So wild ist unsere Stadt
Von wegen Tiere haben keinen Platz im urbanen Raum – Welche Arten fühlen sich in Frankfurt heimisch? Und was wird getan, um sie in der dichtbesiedelten Stadt zu erhalten? Wir werfen einen Blick auf Frankfurts tierische Vielfalt.
Zu Land, zu Wasser und in der Luft: Die wilden Tiere sind zurück in der Stadt!
Die Beute ist erspäht, der richtige Zeitpunkt abgepasst, dann geht es im Sturzflug senkrecht in die Tiefe – und zwar mit bis zu 320 Stundenkilometern! Einen Wanderfalken bei der Jagd zu beobachten bleibt nur wenigen vergönnt. Seit einigen Jahren hat man, mit etwas Glück, nicht nur weit draußen in der Wildnis, sondern auch mitten in Frankfurt eine Chance, das seltene Naturschauspiel zu erleben. In luftiger Höhe, auf den Wolkenkratzern der Mainmetropole, haben die majestätischen Vögel ihre Brutplätze bezogen und finden dort optimale Bedingungen vor: „Sie nehmen die Skyline als Felsenlandschaft wahr. Beispielsweise bieten die kleinen kiesigen Dachflächen auf dem Commerzbank-Turm ideale Brutnischen. Vereinzelt stehen Mäuse oder kleine Säugetiere, bevorzugt aber Tauben auf der Speisekarte – und davon gibt es in Frankfurt wirklich mehr als genug“, erklärt Volker Rothenburger, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt Frankfurt.
In den 1970er
Jahren waren die Jäger der Lüfte beinahe ausgestorben. Für Rothenburger ist der
wachsende Bestand von Wanderfalken, aktuell sind es zwischen 12 und 14
Brutpaare im Raum Frankfurt, ein Riesenerfolg und ein Aushängeschild für den
Artenschutz. „Das Schöne ist: Inzwischen hat Frankfurt durchaus eine
Verantwortung für den bundesweiten Bestand des Greifvogels“, hebt der 59-Jährige
stolz hervor. In Zeiten des Klimawandels und des Artensterbens ist die
Sensibilität für die Vielfalt von Tieren und Pflanzen eine andere – auch in der
Großstadt.
Wer eingreift, muss auch ausgleichen
Das funktioniert natürlich nur, weil vielerorts die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Kein Tier soll leichtfertig übersehen werden. Eine riesige Herausforderung in einer Stadt, die ständig wächst, bestätigt Rothenburger. „Bis zu einem gewissen Grad ist es möglich, die bauliche Weiterentwicklung der Stadt mit der biologischen Vielfalt unter einen Hut zu bringen. Wenn man allerdings wirklich Arten in der Landschaft erhalten will, ist das mit der Neuanlage von Biotopen und oft mit einem dauerhaften Pflegeaufwand verbunden.“ Häufig ist das Prinzip „Eingriff-Ausgleich“, 1981 gesetzlich eingeführt, der Ausgangspunkt: Diese Regelung besagt, dass jedes Bauprojekt, jeder Eingriff in die Natur, an anderer Stelle wieder mit einer ökologischen Gegenmaßnahme ausgeglichen werden muss.
„Es hat lange gedauert, dieses Prinzip mit Leben zu füllen“, erinnert sich Rothenburger. „Die Sensibilität bei Architekten, bei Investoren ist immens gestiegen. Es ist überhaupt nicht mehr strittig, dass der Natur- und Artenschutz bei neuen Projekten eine Rolle spielen muss. Die Generation ist eine andere, die Sorge um die Natur größer“. Doch eine ökologisch wertvolle Planung ist dabei nur der erste Schritt: „Tolle Pläne sind nur dann etwas wert, wenn die Pflege im Anschluss gewährleistet ist“, versichert der Landschaftsplaner.
Die Erfolgsgeschichte des Bibers
Sogar der Biber ist zurück in Frankfurt. Sowohl am Main als auch an der Nidda hat er sich häuslich eingerichtet. Für den Nager ist es üblich, dass der Nachwuchs aus der Obhut der Eltern vertrieben wird. Aus diesem Umstand heraus sind Jungtiere eines Tages aus dem Spessart entflohen und den Flusslauf des Mains entlanggewandert.
Ein tierisches Frankfurt ist ein besseres Frankfurt – Ein Blick in die Zukunft
„Ein riesiger
Schritt für die nächsten zehn, zwanzig Jahre, um das Thema biologische Vielfalt
noch fundierter in die Planungsprozesse der Stadt einzubringen, wird das Arten-
und Biotopschutzkonzept sein“, erklärt Rothenburger. Auch wenn noch kleine
Änderungen ausstehen, hat die riesige Bewertungskarte bereits einen festen
Platz in seinem Büro. Darauf sind alle Flächen nach verschiedenen Kriterien
eingestuft und, gemessen am Wert für den Natur- und Artenschutz, mit einer
bestimmten Farbe markiert. Eine Biotopvernetzungskarte und ein konkreter
Maßnahmenplan sind derzeit noch in Arbeit. Wenn das Konzept ab April dieses
Jahres vorliegt, können Planungen die Auswirkungen für Flora und Fauna
gezielter mit einbeziehen. Mit diesem Maßnahmenplan ist die Stadt Frankfurt in
der Lage, die Pflanzen- und Tierpopulationen langfristig stabil zu halten oder
sogar zu verbessern.
Bis Tier und Mensch in der Stadt noch besser im harmonischen Zusammenspiel miteinander leben können, braucht es weiterhin den leidenschaftlichen Einsatz von Volker Rothenburger und seinem Team: „Bei all unseren Tätigkeiten haben wir die Absicht, die Lebensqualität der Bevölkerung in Frankfurt langfristig zu verbessern. Denn wer durch eine grüne Umgebung gehen kann, dem geht es erwiesenermaßen einfach besser“, unterstreicht er. Wer das Glück hat, demnächst einen Biber durch den Main paddeln oder eine Fledermaus durch den Nachthimmel schwirren zu sehen, wird dem sicher zustimmen.
Wo sich die Wildnis aus der Deckung wagt – Ein Exkurs zum Monte Scherbelino
Viele Frankfurter dürften beim Blick auf den Monte Scherbelino nostalgisch in Kindheitserinnerungen schwelgen, Erinnerungen an eine unbeschwerte Zeit, in der man Cowboy und Indianer spielte oder mit dem Schlitten den Hang hinab rodelte. In den 70er Jahren war die einstige Mülldeponie ein einziger Abenteuerspielplatz. Hierher floh man, wenn die Luft im Stadtinneren mal wieder zu stickig wurde.
„Am Fuß des einstigen Müllbergs im Stadtwald hat Frankfurt einen Raum für die freie Entfaltung der Natur geschaffen. Wir befinden uns hier in einem spannenden Labor der Biodiversität“, sagt Umweltdezernentin Rosemarie Heilig. „Aus Sicherheitsgründen wird der Zugang zum Monte Scherbelino auch in den nächsten Jahren nur unter fach- und ortskundiger Führung möglich sein. In dieser Zeit werden wir weiter beobachten können, welche Pflanzen von alleine wachsen und welche Tiere sich diesen Lebensraum erobern. Hier entsteht eine Schatzkiste der Biodiversität.“
Flächen wie hier am Monte Scherbelino braucht es auch, um den Bestand der Wildbienen zu stärken. Sie brauchen die Pflanzenvielfalt der offenen Wildnis. Die sogenannte Biozönologie, die Lehre vom Zusammenspiel verschiedener Lebensorganismen, beschreibt, dass sich zum Beispiel eine bestimmte Tierart nur dann ausbreiten kann, wenn sie ein bestimmtes Pendant aus der Pflanzenwelt vorfindet. Da die Flora hier so facettenreich gedeiht, finden über 50 Wildbienen-Arten ihre „Lieblingsblüte“.
Text: Jan Hassenpflug