Künstlerweihnachtsmarkt

Künstlerweihnachtsmarkt

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1922 geboren und kein bisschen in die Jahre gekommen

Der Künstlerweihnachtsmarkt zeigt, wie vielschichtig die Frankfurter Kunstszene ist

Frankfurt am Main gehört zu den Städten, in denen Geschichte und Tradition auf Moderne und Zeitgeist treffen. Das ist nicht nur reizvoll, es hat auch das Potenzial, Werte zu bewahren und dabei Neues zu schaffen. Dies gilt auch für den Künstlerweihnachtsmarkt. Seit einem Jahrhundert findet der traditionelle Markt Frankfurter Kunstschaffender in den Römerhallen und in der Paulskirche statt. Die gesellschaftlichen Herausforderungen von damals sind mit denen von heute gut zu vergleichen: Es war die Zeit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg und Europa hatte mit der Spanischen Grippe eine Pandemie hinter sich, als 1922 der erste Künstlerweihnachtsmarkt in den Römerhallen seine Premiere feierte.

Die beiden Künstler Viktor Naimark und Costa Bernstein in ihrem Atelier, Foto: Holger Menzel
Die beiden Künstler Viktor Naimark und Costa Bernstein in ihrem Atelier © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Holger Menzel

Die Frankfurter Künstlerinnen und Künstler sind international – so wie es auch Frankfurt ist

 

Die Frankfurter Künstlergesellschaft eröffnete damals gemeinsam mit dem Wirtschaftsverband Bildender Künstler und dem Bund tätiger Altstadtfreunde den Markt. Von 1925 an richtete dann eine Vorläufer-Organisation des Berufsverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler Frankfurt (BBK) den Weihnachtsmarkt. Schon damals stand der direkte Kontakt zwischen Publikum und Künstler im Vordergrund, sowie der Verkauf der Werke, um die Kunstschaffenden zu unterstützen, die unter den schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit in Not geraten waren. Die Stadt Frankfurt unterstützte dieses Vorhaben, indem sie die Römerhallen und später die Paulskirche dem Künstlerweihnachtsmarkt kostenlos zur Verfügung stellte. Heute erhält der BBK die Räumlichkeiten zu einem günstigen Mietpreis dank der Unterstützung des Kulturamtes.
 
Für Viktor Naimark ist der Markt so wichtig wie für seine Vorgänger vor 100 Jahren. Der freischaffende Künstler und Architekt ist Mitglied des BBK-Vorstandes und Sprecher des Verbandes: „Es ist schlimm, dass wir nach einem Jahrhundert eine ähnliche Situation mit Inflation, Krieg und Pandemie haben. Der Markt ist eine gute Gelegenheit und eine Chance, die Vielfalt der Kunstszene in Frankfurt zu zeigen.“ Unter den 350 Mitgliedern des BBK sind rund 30 Nationen vertreten. „Es ist vielschichtig, was rund 106 Künstler auf dem Markt und in der Paulskirche zeigen und zum Verkauf anbieten. Das liegt eben an der Vielfalt unserer Mitglieder – Fotografen, Maler, Bildhauer oder Keramiker, wir haben tolle Künstler, die Unikate anbieten“, sagt Naimark. Er selbst ist von Freitag, 2. Dezember, bis Donnerstag, 22. Dezember, vor Ort. Seine Werke sind seit dem 22. November auch in der Jahresausstellung des BBK in der Paulskirche zu sehen und zu erwerben.

Wärme ist das, was man sucht, wenn man in einer neuen Heimat ankommen will

 

Die Arbeiten des 59-jährigen Künstlers sind filigrane 3D-Collagen aus Pergamentpapier, die in farbiges Licht „getaucht“ werden: „Die Installation wartet dann nur darauf, fotografiert zu werden, danach gibt es sie nicht mehr – nur noch als fotografischen Abdruck“, erklärt Naimark. Diese Werke stellt er aus und Besucherinnen und Besucher können sie erwerben. Die Werke des Künstlers, der fast alle Techniken beherrscht, ziehen den Blick des Betrachters tief hinein in die farbenfrohen Bilder. Es ist eine geheimnisvolle Reise fürs Auge und immer wieder entdeckt der Betrachter Details, die eine neue Sichtweise erwirken – den Sinn hinter dem Werk zu erfassen. Ein wenig wie in einem Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit. „Kunst braucht keine Verbalisierung, sondern Wissen. Wir sehen was wir kennen. Was wir nicht kennen, erkennen wir nicht und müssen uns erstmal damit beschäftigen.“
 
Naimark arbeitet gemeinsam mit Costa Bernstein in einem Atelier im Ostend – hier sind die beiden kreativ, jeder für sich und doch auch immer zusammen. Naimark studierte an der russischen Kunstakademie und schloss als Maler und Architekt ab. 1990 reiste er im Zuge der Perestroika aus der damaligen Sowjetunion aus. Dass er nach Frankfurt kam, sei Zufall gewesen. „Ich fand die Stadt sofort gut. Vor allem Wärme habe ich hier gespürt – das ist das, wonach man sucht, wenn man in einer neuen Heimat ankommen will“, sagt Naimark.


Werke aus einem Projekt mit ukrainischen Geflüchteten

 

Bernstein ist wie Naimark im damaligen Leningrad, heute St. Petersburg, geboren. Sein Weg führte ihn aus der Sowjetunion nach Israel, wo er an der I. Barilov-Kunstschule studierte. Auch für ihn war der Weg nach Frankfurt nicht geplant. „Ich habe mich verliebt in diese kleine große Stadt. Die Wege sind kurz, die Menschen sind offen. Das kulturelle Angebot ist gut“, sagt der 49-jährige Künstler. Er ist zum ersten Mal beim Künstlerweihnachtsmarkt dabei, obwohl er schon seit über zehn Jahren in Frankfurt lebt und arbeitet. Im Herbst hat er ein Kunstprojekt mit geflüchteten Frauen und Kindern aus der Ukraine gemacht: „Es war ein Experiment für sie und mir hat es sehr viel Freude bereitet.“ Es sind Werke aus Holz, Keramik, Kristallsteinen und Golfbällen entstanden. Auf den Holzstücken ist eine Schicht Keramik aufgetragen, diese trägt besondere Spuren: Es sind die Abdrücke von fein gehäkelten Spitzedecken, wie sie in der Ukraine von Frauen hergestellt werden. Es sind Erinnerungen an die Heimat, die die Frauen verlassen mussten, und von wo sie ihre Deckchen als ein Stück Zuhause mitnahmen. Das Projekt war für Bernstein sehr berührend: „Es waren nicht mehr nur die Nachrichten und Bilder aus dem Fernsehen oder Internet, es war plötzlich die Begegnung mit den Geschichten der Geflüchteten. Deshalb finde ich es toll, dass diese Werke gezeigt werden.“ Auch die Golfbälle, die vergoldet die Werke der Ukrainerinnen schmücken, haben eine Geschichte. Zwei Säcke Golfbälle stehen bei Bernstein im Atelier, mitgebracht von einem Freund, der in den USA lebt. „Der Vater meines Freundes wohnte in der Nähe eines Golfplatzes und sammelte jahrelang während seiner Spaziergänge die Bälle, die aus der Bahn geflogen sind. Mein Freund brachte mir jedes Mal welche mit, wenn er mich besuchte. Über die Jahre sind viele zusammengekommen. Nun starb sein Vater und er bat mich, daraus etwas zu erschaffen – als Andenken an seinen Vater. Das werde ich noch machen, aber ich fand, sie passten auch gut zu den Werken der ukrainischen Frauen.“
 
Die Werke Bernsteins selbst sind von einer großen zeichnerischen Kraft geprägt. Die zumeist figurativen Gemälde und Collagen des Malers und Bildhauers zeigen ausdrucksstarke Gesten, ohne aufdringlich zu sein, beeindrucken mit der Kraft der Farben und ziehen den Blick in eine humorvolle, aber auch melancholische Welt.
 
Naimark und Bernstein kennen sich seit 15 Jahren und sind beruflich wie freundschaftlich verbunden. Auch wenn sie beide in der gleichen Stadt geboren wurden, so fanden sie erst in Frankfurt zueinander. Gemeinsam haben sie den jüdischen Gebetsraum im Frankfurter Flughafen gestaltet.
 
Kunst müsse überzeugen und berühren, sagen Naimark und Bernstein. Für beide Künstler steht fest, dass Kunst und Kultur für alle zugänglich sein muss – die Schwelle gelte es zu überwinden. „Der Nachwuchs ist da und das freut mich sehr. Kunst kennt kein Alter, kein Gender oder Herkunft. Es gibt kein richtig und falsch“, betont Naimark.

Von Menschen oder Pflanzen gemacht – mit Ecoprint macht Hélène Vergnes Kontrast zur Kunst
 
Dass beim BBK alle Altersstufen vertreten sind und der Verband so offen ist, darüber ist auch die junge Künstlerin Hélène Vergnes sehr glücklich. Sie ist zum ersten Mal dabei. In ihren Arbeiten steht die Frage nach der Beziehung zu Natur und deren Vorstellung im Vordergrund. Vergnes, die in Paris Kunst studiert hat und seit fast drei Jahren in Frankfurt lebt, hinterfragt verschiedene Materialien, deren künstlerische Prozesse und Handwerkstechniken – so zum Beispiel Beton. „Welche Möglichkeiten gibt es für Beton in der Kunst? Mich interessiert seine zeitaufwendige und heikle Verarbeitung. Auch seine Ambivalenz, denn Beton ist umweltbelastend, aber dennoch ein großer Teil des Menschen in der modernen Welt“, sagt sie. Im Kontrapunkt stehen dazu Pflanzen und Blumen. Diese machen ebenfalls einen wichtigen Teil ihrer Arbeiten aus. „Ich mache Ecoprint, auch botanischer Druck genannt – auch bei Pflanzenfärbung gibt es eine Dualität in dem eigenen natürlichen Prozess.“ Für die Herstellung der Färbung brauche man Metalle wie Eisen und Kupfer, teilweise toxische Mineralsalze. „Mich fasziniert diese gefährliche, warnende Seite, die uns alle verbindet“, erklärt sie. Von Menschen gemachter Beton und natürliche Elemente lebten zusammen und miteinander und seien damit komplett vernetzt.
 
Ihre Werke mit Ecoprint werden auf Textilien und Papier aufgetragen. „Beim Künstlerweihnachtsmarkt werde ich Bilder mit Ecoprint auf 2D zeigen und anbieten“, sagt die 34-jährige Künstlerin. Sie trägt auch Ecoprint-Bilder mit Bienenwachs auf Objekte auf.


Sichtbar machen, welches Geschenk die Natur ist
 
„Wurzeln, Blätter, Beeren oder Blumen, die ich verwende, ziehe ich entweder auf meinem Balkon groß, oder sammle sie am liebsten bei meinen Spaziergängen in der Region“, sagt Vergnes. Die Arbeit mit den Pflanzen habe dazu beigetragen, dass sie eine schöne Beziehung zu Frankfurt und den Menschen in ihrer Umgebung aufgebaut habe. Es sei ein Weg, sich künstlerisch in einem bestimmten Gebiet zu verankern, sagt die Künstlerin. Und immer wieder zu beobachten, welcher Druck auf unsere Umwelt lastet. „Wir sind ein Teil davon. Ich möchte, dass meine Arbeit zugleich diese Gefahr und diese natürliche Schönheit widerspiegelt und erzählt, dass es Gründe gibt, für die Umwelt zu kämpfen.“ Dass sie ihre Arbeit beim Künstlerweihnachtsmarkt zeigen kann, freue sie sehr: „Es ist mir eine Ehre, als Neuling dabei zu sein und Teil dieser Tradition zu werden. Es ist eine tolle Gelegenheit für mich, mich zu vernetzen, mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen und mich mit den anderen Künstlerinnen und Künstlern auszutauschen“, sagt Vergnes.
 
Die Arbeiten und weitere Informationen zu Viktor Naimark gibt es unter viktor-naimark.comExternal Link sowie auf Instagram unter ViktorNaimark (@viktornaimark)External Link.
 
Zu Costa Bernsteins Arbeiten und weitere Informationen zum Künstler finden sich unter costabernstein.comExternal Link und auf Instagram unter Costa Bernstein (@costabernstein)External Link.
 
Helene Vergnes Arbeiten und ihren Kontakt findet sich unter vergnes-atelier.comExternal Link sowie auf Instagram unter vergnes-atelier(@vergnes_atelier)External Link.
 
Weitere Informationen zum Künstlerweihnachtsmarkt und zum BBK gibt es unter bbk-frankfurt.deExternal Link.
 

Text: Pelin Abuzahra


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