Oberbürgermeister Josef besucht das inklusive Erzählfrühstück des Seniorenprojekts Frankfurt
18.02.2025, 12:30 Uhr

Ein frostiger Morgen im Februar: Der Himmel hängt grau und trist über der Stadt. In der Kaufunger Straße Nummer 9 dagegen ist es zu dieser Stunde besonders warm und gemütlich. Wer den Gemeinschaftsraum des Häuschens des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Bockenheim betritt, fühlt sich unmittelbar wohl, willkommen, aufgehoben und geborgen – denn die ausgesprochen familiäre Stimmung ist ansteckend.
Eine Stellwand mit einem selbstgestalteten Plakat, auf dem Fotos der Teilnehmenden kleben, zeugt von der Gemeinschaft, die sich über die Jahre hinweg gebildet hat. Im Zentrum des Raums ist der große Tisch reichlich eingedeckt mit allem, was das Frühstücksherz begehrt, es riecht nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Das Erzählfrühstück des Seniorenprojekts Frankfurt ist ein Highlight, auf das sich die teilnehmenden Menschen mit geistiger Behinderung jede Woche freuen. Auch wenn auf den ersten Blick das üppige Frühstück im Mittelpunkt zu stehen scheint – was wirklich zählt und das Erzählfrühstück so besonders macht, ist die Gemeinschaft, die sich hier erfahren lässt.
Oberbürgermeister Mike Josef ist heute zu Besuch und wird vom Kreis der übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer rasch als „Mike“ integriert. Kein Herr Oberbürgermeister, sondern einfach nur Mike. Thorsten, der neben ihm sitzt, reicht dem Oberbürgermeister ein gekochtes Ei, und so macht die Schale mit Frühstückseiern ihre Runde. „Möchte noch jemand ein Ei? Oder Leberwurst vielleicht?“, fragt Josef über den Tisch, während Besteck klirrt und gleichzeitig ein Teller mit vorgeschnittenen Butterscheibchen herumgeht. Arme kreuzen, Blicke treffen und Hände berühren sich.
Ein Raum für alle
Im Seniorentreff Frankfurt bekommen diejenigen einen Raum geboten, denen häufig wenig Platz in der Gesellschaft eingeräumt wird und deren Alltag von unzähligen Hindernissen geprägt ist. Die Bewältigung des Alltags erleben die Menschen hier als Herausforderung, die sie jeden Tag auf ein Neues meistern. Ganz alltägliche Dinge, die für andere Mitmenschen selbstverständlich sind. Etwa eine Treppe, so trivial sie manchen erscheinen mag, kann für andere in bestimmten Momenten über Freiheit oder Unfreiheit bestimmen. Zu unserem Freiheitsverständnis gehört das Recht, sich frei bewegen zu können: das Recht auf Mobilität. Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es im ersten Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Das Erzählfrühstück ist ein erfolgreiches Beispiel für gelebte Demokratie, von denen es noch viel mehr geben sollte.
Es bietet Gelegenheit zum Austausch und Beisammensein: Hier wird ausgiebig geschlemmt, gequatscht oder auch einfach nur gelauscht, viel gelacht, aber auch über ernste Dinge gesprochen, gemeinsam gebastelt, gekocht oder Zeitung gelesen. Etwa sechs bis neun Seniorinnen und Senioren mit geistiger Behinderung kommen hier alle zwei Wochen zusammen. Wegen des teilweise hohen Assistenzbedarfs begleiten stets drei Betreuende die Treffen. Die Gruppe ist füreinander da, man hört sich gegenseitig zu und nicht selten werden hier auch Freundschaften geschlossen. Jeder ist willkommen, alle geben aufeinander acht. Und nicht zuletzt kann jeder von jedem lernen. Es ist ein Geben und Nehmen: Gemeinsames Essen verbindet – und Gemeinschaft macht glücklich.
Die Geschichte des Projekts – Ein Grund zum Feiern
Alles fing mit einem Stammtisch an, bei dem sich ältere Menschen mit geistiger Behinderung regelmäßig mit ihren Betreuerinnen und Betreuern trafen. Elisabeth Wey, die heute zusammen mit Gisela Gerny und Astrid Knigge das Frühstück betreut, erzählt: „Bei einem der Treffen des Stammtischs kam die Frage auf: Was machen wir mit unserer Freizeit? Es gibt kaum Angebote für die Menschen, die hierherkommen, aber wir wollten etwas machen, etwas bewegen, zusammen.“ Und so schufen sie ihr eigenes Angebot und das Erzählfrühstück wurde geboren.
Im Anschluss an den Stammtisch entstand dann ein Workshop und im Jahr 2000 wurde schließlich das Projekt ins Leben gerufen, von der Goethe-Universität wissenschaftlich begleitet und von der Stadt gefördert. Auch das DRK, die KOMM Ambulante Dienste, die Caritas, die Lebenshilfe und die Praunheimer Werkstätten unterstützen das Projekt.
In diesem Jahr feiert das Erzählfrühstück sein 25-jähriges Jubiläum. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich gewünscht, dass sie der Oberbürgermeister einmal besuchen kommt – ein Wunsch, der in Erfüllung geht, denn heute frühstückt er mit. Mike Josefs persönlicher Favorit: Brötchen mit Erdnussbutter und Marmelade. „Ihr macht das schon länger hier, als ich überhaupt in Frankfurt bin, es wurde jetzt auch mal Zeit, dass ich bei euch vorbeikomme! Es ist wirklich schön, bei euch zu sein, ich danke euch für eure Gastfreundschaft! Danke, dass ich hier sein darf“, sagt Josef, während er sich eine Schicht Marmelade auf die Erdnussbutter schmiert und Teilnehmer Thorsten ihm sein Kuscheltier Sonic vorstellt, ein blauer Bär, der jetzt stolz über den Tisch gehalten wird.
Thorsten und Uli sind noch nicht so lange beim Erzählfrühstück dabei, Norbert schon etwas länger. Jenny, die gerade in ein Wurstbrötchen beißt und aufmerksam die anderen Teilnehmenden beobachtet, nimmt bereits seit Beginn des Projektes teil und wird darum auch die „Ehrenpräsidentin“ der Runde genannt. Mit dabei am Frühstückstisch sitzen heute auch Andreas, Dennis, Bernhard und Klaus-Martin.
Thorsten bringt immer seinen Kakao zum Erzählfrühstück mit. „Oh, was habe ich den geliebt früher!“, schwärmt Oberbürgermeister Josef. Thorsten grinst und nimmt noch einen Schluck von seinem Lieblingsgetränk. Er hat eine Liste mitgebracht, um sich besser mit dem Oberbürgermeister verständigen zu können, denn ihm ist es wichtig, nicht nur gehört, sondern auch verstanden zu werden. Auf der einen Seite steht „Aussprache“ und auf der anderen „Bedeutung“. „Mimi“ heißt zum Beispiel „Schwester“, erklärt er dem Oberbürgermeister, während sie zusammen seine Verständigungsliste studieren.
„So ein Projekt wie eures ist wirklich großartig. Es ermöglicht Begegnungen und gesellschaftliche Teilhabe“, sagt Mike Josef und fügt hinzu: „Wenn ihr Wünsche oder Ideen habt, meldet euch und kommt doch mal im Römer vorbei. Das Rathaus ist wirklich spannend, ihr könntet eine Führung machen. Vielleicht sehen wir uns ja dann!“
Jutta Hagner, die an diesem Tag die Geschäftsführung des Seniorenprojekts vertritt, freut sich: „Der Besuch von Oberbürgermeister Mike Josef ist ein besonderes Ereignis für das Erzählfrühstück und ein eindrucksvolles Beispiel gelebter Inklusion. Das heutige Treffen schafft einen Austausch auf Augenhöhe und zeigt, wie wichtig Begegnung und Dialog für eine vielfältige Gesellschaft sind.“
Ein Platz in der Mitte der Gesellschaft
Einen Platz in der Mitte der Gesellschaft finden, mehr Raum und nicht an den Rand gestellt zu werden, dass wünschen sich die Menschen hier am meisten. Barrierefreiheit ist ein großes Thema im Gespräch mit dem Oberbürgermeister. Norbert sagt: „Wir brauchen mehr Barrierefreiheit an den Bahnhöfen. Überall sind Treppen. Schienen würden auch schon helfen.“
Julia Sipreck, Teamleiterin Soziale Dienste beim DRK, betont, wie wichtig niedrigschwellige Angebote wie das Erzählfrühstück sind und sagt: „Dass die regelmäßigen Veranstaltungen von großer Bedeutung für die Teilnehmenden sind, bestätigt sich heute im Beisein des Oberbürgermeisters.“
Oberbürgermeister Josef unterstreicht: „Es war mir sehr wichtig, das Erzählfrühstück zu besuchen und kennenzulernen. Eine Stadt wie Frankfurt braucht inklusive Räume und Angebote. Das Treffen von und der Austausch mit anderen Menschen ist ein essenzielles Grundbedürfnis. Schön, dass es hier einen Ort gibt, an dem alle zusammenkommen können, um miteinander zu sprechen und gemeinsam Zeit zu verbringen.“
Mehr Infos zum Seniorentreff Frankfurt und zum Erzählfrühstück gibt es auf der Webseite des DRK unter Soziale ManufakturExternal Link.
Text: Lily Gaines