Weiterleben ohne Dich
Wie es ist, einen Angehörigen durch Suizid zu verlieren – Torben Sdun hat es erlebt
Torben Sdun verspürt heute, 15
Jahre nach dem Verlust seines Vaters, eine gewisse Art der Dankbarkeit.
„Dankbarkeit eine solche Erfahrung so früh im Leben gemacht haben zu müssen“,
wie er sagt. Denn diese Erfahrung hat ihn rückblickend auf einen Weg gebracht,
den er ohne dieses einschneidende Erlebnis vermutlich nicht gegangen wäre.
Torben Sdun, war 21 Jahre alt und stand am Beginn seines Studiums, als sein
Vater sich das Leben nahm. Vorangegangen waren viele Jahre, in denen die
Depression des Vaters den Alltag der Familie bestimmte. „Es war absehbar, dass
er diesen Ausweg wählen könnte“, sagt er. „Als Kind kann man das nur schwer
fassen. Dennoch lebte ich in der ständigen Angst, meinen Vater zu verlieren.“
Die Angst manifestierte sich. Erst Jahre später hat Sdun gelernt, ihr gelassen
zu begegnen. Und über das Erlebte zu sprechen.
Am Mittwoch, 20. September, erzählt der 36-Jährige seine Geschichte erstmals
öffentlich: Gemeinsam mit anderen Betroffenen, die einen Menschen durch Suizid
verloren haben, berichtet er anlässlich der vom Frankfurter Netzwerk für
Suizidprävention FRANS gezeigten Ausstellung „Suizid – Keep on Talking!“ in der
AusstellungsHalle 1A in Sachsenhausen von seinen Erfahrungen. Wie es ist, den
eigenen Vater auf diese Weise zu verlieren. Von der Wut, der Trauer und der
Überzeugung, der Vater käme irgendwann zurück und würde plötzlich vor der Tür
stehen – „Ich habe das in einer bestimmten Phase der Trauer wirklich geglaubt.“
Wie er aus Schleswig-Holstein, wo seine Mutter und ein Großteil seiner Familie
noch heute leben, ausbrach, um in Nürnberg neu anzufangen. Wie er dort einen
guten Freund fand, der ihm zeigte, wie schön das Leben sein kann und ihm damit
half, mit seiner Trauer umzugehen. Und der nur wenige Jahre später in Mexiko
bei einem tragischen Unfall ums Leben kam. „Das hat mich komplett
zurückgeworfen“, erinnert er sich.
Es sind seine Erfahrungen, die Torben Sduns Interesse an Psychologie und mentaler
Gesundheit weckten. Und die ihn schließlich vor drei Jahren zu FRANS brachten.
„Ich wollte mich ehrenamtlich in diesem Bereich engagieren“, sagt der Jurist,
der in Teilzeit für die Berliner Charité arbeitet und gemeinsam mit Partnern
eine Firma für Personalvermittlung betreibt. Er trat dem FRANS-Förderverein
bei, seine Teilnahme an den Arbeitskreisen Assistierter Suizid und Prävention
sowie Antistigma und Awareness-Arbeit nennt er eine „Herzensangelegenheit“.
Das Netzwerk baut auf Menschen wie Torben Sdun, die dem Thema Suizid ein
Gesicht geben, sei es als Betroffener oder Angehöriger. Auf Menschen, die es in
die Gesellschaft hineintragen und damit Berührungsängste abbauen. Denn Suizid
ist alles andere als eine Angelegenheit, die nur eine kleine Gruppe betrifft:
In Frankfurt nehmen sich jährlich rund 90 Menschen das Leben, die Zahl der
Versuche liegt bei schätzungsweise 1800. Oftmals ist eine psychische
Erkrankung, etwa eine Depression, der Grund für Suizidgedanken. „Suizid ist
allgegenwärtig und doch ein Tabu“, sagt Inga Beig, Koordinatorin des 2014 auf
Initiative des Gesundheitsamts Frankfurt gegründeten Netzwerks. „Mit FRANS, all
unseren Partnerinnen, Partnern und Ehrenamtlichen, mit unseren Aktionen und
Informationen wollen wir diesem Tabu begegnen. Je mehr wir für das Thema
sensibilisieren, desto eher besteht die Chance, dafür Offenheit in der
Gesellschaft zu erfahren.“ Und desto mehr Suizide oder Suizidversuche können
womöglich verhindert werden.
Beig und das FRANS-Team suchen immer wieder nach neuen Konzepten und Wegen, das
Thema so darzustellen, dass die Frankfurterinnen und Frankfurter einen Zugang
dazu finden. „Wer Selbsttötungsgedanken oder einen Suizidversuch hinter sich
hat, empfindet oft Scham und hat Sorge, stigmatisiert zu werden. Das betrifft
auch die Angehörigen wie Torben Sdun und die anderen Teilnehmenden unserer
Gesprächsrunde am 20. September“, sagt Inga Beig. „Es muss aber möglich sein,
über Suizidgedanken zu reden, ohne verurteilt zu werden. Denn wenn ich das
Gefühl habe, ich darf über meine Gedanken sprechen, dann lasse ich mir
vielleicht auch helfen.“
Für Torben Sduns Vater gab es keine Hilfe mehr. Er, der Sohn, war jahrelang
nicht in der Verfassung über diesen Verlust zu sprechen. Dem 20. September,
wenn er gemeinsam mit zwei anderen Betroffenen vor Publikum von seinen
Erfahrungen berichtet, sieht er mit gespannter Gelassenheit entgegen: „Es ist
natürlich eine besondere Thematik für mich. Ich bin positiv angespannt und
freue mich auf den Gesprächsabend.“
Die Trauer um seinen Vater ist nicht vorbei. „Kann sie das jemals sein?“, fragt
Torben Sdun. Doch anstatt an ihr zu zerbrechen, begann er, sich mit mentaler
Gesundheit auseinanderzusetzen, hat Sport, Natur und vor allem Meditation für
sich entdeckt, ist im Job erst kürzergetreten, hat sich dann neu orientiert und
blickt seiner Zukunft mit Offenheit und Neugierde entgegen. „Mit meiner
Geschichte will ich anderen zeigen: Es gibt Hoffnung. Wenn man einen schweren
Verlust oder einen Rückschlag erlebt, ist es möglich, sich aus dieser Situation
zu befreien und etwas Positives daraus machen.“
„Suizid – Keep on
Talking!“ – Informationen zur Ausstellung
Anlässlich des Welttags der Suizidprävention zeigt das Frankfurter Netzwerk für
Suizidprävention FRANS in Kooperation mit dem Kasseler Museum für
Sepulkralkultur vom 9. September bis 8. Oktober die Ausstellung „Suizid – Keep
on Talking!“ in der AusstellungsHalle in der Schulstraße 1A in Sachsenhausen.
Während der gesamten Ausstellungsdauer finden an vier Mittwochabenden, jeweils von
18.30 bis 20 Uhr, Vorträge und Gespräche zu den Themen „Kunst als Spiegel der
Seele“, „Weiterleben ohne Dich“, „Überlebenswege“ und „Stigma Suizid – Wieso es
uns so schwerfällt darüber zu sprechen“ statt. Am 6. Oktober von 17 bis 18 Uhr
präsentiert der Frankfurter Musiker Matthias Keller seine eigens für FRANS
geschaffene Klangcollage „Lebensmüde Sterbenswach“.
„Suizid – Keep on Talking!“ in der AusstellungsHalle, Schulstraße 1A ist von
dienstags bis sonntags jeweils von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt und
auch der Besuch aller Veranstaltungen sind kostenfrei, eine vorherige Anmeldung
ist nicht notwendig.
Detaillierte Informationen zu FRANS und der Ausstellung „Suizid – Keep on
Talking“ finden sich online unter frans-hilft.de/ausstellungExternal Link.