Die Kreuzung der Republik – ein Frankfurter Spiegelbild deutscher Geschichte
Frankfurts bewegte Geschichte lässt sich auch anhand seiner Straßen, Plätze und Gebäude erzählen. So beispielsweise am Platz der Republik. In den letzten knapp 140 Jahren war er Spiegelbild und Gradmesser der politischen und sozialen Veränderungen in Frankfurt und Deutschland. Zeichnet man seine Geschichte nach, zeigt sich, warum er heute nur noch Namensgeber einer stark befahrenen Kreuzung ist.
Der
Baggerfahrer öffnet die Tür seiner Kabine. Gegen den Lärm der Kreuzung brüllt
er etwas über die Baustelle. Sein Kollege am Presslufthammer hält kurz inne und
nimmt seinen Hörschutz ab. Währenddessen strömen die Autos Welle für Welle über
die Kreuzung. Erst von der einen, dann von der anderen Seite. Zwischendurch
pflügen Trambahnen an den Blechlawinen vorbei. Es ist stetiges Wechselspiel von
Metall und Gummi auf dem Asphalt – lediglich unterbrochen vom Hämmern und
Dröhnen schwerer Maschinen.
Wer sich von seinem Smartphone zum Platz der Republik in Frankfurt navigieren
lässt, stellt bei der Ankunft sehr wahrscheinlich die Funktion des GPS-Systems
in Frage. Wo andernorts prächtige Denkmäler und Statuen zu Ehren von Volk und
Vaterland errichtet wurden, findet man in Frankfurt: eine vielbefahrene
Kreuzung. Warum ist das so? Und wie kam eine profane Straßenkreuzung zu diesem
so inhaltsschweren Namen?
Am Platz der Republik treffen drei Frankfurter Stadtteile aufeinander:
Bahnhofsviertel, Gallus und Westend. Die Kreuzung bildet einen wichtigen
Verkehrsknoten der Stadt und ist ein Hauptzubringer zum Frankfurter Hauptbahnhof.
Dieser wurde zusammen mit dem ehemaligen Güterbahnhof während der Belle Époque
in den 1880er Jahren erbaut, da die drei Frankfurter Westbahnhöfe dem stetig
wachsenden Personen- und Güteraufkommen nicht mehr gewachsen waren. Die von
Bockenheim zu den Bahnhöfen führende Straße trug daher zunächst auch den
schlichten Namen „Bahnstraße“. Knapp zehn Jahre nach der Eröffnung der beiden
Bahnhöfe, 1899, wurde die Straße durch einen Magistratsbeschluss das erste Mal
umbenannt.
Das Vermächtnis der Hohenzollern
Namensgeber
war der Familienname des damaligen Kaisers Wilhelm II. von Hohenzollern. Wo
heute Autos dicht an dicht über den Asphalt donnern, lag damals zwischen
Postdirektion und Mainzer Landstraße der Hohenzollernplatz, ein breiter
Boulevard mit Parkanlage und genügend Raum für Droschken und Spaziergänger.
Zusammen mit dem um die Jahrhundertwende neu erschlossenen und parzellierten
Areal des heutigen Bahnhofsviertels und dessen breiten Pracht-Boulevards
Nidda-, Taunus-, Kaiser-, Münchener und Wilhelm-Leuschner-Straße Richtung
Innenstadt sowie ihren Gründerzeitvillen bildeten Hohenzollernplatz und -straße
den Kern der bürgerlichen Prestigearchitektur, die sich ehedem vor den Toren
Frankfurts entwickelte.
Der Erste Weltkrieg veränderte Europa und die Welt radikal und nachhaltig:
geographisch, politisch und sozial. Deutschlands letzter Kaiser Wilhelm II.
dankte ab und kurz darauf rief der SPD-Politiker Philipp Scheidemann die
Republik aus: „Das alte Morsche ist zusammengebrochen; der Militarismus ist erledigt!
Die Hohenzollern haben abgedankt! Es lebe die deutsche Republik!“ Ein paar
Jahre darauf beschloss der Frankfurter Magistrat im Jahr 1923 die Umbenennung
des Hohenzollernplatzes in Platz der Republik, um „den republikanischen
Gedanken auch in der Straßenbenennung zum Ausdruck zu bringen“. Den Namen trug
der Platz zunächst jedoch nur zehn Jahre bis 1933. Mit der Machtergreifung der
Nationalsozialisten änderten diese den Namen, der nicht in ihr faschistisches
und undemokratisches Weltbild passte, zurück zu seinem alten Namen
Hohenzollernplatz. Drei Jahre später wurde der nördlichere Teil zwischen
Poststation und Mainzer Landstraße zur Hohenzollernanlage.
Mit dem Sieg der Alliierten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden auch in
der Stadtplanung viele Änderungen vorgenommen; so auch in Frankfurt. Neben
offenkundigen Umbenennungen, wie der von der Wehrmacht kurz vor Kriegsende
gesprengten Adolf-Hitler-Brücke (heute wie vor 1933 Untermainbrücke) und der
Adolf-Hitler-Anlage (heute Gallusanlage) wurde auch die Hohenzollernanlage 1945
wieder zum Platz der Republik. Die Bezeichnung Hohenzollernstraße für den
Straßenabschnitt von Mainzer Landstraße bis zum Bahnhofsplatz blieb
vorübergehend bestehen.
Wie der Platz zur Kreuzung wurde
Doch
auch Frankfurts Stadtbild hat sich während und nach dem Krieg stark verändert.
Durch Luftangriffe der Alliierten wurden einzelne Stadtviertel bis zu 70
Prozent zerstört. Besonders betroffen war die Stadt innerhalb des Anlagenrings
und rund um den Hauptbahnhof, da hier wichtige logistische Infrastruktur und
Industriebetriebe angesiedelt waren. Hier wurden 90 Prozent der Gebäude
vernichtet oder beschädigt. Zehn Jahre nach Kriegsende, 1955, beschloss der
Magistrat die erneute Umbenennung des Platzes der Republik. Zu Ehren des ersten
Präsidenten der ersten demokratischen Republik Deutschlands wurde der Abschnitt
der Parkanlage zur Friedrich-Ebert-Anlage.
Vorausgegangen waren die Umbenennungen der Friedrich-Ebert-Straße und des
Friedrich-Ebert-Platzes zu ihren ursprünglichen Bezeichnungen Kaiserstraße und
Kaiserplatz. Die Bezeichnung Platz der Republik bezog sich ab diesem Zeitpunkt
lediglich auf den Abschnitt der Kreuzung Mainzer Landstraße/Düsseldorfer
Straße. Zu diesem Zeitpunkt befand sich hier indes noch keine Kreuzung, sondern
ein zweispuriger Kreisverkehr, in dessen Mitte ein kleines vom Rest der Anlage
isoliertes Stück Grünfläche überdauert hatte. Bis heute ist die Umbenennung von
1955 die letzte dieses historischen Ortes. Der Platz der Republik, wie wir ihn
kennen, ist somit nur noch ein kleines Überbleibsel der einstigen Parkanlage.
Bau der Kreuzung markiert den Weg zur Autostadt
Mit
dem konsequent steigenden Verkehrsaufkommen in Frankfurt sowie der städtischen
Mobilitätspolitik wurde das Straßennetz auch im westlichen Frankfurt stetig
ausgebaut. 1963 wurde entschieden, dass an einem solchen „Brennpunkt des
Frankfurter Verkehrs“ dringend Straßenarbeiten notwendig seien. Von einer
Kreuzung versprach sich der damalige Verkehrsdezernent Walter Möller eine
Leistungs- und Kapazitätssteigerung von 60 Prozent.
Heute treffen hier 13 Autofahrspuren und sechs Straßenbahngleise aufeinander.
Für einen begrünten Kreisverkehr ist da wenig Platz. Dass er der Platz seinem
prunkvollen Namen in der heutigen Zeit nicht mehr vollständig gerecht wird,
liegt vor allem an der wechselvollen Geschichte Frankfurts. Er ist somit
Produkt einer städtebaulichen Einwicklung und historischer sowie politischer
Besonderheiten. Unbestritten verfügt er daher nicht mehr über die intendierte
monarchische und später demokratische Symbolkraft, wie etwa die prunkvollen und
fast schon pathetischen Pariser Plätze Place de la République mit der
überlebensgroßen Mariannenstatue oder der Place de la Concorde mit dem
ägyptischen Obelisken von Luxor.
In Frankfurt ist ein ganz anderes Bauwerk zum wahren Denkmal der Demokratie
geworden: Die Paulskirche. Hier nahm die Demokratisierung Deutschlands 1848
ihren Ursprung, als die erste frei gewählte verfassungsgebende
Nationalversammlung zusammentrat und das erste demokratische Parlament auf
deutschem Boden bildete. Und als John F. Kennedy 1963 Frankfurt besuchte, hielt
er eine Rede in der Paulskirche und sprach ihr das alleinige Anspruchsrecht auf
den Ehrentitel der Wiege der deutschen Demokratie zu.
Der Platz der Republik in Frankfurt ist, anders als etwa seine französischen
Verwandten, kein politischer Versammlungsort – und war es auch nie. Seine
erstmalige Benennung unter diesem Namen in den 1920er Jahren diente in erster
Linie dazu, sich von der Monarchie der Hohenzollern zu distanzieren.
Demonstrationen und politische Kundgebungen finden in Frankfurt seit jeher vor
der Alten Oper, auf dem Rathenauplatz, dem Goetheplatz oder natürlich auf dem
Römerberg statt.
Text: Maximilian Scharffetter/Fotos: Institut für Stadtgeschichte, Maximilian Scharffetter