„Die NS-Verbrechen dürfen nicht in Vergessenheit geraten“: Studierende und Alumnae kuratieren Ausstellung im Rathaus Römer
Studierende und Alumnae aus dem Umfeld der Goethe-Universität haben die Ausstellung „‚Ich will sprechen über die Wahrheit, die dort war.' Der Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963–1965“ kuratiert, die bis zum 8. Mai 2025 im Foyer des Plenarsaals im Rathaus Römer zu sehen ist.
![Florine Miez (links) und Anne Uhl (rechts) bereiten die Ausstellung vor. Florine Miez (links) und Anne Uhl (rechts) kuratieren die Ausstellung im Rathaus Römer, Foto: Ben Kilb](https://frankfurt.de/-/media/frankfurtde/service-und-rathaus/presse/texte-und-kampagnen/image/features/ausstellung-auschwitz-prozess/kuratorinnen-florine-miez-und-anne-uhl_1000x563.jpg?la=de-de2b6b555ce8be4d03914e7297a0c470f6&mw=640&mh=640&hash=1FE2E45A8116DF78DBABD469BA4720E7)
„Das hier
ist ein wichtiger Ort. Hier hat der Prozess begonnen“, sagt Anne Uhl, Studentin
an der Goethe-Universität, während sie durch das Foyer des Plenarsaals im
Rathaus Römer blickt. Gemeinsam mit Florine Miez, Maximilian Steinborn,
Alexander Toumanides und Anna Wolfinger, einer Gruppe von Studierenden und
Alumni der Goethe-Universität wurde die Ausstellung „Ich will sprechen über die
Wahrheit, die dort war. Der Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963–1965“
konzipiert.
Ab Montag, 27. Januar, dem 80. Jahrestag der Befreiung von
Auschwitz-Birkenau, wird die Ausstellung im Rathaus Römer gezeigt. Sie erinnert
auch an die Urteilsverkündung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, der
genau vor 60 Jahren nach 183 Verhandlungstagen endete. Der Plenarsaal ist dabei
nicht nur Kulisse, sondern historischer Schauplatz – denn hier begann 1963 der
historische Prozess, der die Verbrechen des nationalsozialistischen
Vernichtungslagers Auschwitz erstmals umfassend juristisch aufarbeitete.
Gedenkausstellung mit Tiefgang
Die Ausstellung lädt Besucherinnen und Besucher ein, in die Geschichte dieses
so bedeutenden Strafprozesses einzutauchen. Sie beschäftigt sich mit den
aufwändigen Vorermittlungen, die maßgeblich von Überlebenden angestoßen wurden,
und spannt schließlich den Bogen zur Gegenwart. Mit Schautafeln und
Videoausschnitten von Zeitzeugeninterviews zeigt sie, welche Bedeutung der
Prozess für die deutsche Nachkriegszeit und unsere Gegenwart hat.
Entstanden ist die Ausstellung durch einen zufälligen Archivfund: „Es wurde ein
Brief von zwei Rechtsanwälten entdeckt, die beide am Auschwitz-Prozess
beteiligt waren“, erzählt Miez. „Darin berichteten sie, dass der am Prozess
maßgebend beteiligte Staatsanwalt Fritz Bauer sich vorstellen könnte, das
Prozessmaterial in einer Ausstellung im Studierendenhaus in Frankfurt zu
zeigen.“ Und so kamen einige Interessierte zusammen, um die Ausstellung zu
gestalten mit Fokus auf die Überlebenden: „Wir haben uns als Bekannte und
Freunde zusammengefunden, weil wir alle ein ehrliches Interesse an dem Thema
hatten“, ergänzt Uhl.
Aus der Sicht der Überlebenden
Die Ausstellung zeigt den Prozess bewusst aus der Perspektive der Überlebenden.
Dazu haben die Macherinnen und Macher Fotografien und Dokumente
zusammengetragen, Zeitzeuginnen, Zeitzeugen oder deren Nachkommen interviewt.
Miez erklärt: „Wir führen chronologisch durch den Prozess – von der
Vorgeschichte und den Vorbereitungen über den Prozessverlauf und das Urteil bis
hin zum kulturellen Gedächtnis.“ Dazu liegen Bücher von Überlebenden aus, die
ihre Erfahrungen und Erlebnisse aufgeschrieben haben. Über QR-Codes können
Interessierte Zeitzeugeninterviews nachhören und sich mit den zentralen Themen
beschäftigen, die die Überlebenden während dieser Zeit bewegten.
Foyer des Plenarsaals als historische Kulisse
Die Premiere der Ausstellung fand 2023 im Studierendenhaus der
Goethe-Universität statt. Nun kommt sie an den historischen Ort, an dem der
Prozess begann. „Der Plenarsaal war damals der größte verfügbare Raum“, erzählt
Miez. „Es war schon vor dem Prozessbeginn klar, dass man mit viel Presse
rechnen musste. Es gab am Anfang 22 Angeklagte und 211 Überlebende, insgesamt
über 350 Zeuginnen und Zeugen. Und die Räume im Gericht waren da einfach zu
klein für“, erklärt Miez.
Trotz der Verlegung des Prozesses ins Gallus blieb das Rathaus ein zentraler
Schauplatz. „Hier wurde der gesellschaftliche Widerspruch deutlich, der den
Prozess begleitete“, sagt Uhl. „Im Dezember 1963 fand draußen auf dem Römer der
Weihnachtsmarkt statt. Die Leute hatten ganz andere Sachen im Kopf, die wollten
nur mit ihrem Leben weitermachen. Und dann begann aber eben hier im Rathaus der
Auschwitz-Prozess. Das war ein starker Gegensatz.“
Verantwortung für das Erinnern übernehmen
„Für uns ist es sehr wichtig, dass die NS-Verbrechen nicht in Vergessenheit
geraten“, betont Florine Miez. Die Ausstellung soll nicht nur an den Prozess
erinnern, sondern auch die Frage aufwerfen, in welcher Gesellschaft wir heute
leben.
„Keiner soll die Ausstellung verlassen und sich wohlfühlen“, erklärt Miez. „Es
ist richtig, wenn man mit einem Unbehagen herausgeht. Die Welt, in der wir
heute leben, ist geprägt von einer jahrzehntelang versäumten Aufarbeitung der
NS-Verbrechen. Das sieht man am Anstieg antisemitischer Gewalt und der
Zustimmung für rechte Politik.“
Die Ausstellung in Rathaus Römer ist bis zum 8. Mai zu sehen – und fordert dazu
auf, Verantwortung für das Erinnern zu übernehmen.
Text: Ida Baggen
Lesen Sie auch die Pressemitteilung zur Ausstellungseröffnung. Internal Link
Ausstellungsdauer bis 08.05.2024
Ort:
Römer (Foyer des Plenarsaals), Römerberg 23, 60311 Frankfurt am Main
Führungen
nach Anmeldung an jedem 2. und 4. Sonntag im Monat zwischen 11 und 15 Uhr. Auf
Anfrage sind auch weitere Termine möglich.
Anmeldung
unter: ichwillsprechen.ausstellung@gmail.comInternal Link