Der Hauptfriedhof Frankfurts grüne Zeitkapsel

Der Hauptfriedhof Frankfurts grüne Zeitkapsel

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Der Hauptfriedhof: Frankfurts grüne Zeitkapsel

Eine Oase der Ruhe inmitten der Stadt – Frankfurts Hauptfriedhof besticht durch historisch gewachsenes Stadtgrün und neue Nutzungskonzepte.

Im Frühling ziert sattes Grün die Wege des Friedhofs, Foto: Jan Hassenpflug
Im Frühling ziert sattes Grün die Wege des Friedhofs © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Jan Hassenpflug

Auch wenn das Frankfurter Wetter an diesem Nachmittag eher ungemütlich ist, herrscht doch reges Treiben auf den verwinkelten Pfaden des Frankfurter Hauptfriedhofs. Während ein älterer Mann mit verschränkten Händen langsam seine Runden dreht, tauschen sich zwei Freundinnen in flottem Laufschritt aus. Irgendwo zwischen den knorrigen Kastanien rollt ein Kinderwagen über die asphaltierten Wege.

Der Hauptfriedhof ist vor allem eines: kontrastreich. Er ist weit mehr als ein Ort der Erinnerung. Längst ist er auch ein Raum der Lebenden. Geschichte und Gegenwart verschmelzen, während er mittlerweile zu einer beliebten, ökologisch bedeutenden Grünfläche für Anwohnerinnen und Anwohner geworden ist. Die Grabanlage ist eine von 36 städtischen Ruhestätten, dazu kommen zwölf jüdische Friedhöfe. Sie verändert sich mit der Gesellschaft und fordert dabei neue Nutzungskonzepte, die den Ort respektvoll weiterdenken, ohne dabei die Vergangenheit zu ignorieren.


 

Beinahe 200-jährige Geschichte

Eine historische Zeichnung zeigt den Friedhof im 19. Jahrhundert, damals noch außerhalb der Stadt, Foto: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
Eine historische Zeichnung zeigt den Friedhof im 19. Jahrhundert, damals noch außerhalb der Stadt © Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Kaum ein anderer Ort in Frankfurt bewahrt so eindrucksvoll die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Über 65.000 Grabstätten erzählen von bedeutenden Denkerinnen und Denkern, die Frankfurt mit ihren Werken beeinflusst haben – wie etwa Cécile Mendelssohn oder Theodor W. Adorno, die hier begraben liegen. Auch die Lage des exakt 70,1 Hektar – also fast 100 Fußballfelder –  großen Friedhofs, spiegelt den historisch-gesellschaftlichen Wandel wider. „Der Hauptfriedhof ist sowohl Ort der Trauer und des Gedenkens, als auch lebendiges Spiegelbild der Frankfurter Geschichte. Kaum ein anderer Ort in Frankfurt vereint fast zwei Jahrhunderte so eindrucksvoll und erzählt so plastisch von der bewegten Vergangenheit der Stadt,“ erklärt Klima– und Umweltdezernentin Tina Zapf-Rodríguez.

Er erzählt von politischen und religiösen Kämpfen und von der Frage nach Tradition versus Fortschritt. Denn schon vor seiner Eröffnung im Jahr 1828 gab es hitzige Debatten darüber, ob er überhaupt entstehen sollte. Die Frage danach war damals eine Reaktion auf die hygienischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der rechtsmainischen Grabstätte, dem Peterskirchhof. An der heutigen Eschenheimer Anlage gelegen, kämpfte der Friedhof mit Überfüllung und katastrophalen Bedingungen. Tote wurden wegen Platzmangel nach kurzer Zeit wieder ausgegraben, der Gestank war unerträglich. Dennoch wollten die mächtigen Patrizierfamilien den Friedhof nicht aufgeben, denn dort befanden sich ihre Familiengräber.

Schließlich setzten sich aber Mediziner und Intellektuelle durch und 1828 war es soweit: Der Hauptfriedhof öffnete seine Tore – weit außerhalb der Stadtgrenze. Ebba D. Drolshagen zitiert in ihrem Buch „Der Melancholische Garten“ einen Zeitzeugenbericht, der erzählt, wo die Ruhestätte liegt: „Eine starke Viertelstunde nördlich von Frankfurt auf einer sanft sich verflachenden Anhöhe, welche eine höchst reizende Aussicht gewährt auf die in der Tiefe liegende Stadt, auf die waldigen Höhen hinter Sachsenhausen und den fernen Odenwald, nach Bornheim und der Friedberger Warte hinüber, besonders aber auf das liebliche Niddathal und den im fernsten Hintergrunde hervortretenden Taunus.“ Der Blick auf Frankfurt und Umgebung muss von dieser Erhöhung zwischen Weiden und Feldern atemberaubend gewesen sein.


Im Zentrum der Stadt

Leseschränke und Blumenwiesen: Nicht nur der Frankfurter Hauptfriedhof verändert sich
Leseschränke, Insektenhotels und Blumenwiesen: Der Frankfurter Hauptfriedhof verändert sich © Grünflächenamt Frankfurt am Main

Wer den Hauptfriedhof heute besucht weiß: Eingebettet zwischen Friedberger und Eckenheimer Landstraße liegt der Ort gegenwärtig inmitten der Stadt, im Minutentakt verbindet die U5 den Hauptbahnhof und die Station Hauptfriedhof. Mit dem Wachstum Frankfurts ist der Friedhof ins Zentrum gerückt und liegt mittlerweile nahe des Bürgerhospitals. Einst von Feldern umgeben, ist er inzwischen längst nicht mehr nur Ruhestätte, sondern Teil des urbanen Lebens. Kein Wunder also, dass man dort neben Trauernden auch schon seit geraumer Zeit auf Spaziergängerinnen, Jogger, oder, auch wenn es die Friedhofsordnung eigentlich verbietet, auf Fahrradfahrerinnen trifft.


Immer mehr Urnengräber


Urnengrab am Hauptfriedhof, Foto: Stefan Maurer
Urnengrab am Hauptfriedhof © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Stefan Maurer

Der zentrale Ort unterliegt ständigem Wandel, dem in erster Linie ein verändertes Bestattungsverhalten zugrunde liegt. Denn immer mehr Menschen entscheiden sich für eine Urnenbestattung. Der Anteil der Erdbestattungen nimmt drastisch ab, mittlerweile sind laut Friedhofsverwaltung mindestens 70, wenn nicht sogar 80 Prozent der Beisetzungen in Frankfurt Urnengräber. Diese sind nicht nur kleiner und pflegeleichter, sondern auch kostengünstiger. Gut für Frankfurterinnen und Frankfurter, eine Herausforderung für die Friedhofsverwaltung. Denn mit der Zunahme der Urnenbestattungen sinken die Einnahmen für die Friedhofspflege, während die zu pflegende Fläche gleich bleibt. Eine der Konsequenzen also: Die Friedhofsgebühren müssen steigen, um die Kosten für die Instandhaltung zu decken.

Die vielen pflegeleichten Urnengräber schaffen aber auch Raum, um den Friedhof als öffentlichen Ort neu zu definieren. Denn: Im Vergleich zu einer herkömmlichen Bestattung wird für eine Urnenbestattung weniger Platz benötigt. 

So bestätigt auch Zapf-Rodríguez: „Seit vielen Jahren arbeiten wir daran, das Friedhofswesen in Frankfurt strukturell zu verbessern und immer wieder an die sich wandelnden Anforderungen anzupassen – ohne unsere Kernaufgaben zu vernachlässigen. Neue Begräbnisformen werden angeboten, Grabflächen werden zunehmend zentriert, sodass außenherum Grünflächen für die Bevölkerung als Kleinod und Begegnungsraum entstehen können. Die Pflege leistet dann die Stadt, genauso wie nach und nach die Sanierung denkmalgeschützter Trauerhallen ansteht. Darüber hinaus spüren wir auch auf dem Friedhof die Folgen des Klimawandels sehr deutlich: Der Wasserverbrauch steigt, Bäume müssen regelmäßig auf ihre Standfestigkeit geprüft und vieles mehr.“

Somit rückt schließlich die Frage in den Vordergrund, wie sich Friedhöfe an die veränderten Bedürfnisse einer modernen Infrastruktur anpassen können. Dafür entwickelt die Stadt schon seit einiger Zeit neue Nutzungskonzepte, die frei gewordene Flächen sinnvoll einbinden und den Bürgerinnen und Bürgern an diesem friedvollen Ort eine abwechslungsreiche Grünfläche bieten.



Sehr hohe Biodiversität auf dem Hauptfriedhof

Im Norden des Hauptfriedhofs unterstützen Insektenhotels beim Arten- und Naturschutz, Foto: Stefan Maurer
Im Norden des Hauptfriedhofs unterstützen Insektenhotels beim Arten- und Naturschutz © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Stefan Maurer

Der Hauptfriedhof ist schon heute nicht nur ein Ort des Gedenkens, sondern vor allem eine grüne Oase inmitten der Stadt. Schon 1828 legte Sebastian Ritz, der damalige Stadtgärtner, den Grundstein für dieses grüne Kleinod, das vielen Pflanzenarten, kleinen und größeren Tieren ein Zuhause bietet. Heute ist der Friedhof der Ort mit der höchsten Biodiversität in Frankfurt. Besonders im Frühling und Sommer ist er für Vogelliebhaber ein beliebter Beobachtungsposten, für Spaziergängerinnen ein schattiges Plätzchen in der bepflasterten Großstadt und ganz grundsätzlich ein Ort der sozialen Begegnung.

„Es wird den klassischen Friedhof mit Reihen von Einzelgräbern oder Familiengräbern auch in Zukunft geben. Aber insgesamt verändert sich die Friedhofskultur hin zu einem „Kulturraum Friedhof“, der andere Grabkonzepte erlaubt, aber auch andere Nutzungen. Das sehen wir auf dem Hauptfriedhof, aber auch auf den anderen 36 Friedhöfen der Stadt. Wo Gräber aufgelassen – also die Flächen nicht mehr genutzt werden – entsteht Neues, ist Platz für Kommunikation und Begegnung. Friedhöfe werden so Teil des öffentlichen Lebens. Eine Entwicklung auf die wir in Frankfurt schon seit einigen Jahren reagieren“, betont die Klima- und Umweltdezernentin.

Auf dem Hauptfriedhof tummeln sich viele verschiedene Vögel, Foto: Stefan Maurer
Auf dem Hauptfriedhof tummeln sich viele verschiedene Vögel © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Presse- und Informationsamt Stadt Frankfurt a. M.

So sind in den vergangenen Jahren auf den freien Flächen im Norden der Anlage einige Projekte zum Thema Arten- und Naturschutz und sozialer Treffpunkt entstanden. Ein Garten mit Bienenkästen, einige Insektenhotels aus alten Baumstumpfen, große Wildblumenwiesen, eine Kräuterspirale: Der Ruheort bietet eine riesige Vogel-, Insekten-, und vor allem Pflanzenvielfalt. Nächtliche Schließzeiten, Totholzhaufen und der alte Baumbestand bieten Igel, Kröten, Eidechsen und sogar Füchsen Unterschlupf. Etwa 60 verschiedene Vogelarten finden sich in den verästelten Büschen und rund um die Futterstätten. Und auch unterschiedliche Wildbienenarten wie etwa die Zaunrüben-Sandbiene oder die Natternkopf-Mauerbiene, Schmetterlinge und allerlei Insekten wie Würmer oder Ameisen gehören zur Artenvielfalt des Hauptfriedhofs.

Ein öffentlicher Bücherschrank lädt dazu ein, auf einer der vielzähligen Bänke zu verweilen und sich womöglich mit denjenigen auszutauschen, die nebenan sitzen. Ab April findet im Wildbienengarten auf dem nordöstlichen Teil der Friedhofsanlage sogar ein mobiles Café Platz, das zu Gesprächen und Begegnungen einlädt.

 


Ein Ort der Kontraste

In drei Jahren feiert der Frankfurter Hauptfriedhof sein 200-jähriges Bestehen – und bleibt ein Ort der Kontraste. Während er von vergangenen Kämpfen um Religion und Wissenschaft erzählt, ist er heute grüne Lunge, Treffpunkt und ein Ort der Biodiversität.

Der Wandel ist ein fortlaufender Prozess, der nicht immer reibungslos verläuft. Doch der Hauptfriedhof zeigt, wie er ein Raum sein kann, in dem Geschichte und Gegenwart verschmelzen und der, trotz seiner Verbindung mit dem Tod, ein lebendiger Teil des städtischen Lebens ist.

Text: Ida Baggen


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