Interview Rainer Michaelis

Interview Rainer Michaelis

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„Wir sehen uns vor allem als Schiedsrichter“

Rainer Michaelis, der Chef der städtischen Verkehrspolizei, geht in den Ruhestand und blickt im Gespräch zurück

Rainer Michaelis, ausscheidender Leiter der städtischen Verkehrspolizei. Foto: Holger Menzel
Rainer Michaelis, ausscheidender Leiter der städtischen Verkehrspolizei. © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Holger Menzel

Für seine Arbeit bekommt er Applaus, aber nicht alle schätzen sie. Für die einen ist Rainer Michaelis der Mann, der Autos von Radwegen abschleppen lässt, wenn sie Pedaleure behindern, dessen Mitarbeiter zu dicht an Ecken parkende Wagen aufschreiben, damit andere die Kreuzung besser einsehen können und mit Radarfallen rücksichtsloser Raserei Einhalt gebietet. Die anderen sehen in ihm den, der starrsinnig vor allem Kraftfahrer verfolgen und keine Milde walten lässt.

Am Montag, 4. April, verabschiedet sich der gelernte Verwaltungsfachmann in den Ruhestand. Seit 2006 steht er an der Spitze der städtischen Verkehrspolizei, die aus dem Ordnungsamt hervorging und seitdem eine eigenständige Abteilung im Straßenverkehrsamt bildet. Im Gespräch mit Ulf Baier blickt er auf seine Tätigkeit zurück.

Herr Michaelis, Sie leiten seit 2006 die städtische Verkehrspolizei. Wie hat sich Ihre Arbeit entwickelt?

RAINER MICHAELIS: Die Stadt ist gewachsen, der Verkehr und eben auch die Autos. Sie nehmen mehr Platz ein, in Größe und Anzahl. Das hat zur Folge, dass alles zugeparkt ist. Hier muss man als Stadt gegensteuern. Insgesamt ist der Umgangston im Verkehr rauer geworden. Gleichzeitig erlebe ich, wie unsere Arbeit anders wahrgenommen wird. Es gibt immer öfter den Ruf nach schärferen Kontrollen. Das wäre früher undenkbar gewesen. Gleichzeitig ist das für mich ein Indiz, dass die Gesellschaft merkt, dass es bei unserer Arbeit um Sicherheit und somit Leib und Leben geht. Insgesamt ist der Verkehr bunter geworden, wenn wir an die Lastenräder und E-Scooter denken, die hinzugekommen sind.

Lassen Sie uns das Thema noch weiterdrehen. Der Verkehr ist dichter geworden, was erst einmal negativ klingt. Gibt es denn auch positive Veränderungen?

MICHAELIS: Hier wäre die Technik zu nennen. Wir können heute sehr viel detaillierter den Verkehr überwachen, regeln und steuern. Früher nutzten Rad- und Fußverkehr dieselben Flächen, die durch Markierungen auf dem Gehweg getrennt waren. Heute fließt der Radverkehr immer mehr neben dem Gehweg auf einem separaten Bereich der Straße. Radfahrer sind heute auch immer stärker im Winter unterwegs, was vor 30 Jahren ziemlich die Ausnahme war. Wie ich finde, eine positive Entwicklung.

Gleichzeitig sind wir als städtische Verkehrspolizei immer mehr in der Lage, die Perspektiven der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer einzunehmen. Die Fahrradstaffel hat hier eine Lücke zwischen Fuß- und Autostreife geschlossen. Auch hat sich baulich etwas getan. Stellte die Stadt früher vor allem Poller als Barrieren auf, sind es heute immer öfter Fahrradbügel. Wir bieten den Leuten zugleich etwas an.

Für die einen sind sie der Schutzmann der Radfahrer und Fußgänger, für die anderen jemand, der notorisch Autofahrer drangsaliert. Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?

MICHAELIS: Wir stehen auf keiner Seite! Jenen, die uns immer gerne kritisieren, würde ich gerne sagen: „Lasst uns mal drei Monate keine Verkehrsüberwachung machen. Danach sprechen wir uns wieder.“ Sie dürften ziemlich sauer sein, weil dann kaum noch etwas klappt. Ohne Regeln funktioniert der Straßenverkehr nicht. In diesem sehen wir uns vor allem als Schiedsrichter. Aber machen wir uns nichts vor: Eine Stadt ohne Verkehrsverstöße wird es nicht geben. Und wie wir mehr Sicherheit und Rücksicht erreichen, hängt immer noch vom individuellen Verhalten ab.

Wenn Sie zurückblicken, was hat Sie am Frankfurter Verkehr am meisten genervt?

MICHAELIS: Jeder kennt nur seine Sichtweise. Ich plädiere für mehr gegenseitige Rücksichtnahme und dafür, die Perspektive des anderen einzunehmen. Rad- und Autofahrer sind immer irgendwann auch zu Fuß unterwegs. Dieser Wechsel des Blickwinkels kostet nichts, schafft aber Verständnis füreinander. Ich plädiere auch für höhere Bußgelder, um Fehlverhalten spürbarer sanktionieren zu können. Hier sind wir im europäischen Kontext immer noch ziemlich weit unten. Der neue Bußgeldkatalog war sicherlich ein Zeichen in die richtige Richtung, ist aber dann doch wieder aufgeweicht worden, etwa wenn wir an die Fahrverbote bei überhöhter Geschwindigkeit denken.

Sie haben vorhin E-Scooter erwähnt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

MICHAELIS: E-Scooter sind praktisch, aber auch ein Fluch. Sie können ein Baustein der Verkehrswende sein. Doch so, wie es momentan läuft, lässt der Gesetzgeber die Kommunen allein. Wir sehen tagtäglich die Probleme mit Rollern, welche die Gehwege versperren und andere behindern. Die Kommunen versuchen, sich auf verschiedenen Wegen zu behelfen, wie sie es etwa auch bei den Leihfahrrädern getan haben. In Frankfurt soll es demnächst im Innenbereich nur noch möglich sein, die Scooter an bestimmten Plätzen abzustellen. Das funktioniert dann mittels GPS. Aber insgesamt brauchen wir als Kommune bessere Instrumente, was nur über die Straßenverkehrsordnung geht.

Vervollständigen Sie bitte den Satz: „Elterntaxis sind…“

MICHAELIS: … vorwiegend überflüssig! Man sollte sie nicht ganz verteufeln. Es gibt durchaus einige, wenige Situationen, in denen sie ihre Berechtigung haben. Ich plädiere dafür, dass die Eltern insgesamt den Kindern mehr zutrauen. Dann trauen sich die Kinder auch mehr zu. Denn nur so lernen diese, sich sicher und verantwortungsvoll im Straßenverkehr zu bewegen.

Haben Sie selber einmal einen Strafzettel bekommen?

MICHAELIS: Zwei Mal, obwohl ich eigentlich relativ viel im Auto unterwegs bin. Einmal mit 19 Jahren im Odenwald, als ich minimal zu schnell gefahren bin. Aber das ist lange her. Amüsanter war die Geschichte hier in Frankfurt: Ich war noch relativ neu mit dem Metier Verkehrsüberwachung befasst und wollte mir erklären lassen, wie ein mobiles Radargerät funktionierte. Hierfür war ich mit den Kollegen in Heddernheim verabredet. Als ich den exakten Standort suchte, blitzte es. Ich habe selbstverständlich gezahlt. Für mich zeigt das zweierlei: Es geht prinzipiell ohne und man kann sich ganz gut an die Regeln halten. Aber die Gefahr, abgelenkt zu sein, ist groß. Dessen sollte man sich auch bewusst sein.

Fahren Sie selber Fahrrad?

MICHAELIS: Ja, und ziemlich gerne sogar. Mir gehören zwei Fahrräder, die ich in meiner Freizeit bewege. Aus der Zeit, in der ich im Gallus wohnte, kenne ich das Zusammenleben im Frankfurter Verkehr aus eigener Anschauung.

Was macht Rainer Michaelis im Ruhestand?

MICHAELIS:
Er wird viel mit dem Campmobil unterwegs sein, einschließlich Fahrrädern. Gerne sind meine Frau und ich in Frankreich – dort vor allem im Süden und der Bretagne – unterwegs. Dazu freue ich mich darauf, mehr Zeit für mein sechs Monate altes Enkelkind zu haben. Auch werde ich mich intensiver in mein Mandat als Fraktionsvorsitzender in der Gemeindevertretung von Weilmünster einbringen.
 

 

Zum Werdegang und zur Person

Die Sicherheit aller im immer dichter werdenden städtischen Verkehr ist für Rainer Michaelis das Kernanliegen seiner Arbeit. Hierzu gehört für ihn nicht nur Repression – eben die unbeliebten „Knöllchen“ – sondern auch Prävention. Verschiedene Kampagnen wie „Lass dich sehen“, „Schulwegsafari“ oder „20 Handkäs Abstand“ entstanden unter aktiver Mitarbeit der städtischen Verkehrspolizei. Sie wirbt für mehr Sichtbarkeit von Menschen auf dem Fahrrad und zu Fuß, gerade in der dunklen Jahreszeit.

In den vergangenen 16 Jahren hat sich die Stadt, ihr Verkehr und die zuständige Überwachungsbehörde verändert. So ist die Zahl der Stellen gestiegen und eine Fahrradstaffel dazu gekommen.

Michaelis absolvierte seine Verwaltungsausbildung in Bad Soden, wohnt in Weilmünster im Hintertaunus und lebte zwischenzeitlich im Gallus. Er ist 62 Jahre alt.

Unter Michaelis Ägide entwickelte die Behörde zusammen mit anderen ein umfassendes mediales Informationsangebot zu den Vorschriften im Straßenverkehr. Dort geht es beispielsweise darum, wie man parken darf oder eben nicht. Die „Abschlepp-Tweets“ der städtischen Social-Media-Redaktion präsentieren solche Szenen aus der täglichen Arbeit der Verkehrspolizei nach dem Prinzip „davor-danach“: Ein Auto steht auf dem ersten Bild regelwidrig vor dem Zebrastreifen, auf dem zweiten – schwupp – hängt es an dem Haken des Abschleppwagens. Die große Reichweite dieser Beiträge und die kontroverse Diskussion in der Netzgemeinde zeigt, wie sehr Michaelis‘ Arbeit die Bürger der Stadt bewegt.

 

Weiterführende Links:

Zur Kampagne "Lass dich sehen!"Internal Link

Die "Wissensecke" der VerkehrspolizeiInternal Link

 

 

 

 

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