Juergen Eckert vom Jugend- und Sozialamt

Juergen Eckert vom Jugend- und Sozialamt

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„Wir sind hier und versorgen jeden, der Hilfe und Unterstützung braucht“

Jürgen Eckert vom Jugend- und Sozialamt über ein Jahr Geflüchtete aus der Ukraine und was die Flüchtlingskrise 2015/2016 gelehrt hat.

Jürgen Eckert ist Teamleiter beim Jugend- und Sozialamt, im Besonderern Dienst Flüchtlinge und Auswärtige. Foto: Holger Menzel
Jürgen Eckert ist Teamleiter beim Jugend- und Sozialamt © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Holger Menzel

Wer sich mit Jürgen Eckert unterhält, der merkt schnell die schier große und komplexe Aufgabe, die die Mitarbeiter seines Amtes koordinieren müssen – jede außergewöhnliche Geflüchtetenbewegung, egal woher die Menschen kommen, bringt neue Herausforderungen mit sich. „Bei unserer Arbeit darf man nie die Empathie verlieren und muss einen gewissen Hang dazu haben, Menschen mit Problemen und Schwierigkeiten helfen zu wollen. Dennoch darf man die einzelnen Schicksale nicht zu nah an sich lassen, sonst kann man hier nicht lange arbeiten“, sagt Eckert. Er ist Teamleiter im Jugend- und Sozialamt, Besonderer Dienst Flüchtlinge und Auswärtige. Er weiß wovon er spricht, denn seit Beginn seines Studiums 1981 ist er beim Jugend- und Sozialamt für schutzsuchende und hilfsbedürftige Menschen da. Wenn er einen Wunsch frei hätte, wäre dieser klar: „Dass Menschen nicht mehr auf der Flucht sein müssen.“ Er weiß, dass dies ein frommer Wunsch ist. Deshalb ist er froh, dass er sich auf seine Kollegen und ein breites Netzwerk verlassen kann. Dahinter stehen die Erfahrung der vergangenen Jahre und das Vertrauen darauf, dass die Herausforderungen gemeinsam zu schaffen sind.

So auch als vor gut einem Jahr die ersten Menschen aus der Ukraine nach Frankfurt kamen. Ihre rechtliche Situation war eine andere als die der Menschen, die 2015 und 2016 in Deutschland ankamen. Denn die Ukrainer hatten und haben die Möglichkeit, sich für drei Monate in der Europäischen Union aufzuhalten, ohne ein Visum beantragen zu müssen.

„Wenn Geflüchtete nach Deutschland kommen, müssen sie zunächst registriert und aufgenommen werden. Sie werden dann nach einem festgelegten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Der sogenannte Königsteiner Schlüssel bestimmt wie viele Geflüchtete ein Bundesland aufnehmen muss, dabei spielen Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl des Landes eine Rolle. Hessen muss rund sieben Prozent Geflüchtete aufnehmen, von diesen werden etwa sieben Prozent der Stadt Frankfurt zugewiesen. Nach der Zuweisung bis zur Entscheidung des Asylantrags werden die Menschen von den jeweiligen Städten und Gemeinden betreut“, erklärt Eckert. Die rechtliche Situation der Ukrainer habe jedoch andere Umstände hervorgebracht, auf die Eckert mit seinem Team flexibel und schnell reagieren musste. Bereits vier bis fünf Tage nach dem Beginn des Angriffskriegs kamen die ersten Geflüchteten in Frankfurt an. „Vor allem in der Anfangsphase kamen viele Frauen, Kinder und ältere Männer“, sagt er. Einige kamen zunächst bei ihren Frankfurter Verwandten und Bekannten unter.

 

Die Flüchtlingswelle 2015/2016 brachte große Veränderungen

Große Unterstützung erfuhren die Geflüchteten von der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt. „Die Jüdische Gemeinde hat sich mehr als nur ein Bein ausgerissen, um zu helfen und zu unterstützen“, erinnert sich Eckert. Für ihn und sein Team ist und war klar: „Wir lassen niemanden auf der Straße verhungern. Wir sind hier und versorgen jeden, der Hilfe und Unterstützung braucht.“

Eckert arbeitet seit mehr als 40 Jahren im Jugend- und Sozialamt und leitet eines von zwei Leistungs- und Betreuungsteams im Besonderen Dienst Flüchtlinge und Auswärtige. Er ist Vorgesetzter von 16 Mitarbeitern. Seit 2015/2016 gibt es zwei Teams mit 34 Mitarbeitern, insgesamt arbeiten im Jugend- und Sozialamt, Besonderer Dienst Flüchtlinge und Auswärtige 68 Mitarbeiter. Die Flüchtlingskrise vor gut acht Jahren hat personelle wie auch logistische Veränderungen mit sich gebracht, die sich positiv auf die Versorgung der Geflüchteten aus der Ukraine auswirkten.

„2015/2016 kamen jeden Mittwoch 180 bis 220 schutzsuchende Menschen mit Reisebussen bei uns an. Diese Menschen wurden uns vorab vom Regierungspräsidium Darmstadt gemeldet – sie kamen ja von der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen. Wir hatten die Daten der Personen, wussten, wie viele Familien und wie viele Einzelpersonen kommen würden“, sagt Eckert. Das war vor einem Jahr anders, denn die Menschen aus der Ukraine mussten sich zwecks Aufenthalt erstmal nicht registrieren. Diese neue Herausforderung mussten die beiden Teams von Eckert und seinem Kollegen Horst Stötzer stemmen.

Frankfurt hat in Hessen die meisten Geflüchteten aus der Ukraine aufgenommen. 8227 Ukrainer haben in Hessens größter Stadt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen oder wurden untergebracht. „Diese Zahl sagt allerdings nichts über die tatsächliche Zahl der Ukrainer:innen in Frankfurt aus. Die Menschen, die sich selbst versorgen (konnten) oder nach dem 1. Juni 2022 mit erteiltem Aufenthalt direkt Leistungen über das JobCenter bezogen haben ohne, dass sie von uns untergebracht waren, sind hier nicht enthalten und lassen sich von uns auch nicht ermitteln“, erklärt Eckert. Momentan sind etwa 10.000 Menschen von der Stadt kommunal in Übergangsunterkünften mit unterschiedlichem Standard untergebracht – so viele Menschen wie noch nie. Darunter sind rund 1500 Ukrainer.

Fest steht, dass insgesamt rund 250.000 Geflüchtete aus der Ukraine allein am Hauptbahnhof ankamen und dort von der Bahnhofsmission und dem Frankfurter Verein beraten und betreut wurden. Um den Menschen direkt ein sicherer Ort zum Ankommen und Ausruhen zu sein, hatte Frankfurt zu den Hochzeiten der Fluchtbewegung aus der Ukraine in der Messe im Auftrag des Landes ein Erstaufnahmezentrum eingerichtet. Dort gab es direkte, unkomplizierte und praktische Hilfe: Die Menschen konnten sich ausruhen, waschen und bekamen zu essen und zu trinken. Für diejenigen, die weiterreisen wollten, gab es Hilfe beim Fahrkartenkauf und Orientierungshilfe für diejenigen, die in Hessen bleiben wollten. In kleinerer Form und an anderem Ort gibt es das noch heute in Bahnhofsnähe.

Gemeinsam unbürokratische und kurzfristige Hilfen schaffen

Um die große Menge an Menschen, die Schutz und Hilfe suchten, kurzfristig, aber auch würdig und unkompliziert zu unterstützen, wurde eine Clearingstelle, eine Art Bearbeitungsstraße, eingerichtet. In dieser haben das Dezernat Soziales, Jugend, Familie und Senior:innen, das Dezernat Digitalisierung, Bürger:innenservice und Teilhabe und EU-Angelegenheiten, das Dezernat Ordnung, Sicherheit und Brandschutz sowie das Dezernat Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftlicher Zusammenhalt und ukrainische Ehrenamtliche zusammengearbeitet. Vor Ort konnten sich die Geflüchteten beraten lassen, anmelden und registrieren.
In der Clearingstelle, die hauptsächlich von der Abteilung Hilfe für Wohnungslose organisiert wurde, arbeiteten das Jugend- und Sozialamt Bereich Besonderer Dienst Flüchtlinge und Auswärtige, das Ordnungsamt mit der Ausländerbehörde, das Bürgeramt, das Stadtschulamt und verschiedene Träger wie Deutsches Rotes Kreuz, Malteser und Johanniter zusammen.

„Es gab eine Abordnung von Kolleg:innen aus den Sozialrathäusern die uns unterstützt haben“, sagt Eckert. Die Mitarbeiter der beiden Teams in seinem Haus, des Sozialdezernats und anderer beteiligter Dezernate sowie der Ämter haben an einem Strang gezogen, dafür sei Eckert sehr dankbar. „Für unsere Arbeit muss man ein hohes Maß an Flexibilität mitbringen, denn kein Tag ist wie der andere. Aber gleichzeitig darf man Regeln, Gesetze und Strukturen nicht aus den Augen verlieren. Wir haben im eigenen Haus, in den Dezernaten und Ämtern eine tolle Arbeitskultur, die von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist“, sagt der 61-Jährige. Man müsse persönlich viel Mut mitbringen und keine Angst haben, etwas falsch zu machen – vor allem vor Situationen und Umständen, die so zuvor nicht aufgetreten seien. Gerade bei den ukrainischen Geflüchteten habe es anfangs Unsicherheiten gegeben, da die Rechtslage zunächst nicht klar war: „Es gibt die eine Seite mit dem logistischen Aufwand, der Menge der Menschen und der Anträge, aber auch die Seite, dass da Menschen und ihre Schicksale dranhängen. Da muss man sofort eingreifen und handeln, finanzielle wie auch humanitäre Sicherheit geben, damit das Leben weitergehen kann – auch in einem fremden Land, wo man Schutz sucht.“

 

Jürgen Eckert ist Teamleiter beim Jugend- und Sozialamt, im Besonderern Dienst Flüchtlinge und Auswärtige. Foto: Holger Menzel
Jürgen Eckert im Gespräch © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Holger Menzel

Corona-Pandemie bringt Paradigmenwechsel

Bereits die Corona-Pandemie hatte die Mitarbeiter zum Umdenken gezwungen. „Die Pandemie brachte einen Paradigmenwechsel für uns. Wir sind ein offenes Haus und grundsätzlich kann jeder kommen, der Hilfe benötigt, aber mit dem Lockdown und den danach folgenden Corona-Bestimmungen mussten wir uns umstellen und den Kontakt aufs notwendigste Maß beschränken und immer hinterfragen: Muss eine persönliche Vorsprache sein?“, erinnert sich Eckert. Das Klientel sei oft hilflos und käme mit allen Anliegen zu den Mitarbeitenden: „Wir mussten schauen, ist wirklich ein akutes Eingreifen unsererseits notwendig oder ist die Angelegenheit am Telefon oder per E-Mail zu klären?“, erklärt er. Das sei eine aus der Not herausgeborene Win-win-Situation gewesen, da Wartezeiten verkürzt und Anliegen effektiver bearbeitet werden konnten. Durch die Pandemie hatte auch die Abteilung von Eckert – wie in vielen anderen Bereichen auch – Prozesse optimiert. Als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine kamen, stellte sich die Frage, wo die große Anzahl an Menschen empfangen werden konnte und gegebenenfalls untergebracht. „Unsere Räumlichkeiten in der Mainzer Landstraße waren nur begrenzt geeignet, aber auch hier fand sich die Lösung: Wir konnten Räume im Amt für multikulturelle Angelegenheiten und dem StadtRaum nutzen und die Clearingstelle einrichten.“ Im Empfangsraum im AmkA hatten Mitarbeitende des Sozialamts direkten Kontakt zu den ukrainischen Geflüchteten. Dolmetscher, meist ehrenamtlich, haben die Gespräche übersetzt. Das Bürgeramt, die Ausländerbehörde und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registrierte die Geflüchteten und Ehrenamtliche des Vereins Ukrainian Coordination Center (UCC) beriet die Menschen und betreute die Hotline für Geflüchtete und deren Angehörige.

Die Menge der Menschen zwingt die Unterbringungspraxis zu ändern

Bis zur Flüchtlingskrise 2015/2016 wurden Geflüchtete genauso untergebracht wie auch die Wohnsitzlosen. „In Frankfurt hatten wir nie die klassischen Flüchtlingsunterkünfte wie es in anderen Kommunen der Fall ist. Dafür hatten wir gute Gründe, wir wollten keine Stigmatisierung betreiben oder eine Angriffsfläche bieten. Die Menschen sollten in die Stadtteile, es sollte integrativ sein und sie sollten nicht aufeinandersitzen. Doch 2015/16 hat uns die Not gezwungen, von dieser Maßgabe abzuweichen, da die Anzahl an Menschen zu groß wurde und die bisherigen Kapazitäten nicht mehr ausreichten“, erinnert sich Eckert. In dieser Zeit wurde die Stabsstelle Unterbringungsmanagement und Geflüchtete gegründet, die von Anfang an damit beschäftigt ist, Wohnraum zu finden oder Beherbungsmöglichkeiten wie Hallen anzumieten, um die Menschen unterbringen zu können. In der aktuellen Situation hatte die Stabsstelle schier unglaubliches geleistet und in kürzester Zeit neue Notunterkünfte ertüchtigt.Dass nun so viele Menschen auf einem Fleck untergebracht werden mussten, führte auch dazu, dass es vor Ort Bedarf gab, sich um die Leute zu kümmern. Diese Sozialarbeit leisten freie Träger bis heute in den großen Unterkünften. So entstand ein gesplittetes Modell – die psychosoziale Betreuung wird in den Einrichtungen geleistet. Schwierige Fälle wie psychisch kranke Personen oder Menschen mit einem auffälligen Verhalten werden von unserem Sozialdienst im Haus betreut.“ Darunter fallen auch Personen, die eine eigene Wohnung haben oder eine Einzelunterkunft.

 

Mit den Herausforderungen wächst die Erfahrung

In die Flüchtlingskrise 2015/2016 sei man anfangs auf die Menge an Menschen nicht eingestellt gewesen und habe versucht, als Abteilung die Aufgabe alleine zu bewerkstelligen – später habe man freie Träger und Vereine ins Boot geholt. „Im Falle der Geflüchteten aus der Ukraine konnten wir so organisiert vorgehen, weil wir aus der Zeit davor gelernt haben. Wir haben direkt freie Träger, Hilfsorganisationen und Vereine eingebunden“, sagt Eckert. Man habe gelernt von heute auf morgen auf derartige Situationen zu reagieren: „Wir haben das Handwerkszeug, wir haben das Wissen und vor allem tolle Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen in allen Ämtern und sind gut vernetzt“, sagt er.

Text: Pelin Abuzahra

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