150 Jahre Zoo im Ostend: Ein Tiergarten im Wandel der Zeit
1874 zog der Frankfurter Zoo mit Tieren und Gehegen an seinen jetzigen Standort um – seitdem haben sich seine Wahrnehmung und Aufgaben grundlegend geändert.
Petra hat trotz strahlendem Sonnenschein wenig Lust darauf, im Freien zu sein. Die 47 Jahre alte Flusspferddame döst lieber unter Wasser in ihrem Pool im ehemaligen Elefantenhaus des Zoos, das sie mittlerweile alleine bewohnt. Nur ein kleiner Teil ihres breiten Rückens ragt aus dem Wasser hervor, der Kopf dümpelt schläfrig unter der Oberfläche. Ein kleines Mädchen kommt trotzdem aus dem Staunen nicht heraus, wie groß die betagte Dickhäuterin ist.
Petras Zuhause kommt aus einer anderen Zeit. Dicke Gitterstäbe
trennen die Tiere von den Menschen, ein vergilbtes Schild warnt die
Besucherinnen und Besucher davor, dass Nashörner – die früher
ebenfalls dort lebten – sie beim Markieren eventuell mit Urin
vollspritzen könnten. Neben den Flusspferden und Nashörnern
beherbergte das Haus vor Jahrzehnten auch noch drei Elefanten auf
engem Raum; unvorstellbar für heutige Standards der Tierhaltung. Der
Zoo Frankfurt möchte die alte Dame aber nicht aus ihrem gewohnten
Umfeld reißen, zudem hat sie alleine ausreichend Platz. Nach ihrem
Ableben wird in das Haus kein Flusspferd mehr einziehen.
Ein Zoo auf
Probe
Wie alt das Haus – oder zumindest seine ursprüngliche Form – wirklich
ist, lässt sich an einem Zoo-Modell im Vogelhaus erkennen. Zwischen
den parkähnlich angelegten Gehegen wandeln winzige Figuren mit Hüten
und Sonnenschirmen. In der Mitte ein gelbes Haus mit auffälligen
Verzierungen im maurischen Stil: Petras Zuhause. Identisch sieht es
heute nicht mehr aus, denn wie so viele Gebäude in Frankfurt fielen
auch die meisten Tierhäuser im Zoo den Bombenangriffen während des
Zweiten Weltkriegs zum Opfer. Die Form des Hauses lässt sich jedoch
auch heute noch erkennen; das ursprüngliche Aussehen ist durch den
pragmatischen Baustil der Nachkriegszeit ersetzt worden.
Wenn man das Modell genauer betrachtet, fällt jedoch schnell auf: Das
ist gar nicht das Gelände des Zoos im Ostend. Denn tatsächlich ist
der Zoo erst seit 1874 an der Pfingstweide angesiedelt. Vorher
besuchten die Frankfurterinnen und Frankfurter die Zootiere auf der
anderen Seite der Stadt im Westend. „Der Impuls zur Zoogründung kam,
wie so vieles in Frankfurt, von der Bürgerschaft – in den 1850er
Jahren gründeten Bürgerinnen und Bürger der Stadt ein Komitee, das
sich mit einem möglichen Zoo in Frankfurt beschäftigte und schnell zu
Ergebnissen führte. Auch heute noch ist der Zoo eng mit dem Bürgertum
dieser Stadt verbunden und lebt auch durch dessen Engagement“, sagt
die für den Zoo zuständige Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina
Hartwig.
1855 erwarb Hermann Mumm als Vertreter dieses Komitees bei einer öffentlichen Versteigerung den Leers’schen Garten an der Bockenheimer Landstraße. Das 15 Morgen (entspricht etwa 37.500 Quadratmetern) große Gelände wurde jedoch nicht gekauft, sondern gepachtet – denn im Komitee war man sich bei weitem nicht sicher, ob der Zoo von der Bürgerschaft wirklich angenommen werden würde. Man einigte sich auf einen Mietpreis von 2400 Gulden – knapp 40.000 Euro – pro Jahr für eine Dauer von zehn Jahren.
So entstand der „Probezoo“ im Westend. Das Modell im heutigen Vogelhaus zeigt eine Parkanlage, auf Bildern von damals sind im Hintergrund Felder und der Taunus zu sehen, denn dieser Teil der Stadt war zu dieser Zeit noch nicht besiedelt. Für die Finanzierung konnte sich das Komitee die Unterstützung wohlhabender Frankfurterinnen und Frankfurter sichern, darunter die Rothschilds, der Graf von Bose und seine Frau sowie eine Tochter des Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen. Sie und viele weitere Bürgerinnen und Bürger sicherten sich durch Aktienkauf Anteile am neuen Zooprojekt und ließen den Frankfurter Traum eines Tiergartens damit Wirklichkeit werden. Der Zoo wurde im August 1858 eröffnet.
Vom Westen in
den Osten: Der Zoo zieht um
Schnell zeigte sich, dass die Frankfurterinnen und Frankfurter den
Zoo mit großer Begeisterung annahmen. Da es jedoch keine Möglichkeit
gab, das Gelände an der Bockenheimer Warte zu kaufen, sah man sich
gezwungen, nach einer neuen Heimat für den Zoo Ausschau zu halten.
Nach langen Jahren mit vielen Verhandlungen, die durch verschiedene
Meinungen, finanzielle Unsicherheiten und einen Krieg verzögert
wurden, einigte sich die Zoologische Gesellschaft 1872 mit der Stadt
auf die Pfingstweide, die zu diesem Zeitpunkt noch umgeben von
Weinbergen außerhalb der Stadtmauern lag und zur Ochsenmast genutzt
wurde.
Dort wurden neue Gehege gebaut, zum Beispiel das damalige Raubtierhaus, andere Gebäude wurden jedoch im Westend abgerissen und am neuen Standort im gleichen Stil wiederaufgebaut, denn das Gelände musste seinem Besitzer, der Städelschen Gesellschaft, ohne Gebäude zurückgegeben werden. So geschah es etwa mit dem Straußenhaus, das heute nicht mehr steht, und Petras damals noch maurischem Zuhause, das den Elefanten Bettsy sowie einige Zebras und Ponys beherbergte. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Tiere mussten während des Umzugs in vorübergehenden Gehegen gehalten werden. Erst im Februar 1874 war es so weit: Die rund 1200 Zootiere zogen in ihre neue Heimat im Ostend. Eine Aufgabe, die mit unvorstellbaren Risiken für Tier und Mensch einherging, sollte etwa ein Tier auf der Fahrt mitten durch die Stadt ausbrechen. Zudem litten die Tiere unter enormer Anspannung – allen voran Elefantin Bettsy, die in einem Wagen von sechs Pferden durch die Stadt gezogen wurde.
Die Zoogebäude
als Zeitreise durch 150 Jahre
Obwohl erst im Sommer 1874 wirklich alle Tierbehausungen fertig
wurden, öffnete der neue Zoo bereits am 29. März 1874 seine Türen für
Besucherinnen und Besucher. Das prunkvolle Gesellschaftshaus, das
auch heute noch den Eingangsbereich ziert, wurde erst zwei Jahre
später fertiggestellt. Ebenfalls der Gründungszeit des Zoos an seinem
neuen Standort entstammen die Greifvogelvolieren mit ihren hohen
Rundbögen und der Wasserturm des Exotariums oberhalb der heutigen
Pinguin-Anlage, auch wenn an diesem nach den Zerstörungen des Zweiten
Weltkriegs viele Änderungen vorgenommen werden mussten. Auch der
Erste Weltkrieg hinterließ Spuren im Zoo: 1916 verhungerten zwei
Drittel der Tiere. Das konnte auch durch das Eingreifen des
Magistrats der Stadt Frankfurt nicht verhindert werden, der 1915 den
Zoo übernahm, nachdem die ihn leitende Zoologische Gesellschaft die
Kosten nicht mehr tragen konnte.
Wer durch den Zoo läuft, kann neben den imposanten Gebäuden aus dem
19. Jahrhundert noch andere Epochen der Zoogeschichte entdecken. Da
sind die durch viel Beton und gerade Linien geprägten Häuser aus den
1950er bis 1970er Jahren, die vom Pragmatismus und den finanziellen
Nöten der Nachkriegszeit erzählen, beispielsweise das Giraffenhaus
und das Zuhause der nachtaktiven Tiere. Letzteres trägt den Namen des
wohl berühmtesten Zoodirektors Frankfurts: Bernhard Grzimek, der ab
1945 für 29 Jahre dem Zoo vorstand. Unter seiner Leitung gelang nicht
nur der Wiederaufbau des zerbombten Zoos sowie dessen Ausbau, er
setzte auch das Thema Naturschutz zum ersten Mal auf die Agenda. So
wurde von diesem Zeitpunkt an verstärkt Wert darauf gelegt, die
Zoogehege so tierfreundlich wie möglich zu gestalten, womit Grzimek
den Zoo in den 1950er Jahren zu einem der modernsten seiner Zeit
machte – auch wenn einige seiner Methoden heute kritisch betrachtet
werden müssen. Zudem gründete er 1950 die Gesellschaft der Freunde
und Förderer des Zoologischen Gartens, die heute Zoologische
Gesellschaft Frankfurt von 1858 (ZGF) heißt und sich – oft in enger
Zusammenarbeit mit dem Zoo Frankfurt – für den Natur- und Artenschutz
einsetzt.
„Wer heute das neue Menschenaffenhaus im Zoo betritt oder durch die
Anlage der Humboldt-Pinguine schlendert, kann sehen, dass zwischen
den auf Hygiene ausgerichteten Anlagen der 50er Jahre und dem
heutigen Verständnis davon, was naturgemäß und artgerecht ist, ein
großer Unterschied liegt – eine wesentliche, dem wissenschaftlichen
Kenntnisgewinn folgende, Entwicklung über so viele Jahre, in denen
sich das Konzept Zoo grundlegend verändert hat. Heute streben wir
danach, den Tieren ein möglichst naturgetreues Zuhause zu bieten. Im
Vordergrund steht immer die Frage, was brauchen die Tiere, um ihr natürliches
Verhalten ausleben zu können? Die Architektur, die es als Rahmen
dafür braucht, soll möglichst im Hintergrund bleiben“, erklärt
Zoodirektorin Christina Geiger. Dabei muss stets eine besondere
Eigenschaft des Frankfurter Zoos im Auge behalten werden: Als
Innenstadtzoo ist seine Fläche begrenzt und es mussten und müssen
Lösungen dafür gefunden werden, wie den Tieren auf dem vorhandenen
Raum von elf Hektar ein artgerechtes Leben ermöglicht werden kann.
Natur- und Artenschutz als zentrale
Themen
Nicht nur in den Gehegen zeigt sich der Wandel rund um
das Thema Zoo. Denn auch wenn schon bei der Gründung des Frankfurter
Zoos Erholung und Bildung als zentrale Gründe für seinen Bau genannt
wurden, hat der Bereich Bildung in den vergangenen Jahrzehnten enorm
an Bedeutung gewonnen. Zoos sind keine reine Zurschaustellung
exotischer Tiere mehr – vielmehr haben Forschung, Nachhaltigkeit
sowie Natur- und Artenschutz eine zentrale Rolle übernommen. „Eine
Reaktion auf die sich verändernde Welt und die immer weiter
abnehmende Biodiversität“, erklärt Marco Dinter, der seit Januar 2022
Naturschutzreferent im Zoo ist. Dass die Stelle geschaffen wurde,
spricht für die Bedeutung, die dem Naturschutz zugemessen wird. „Bildung,
Freizeit und Erholung, Forschung, Natur- und Artenschutz – heute muss
jeder Zoo diese vier Säulen abdecken. Das tun auch wir. Wenn man zu
uns in den Zoo kommt, erlebt man viele Dinge gleichzeitig. Man kann
sehr viel lernen und verbringt dabei einen schönen Tag“, sagt der
Biologe, dessen Stimme manche aus dem Naturschutz-Podcast „Hinter dem
Zoo geht’s weiter“ wiedererkennen, den er gemeinsam mit Kolleginnen
und Kollegen aus Zoo und ZGF verantwortet, und der über die vielen
Naturschutzprojekte der beiden Institutionen auf der ganzen Welt
berichtet.
Die Rolle des Naturschutzes für seine weitere Entwicklung hat der Zoo
in seiner Konzeptstudie „ZOOKUNFT2030+“ festgehalten, die 2019 unter
dem damaligen Zoodirektor Miguel Casares erarbeitet und vorgestellt
wurde. Sie ist Teil der im gleichen Jahr vom Dezernat für Kultur und
Wissenschaft präsentierten städtischen Gesamtvision, die auch das
Frankfurt Conservation Center auf dem Zooareal sowie Sanierung und
Umbau des Zoogesellschaftshauses zu einem Kinder- und Jugendtheater
beinhaltet. „Bei ‚ZOOKUNFT2030+‘ nehmen erfahrbarer Natur- und
Artenschutz sowie eine exzellente Tierhaltung Schlüsselfunktionen
ein. Unseren traditionsreichen Zoo für die Zukunft optimal
aufzustellen, ist ein herausfordernder, aber auch überaus spannender
Prozess und wird die Institution, wie wir sie heute kennen,
grundlegend verändern“, sagt Kulturdezernentin Hartwig.
Zentral für die Neuausrichtung ist auch die Zusammenarbeit mit der
ZGF. „Der Zoo unterstützt die ZGF finanziell, beispielsweise fließt
ein großer Teil der Einnahmen durch den Naturschutz-Euro in Projekte
der Organisation. Er stellt aber auch eine Plattform für sie da und
wirkt als Schaufenster, durch das die Besucherinnen und Besucher des
Zoos einen Einblick in die Arbeit der ZGF bekommen können“, erläutert
Dinter. Der Zoo unterstütze die ZGF aber auch personell: „Unsere
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter helfen bei Projekten vor Ort mit
ihrer Expertise weiter und entwickeln gemeinsam Strategien, wie
bedrohte Tierarten bestmöglich geschützt werden können“, sagt der
Naturschutzreferent.
Zoodirektorin Geiger, die als Tierärztin im Zoo anfing, war selbst
schon bei einem dieser Projekte im Einsatz: Sie reiste in die Steppen
Kasachstans, der Heimat der vom Aussterben bedrohten Saiga-Antilopen,
und half dabei, die Tiere mit GPS-Halsbändern auszustatten. Nur so
können sie in den weitläufigen Steppen überhaupt gefunden werden. Im
Februar 2022 übernahm Geiger den Posten der Direktorin. In der langen
Geschichte des Zoos, der zweitälteste in Deutschland nach Berlin, ist
sie die erste Frau an dessen Spitze – ein weiteres Indiz dafür, dass
im Zoo mit seinen mehr als 180 Mitarbeitenden die Zeichen auf Zukunft
stehen.
Steigendes
Interesse bei den Besucherinnen und Besuchern
Durch die im öffentlichen Diskurs immer präsentere Klima- und
Biodiversitätsverlustsdebatte ist auch der Naturschutz verstärkt in
den Fokus der Öffentlichkeit geraten. „Es ist ein sich selbst
verstärkender Prozess“, sagt Dinter. Das zeige sich auch daran, dass
79 Prozent der Zoogäste den freiwilligen Naturschutz-Euro zusätzlich
zum Eintrittspreis zahlen. Besonders freut Dinter, dass auch vermehrt
junge Menschen zu den Vortragsreihen zum Thema im Zoo kommen: „Es
kommen immer häufiger Studierende und vor Kurzem war ein Bio-Leistungskurs
bei uns.“ In den sozialen Medien gewinnt das Thema ebenfalls an
Bedeutung, auch wenn es gegen eine Sache wahrscheinlich niemals
ankommen wird: „Süße Tierbabys gehen immer am besten“, erzählt Dinter
lachend.
Die gibt es auch in der Anlage der Humboldt-Pinguine und im
Menschenaffenhaus – die ersten Bereiche, die im Zoo nach dem neuen
Konzept umgesetzt wurden. Bei der Vorstellung von „ZOOKUNFT2030+“
nutzte man Bilder des Flusspferdhauses, um die Wichtigkeit des Umbaus
zu verdeutlichen. Die gemütlich in ihrem Becken dösende Petra wird
die Neugestaltung ihres Zuhauses nicht mehr erleben. Ihre
Nachfolgerinnen und Nachfolger dürfen gespannt darauf sein, was der
Zoo Frankfurt für sie kreiert.
Text: Laura Bicker, März 2024