrsamt die Möglichkeit, die aktuelle Bausituation in Frankfurt
anschaulich zu visualisieren und so den Überblick über die vielen Bauprojekte
in der Stadt zu behalten.
Hotspots in der Innenstadt
Bauprojekte, die sich über ganz Frankfurt verteilen – einige „Hotspots“, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung sie nennen, gibt es aber auch. „Zuallererst wäre da aktuell das Gebiet rund um den Güterplatz“, erläutert Bangert. „Das betrifft eigentlich das komplette Areal zwischen der Camberger Brücke und der Karlstraße. Wir legen unser Blickfeld nicht auf gesamte Quartiere, sondern gehen von Hauptverkehrsachse zu Hauptverkehrsachse vor.“ Weitere Punkte, die seit langem auf der Karte auftauchen, sind der Baseler Platz, die Junghofstraße und die Neue Mainzer Straße sowie der Osthafen.
Am Güterplatz laufen aktuell die Bauarbeiten der Hochhäuser The Spin und Eden, in Höhe Hafenstraße die Revitalisierung des Commerzbankgebäudes. Daneben wurde gerade das Grand Central fertiggestellt, in dem jetzt die Zentrale der DB Netz AG untergebracht ist. In Zukunft wird auf diesem Gelände noch das Hochhausprojekt Icoon realisiert. Das alles hat Auswirkungen auf den Verkehr: „Die Bauarbeiten finden ja nicht nur auf den jeweiligen Geländen statt. Es werden beispielsweise bedingt durch den Hochhausbau Wasserleitungs-, Fernwärme-, Stromhausanschlüsse und Teile der Fahrbahndecken im öffentlichen Raum erneuert“, erklärt die Leiterin der Baustellenkoordinierung.
Viele bunte Farben
Vor ein paar Jahren wäre es noch schwieriger gewesen, diese unterschiedlichen Arbeiten zu koordinieren. Denn in so einem Fall sind nicht nur die Stadt und private Bauunternehmen involviert, sondern eine ganze Reihe an Partnern: Die Netzdienste Rhein-Main, die Stadtentwässerung, die VGF und viele mehr arbeiten an einem solchen Großprojekt mit. Heute nutzt die Baustellenkoordinierung das moderne, digitale Kartensystem, in dem alle Baustellen eingetragen sind. Jeder Partner bekommt eine andere Farbe: In lila leuchten die von der Baustellenkoordinierung eingetragenen Bauvorhaben, gelb, rot und braun stehen für Projekte des Amts für Straßenbau und Erschließung, die Netzdienste Rhein-Main erkennt man an einem dunklen Blaugrau, die Baustellen der VGF sind in deren Corporate Colour türkis markiert. „Wenn wir dann mit den Partnern über unsere Projekte sprechen, können wir auf der Karte schnell sehen, dass wir an ein und derselben Stelle arbeiten“, sagt Bangert. Früher, bevor die digitale Karte zum zentralen Tool der Baustellenkoordinierung wurde, habe es da häufiger Missverständnisse gegeben: „Es gab Momente, in denen die VGF vom Umbau einer Haltestelle berichtete, die Netzdienste Rhein-Main uns einen Straßennamen nannten, wo sie an den Leitungen arbeiteten, und ein Bauunternehmer von seinem neu geplanten Quartier sprach – und wenn man dann die Arbeiten auf einer Karte suchte, stellte man fest, dass sie an ein und dem selben Ort stattfanden. Das geht heute viel einfacher und schneller, da wir alle Vorhaben direkt auf unserer Frankfurt-Karte sehen.“
Aber wie kommen die Baustellen auf die Karte? Um eine umfassende Ansicht aller Projekte zu bekommen, sind mehrere städtische Ämter involviert, und natürlich private Bauunternehmer. „Es ist wichtig, dass wir schon früh mit den Bauunternehmern in Kontakt treten und uns mit ihnen zu den Projekten austauschen können“, erklärt Bangert. „Wir sind zwischen die sogenannten Planungs- und Genehmigungsphasen geschaltet. Das heißt: Sobald die Pläne feststehen und die Bauunternehmer die Genehmigungen bei den städtischen Behörden einholen, kommen wir ins Spiel.“ Dann werden die Pläne gemeinsam konkretisiert. Ausschlaggebend dabei: Die Verkehrliche Baustellenkoordinierung muss sich ein umfassendes Bild von der geplanten Baustelle machen können. „Wir wollen nicht nur Teile vorgestellt bekommen, sondern das gesamte Projekt. Das ist oft schwierig, auch weil viele Bauherren zu Beginn noch nicht konkret werden wollen. Aus diesem Grund streben wir einen dauerhaften Kontakt an“, erläutert Bangert. Eine Taktik, die von Erfolg gekrönt ist: „Wenn die Bauherren einmal bei einem Termin bei uns waren, wollen sie meistens wiederkommen – denn die Zusammenarbeit ergibt Planungssicherheit für beide Seiten. Idealerweise tauschen wir uns turnusmäßig aus.“
Dass das Team frühzeitig über die kompletten Baupläne informiert wird, ist Grundvoraussetzung für die Entwicklung des Verkehrskonzepts, das den Betrieb rund um die Baustelle regelt. Denn dieses wird vollständig erstellt: Das heißt, es ist während jeder Phase der Bauarbeiten gleich, egal ob gerade ein Haus abgerissen oder bereits neu gebaut wird. „Die Situation ändert sich so für die Verkehrsteilnehmer so wenig wie möglich – so bekommt die Öffentlichkeit nicht viel von den Bauarbeiten mit und wird vor allem nicht von ihnen gestört“, erklärt die Fachfrau aus dem Straßenverkehrsamt.
Es ist nicht immer möglich, dass die Teilnehmer des Frankfurter Straßenverkehrs völlig ungestört durch die Stadt fahren können. Manchmal wird es für alle Beteiligten umständlich und durchaus auch ganz schön nervig. Das wird voraussichtlich 2022 an der Ratswegbrücke, direkt oberhalb des für Autofahrer sowieso schon komplizierten Ratswegkreisels, der Fall sein. „Von Frühjahr bis Herbst nächsten Jahres wird die Brücke zur Einbahnstraße in Richtung Süden, und in den Sommerferien wird die Brücke in beide Richtungen vollgesperrt. Das ist natürlich ein Riesenprojekt“, wirft Bangert einen Blick in die Zukunft. Grund ist die Sanierung der Brücke und der darauf verlaufenden Straßenbahngleise, zudem testet die VGF dort ein neues Verfahren am Gleisbau.
Höher, schneller, weiter dank Corona
Und auch in der Innenstadt wird weiter gebaut, auch in Pandemiezeiten. „Während Corona sind die Hochhausbauten in eine Art Wettbewerb gegangen“, erzählt Bangert. „Wir hatten oft das Gefühl, dass sich die Bauunternehmen dachten ‚Jetzt erst recht!‘“ Dabei würden die Gebäude oft einfach weiter hochgezogen – die Nutzung werde erst später geklärt. „Höher, schneller, weiter, heißt es da“, sagt Bangert. Und die Baustellen ziehen einander an, scheint es: „Immer dort, wo schon einer ist, kommen noch weitere dazu.“
Bis 2025 sind Hochhaus-Baustellen auf der Frankfurt-Karte der Verkehrlichen Baustellenkoordinierung vorgeplant. „Die Skyline wird sich verändern“, kündigt Bangert an. Und mit ihr der Verkehr in Frankfurt – immer gemanagt von Kerstin Bangert und ihrem Team.
Text: Laura Bicker