So wild ist unsere Stadt

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So wild ist unsere Stadt

Von wegen Tiere haben keinen Platz im urbanen Raum – Welche Arten fühlen sich in Frankfurt heimisch? Und was wird getan, um sie in der dichtbesiedelten Stadt zu erhalten? Wir werfen einen Blick auf Frankfurts tierische Vielfalt.

Wanderfalken-Jungvogel auf der Commerzbank in 258 Metern Höhe, Foto: Ingolf Grabow
Wanderfalken-Jungvogel auf der Commerzbank in 258 Metern Höhe © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Ingolf Grabow

Zu Land, zu Wasser und in der Luft: Die wilden Tiere sind zurück in der Stadt!

 

Die Beute ist erspäht, der richtige Zeitpunkt abgepasst, dann geht es im Sturzflug senkrecht in die Tiefe – und zwar mit bis zu 320 Stundenkilometern! Einen Wanderfalken bei der Jagd zu beobachten bleibt nur wenigen vergönnt. Seit einigen Jahren hat man, mit etwas Glück, nicht nur weit draußen in der Wildnis, sondern auch mitten in Frankfurt eine Chance, das seltene Naturschauspiel zu erleben. In luftiger Höhe, auf den Wolkenkratzern der Mainmetropole, haben die majestätischen Vögel ihre Brutplätze bezogen und finden dort optimale Bedingungen vor: „Sie nehmen die Skyline als Felsenlandschaft wahr. Beispielsweise bieten die kleinen kiesigen Dachflächen auf dem Commerzbank-Turm ideale Brutnischen. Vereinzelt stehen Mäuse oder kleine Säugetiere, bevorzugt aber Tauben auf der Speisekarte – und davon gibt es in Frankfurt wirklich mehr als genug“, erklärt Volker Rothenburger, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt Frankfurt.

 

In den 1970er Jahren waren die Jäger der Lüfte beinahe ausgestorben. Für Rothenburger ist der wachsende Bestand von Wanderfalken, aktuell sind es zwischen 12 und 14 Brutpaare im Raum Frankfurt, ein Riesenerfolg und ein Aushängeschild für den Artenschutz. „Das Schöne ist: Inzwischen hat Frankfurt durchaus eine Verantwortung für den bundesweiten Bestand des Greifvogels“, hebt der 59-Jährige stolz hervor. In Zeiten des Klimawandels und des Artensterbens ist die Sensibilität für die Vielfalt von Tieren und Pflanzen eine andere – auch in der Großstadt.

Störche im Nest in Harheim, Foto: Yukiko Kaneko
Störche im Nest in Harheim © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Yukiko Kaneko

„In den letzten Jahren hatten wir einige großartige Naturschutzerfolge“, sagt Umweltdezernentin Rosemarie Heilig. „Biber und Storch sind zurück, in den Streuobstwiesen lebt eine der größeren Steinkauzpopulationen Deutschlands, zu Füßen der EZB wuseln Eidechsen, in der Dämmerung gehen in den Parks Fledermäuse auf die Jagd. Frankfurt hat eine ausgesprochen vielfältige Stadtnatur. Die Wildnis erobert die Stadt.“


 

 

 

Wer eingreift, muss auch ausgleichen

 

Das funktioniert natürlich nur, weil vielerorts die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Kein Tier soll leichtfertig übersehen werden. Eine riesige Herausforderung in einer Stadt, die ständig wächst, bestätigt Rothenburger. „Bis zu einem gewissen Grad ist es möglich, die bauliche Weiterentwicklung der Stadt mit der biologischen Vielfalt unter einen Hut zu bringen. Wenn man allerdings wirklich Arten in der Landschaft erhalten will, ist das mit der Neuanlage von Biotopen und oft mit einem dauerhaften Pflegeaufwand verbunden.“ Häufig ist das Prinzip „Eingriff-Ausgleich“, 1981 gesetzlich eingeführt, der Ausgangspunkt: Diese Regelung besagt, dass jedes Bauprojekt, jeder Eingriff in die Natur, an anderer Stelle wieder mit einer ökologischen Gegenmaßnahme ausgeglichen werden muss.

 

„Es hat lange gedauert, dieses Prinzip mit Leben zu füllen“, erinnert sich Rothenburger. „Die Sensibilität bei Architekten, bei Investoren ist immens gestiegen. Es ist überhaupt nicht mehr strittig, dass der Natur- und Artenschutz bei neuen Projekten eine Rolle spielen muss. Die Generation ist eine andere, die Sorge um die Natur größer“. Doch eine ökologisch wertvolle Planung ist dabei nur der erste Schritt: „Tolle Pläne sind nur dann etwas wert, wenn die Pflege im Anschluss gewährleistet ist“, versichert der Landschaftsplaner.

 

Mauereidechse nahe dem Hafenpark, Foto: Stefan Maurer
Mauereidechse nahe dem Hafenpark © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Stefan Maurer

So sollten etwa beim Umzug der EZB vom Willy Brandt-Platz ins Ostend damals nicht nur die Bankangestellten, sondern auch die Mauereidechsen, die im Schotterbett an der früheren Großmarkthalle Unterschlupf gefunden hatten, ein neues Zuhause bekommen. Dank des warmen Weinbauklimas fühlt sich das eigentlich im Mittelmeerraum verwurzelte Reptil auch im Rhein-Main-Gebiet pudelwohl. Umso wichtiger, dass das neu eroberte Domizil nicht arglos zerstört, stattdessen an anderer Stelle neu, ja sogar mit besseren Lebensbedingungen wiederaufgebaut wurde. Mehrere hundert Exemplare wurden von einem beauftragten Spezialisten vor dem Bau des neuen Bankenturms eingefangen, ausgesiedelt und später im Ostend wieder in die Freiheit entlassen. Die Planungen der EZB sahen von Beginn an vor, das Außengelände so artgerecht zu gestalten, dass die Tiere ihre neue Heimat selbstständig erkennen und auswählen konnten. Heute leben wieder hunderte Mauereidechsen rund um den Bankenturm.

Die Erfolgsgeschichte des Bibers

 

Sogar der Biber ist zurück in Frankfurt. Sowohl am Main als auch an der Nidda hat er sich häuslich eingerichtet. Für den Nager ist es üblich, dass der Nachwuchs aus der Obhut der Eltern vertrieben wird. Aus diesem Umstand heraus sind Jungtiere eines Tages aus dem Spessart entflohen und den Flusslauf des Mains entlanggewandert.

 

Biber, Foto: Michael Butterhof
Biber © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Michael Butterhof

Heute findet der Biber beispielsweise in der neu entstehenden Auenlandschaft am Mainbogen in Fechenheim einen Lebensraum ganz nach seinem Geschmack. Beim größten Naturschutzprojekt seit dem „Alten Flugplatz“ erhält der Main zwei Altarme und mehrere Tümpel als Rückzugsraum für Fische, Amphibien und Vögel. Hier kann der Biber seine Burgen bauen. „Der Biber ist eine Art, die das ganze Potenzial einer Großstadt zeigt. Er ist dämmerungsaktiv und relativ störungsunempfindlich. Mit Hunden oder Spaziergängern kann er sich also wunderbar arrangieren. Was er braucht ist ein naturnahes Flussufer“, erläutert der städtische Naturschützer. Besonders die Renaturierungen an Main und Nidda haben die erfolgreiche Rückkehr des Bibers beeinflusst.


 

Ein tierisches Frankfurt ist ein besseres Frankfurt – Ein Blick in die Zukunft

 

„Ein riesiger Schritt für die nächsten zehn, zwanzig Jahre, um das Thema biologische Vielfalt noch fundierter in die Planungsprozesse der Stadt einzubringen, wird das Arten- und Biotopschutzkonzept sein“, erklärt Rothenburger. Auch wenn noch kleine Änderungen ausstehen, hat die riesige Bewertungskarte bereits einen festen Platz in seinem Büro. Darauf sind alle Flächen nach verschiedenen Kriterien eingestuft und, gemessen am Wert für den Natur- und Artenschutz, mit einer bestimmten Farbe markiert. Eine Biotopvernetzungskarte und ein konkreter Maßnahmenplan sind derzeit noch in Arbeit. Wenn das Konzept ab April dieses Jahres vorliegt, können Planungen die Auswirkungen für Flora und Fauna gezielter mit einbeziehen. Mit diesem Maßnahmenplan ist die Stadt Frankfurt in der Lage, die Pflanzen- und Tierpopulationen langfristig stabil zu halten oder sogar zu verbessern.

Bis Tier und Mensch in der Stadt noch besser im harmonischen Zusammenspiel miteinander leben können, braucht es weiterhin den leidenschaftlichen Einsatz von Volker Rothenburger und seinem Team: „Bei all unseren Tätigkeiten haben wir die Absicht, die Lebensqualität der Bevölkerung in Frankfurt langfristig zu verbessern. Denn wer durch eine grüne Umgebung gehen kann, dem geht es erwiesenermaßen einfach besser“, unterstreicht er. Wer das Glück hat, demnächst einen Biber durch den Main paddeln oder eine Fledermaus durch den Nachthimmel schwirren zu sehen, wird dem sicher zustimmen. 

Wo sich die Wildnis aus der Deckung wagt – Ein Exkurs zum Monte Scherbelino

Viele Frankfurter dürften beim Blick auf den Monte Scherbelino nostalgisch in Kindheitserinnerungen schwelgen, Erinnerungen an eine unbeschwerte Zeit, in der man Cowboy und Indianer spielte oder mit dem Schlitten den Hang hinab rodelte. In den 70er Jahren war die einstige Mülldeponie ein einziger Abenteuerspielplatz. Hierher floh man, wenn die Luft im Stadtinneren mal wieder zu stickig wurde. 

 

Wacholderdrossel auf dem Monte Scherbelino, Foto: Stefan Maurer
Weiblicher Neuntöter auf dem Monte Scherbelino © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Stefan Maurer

Doch irgendwann war die Gefahr allgegenwärtig, die weiterhin von den austretenden Schadstoffablagerungen, von Ölen und Schwermetallen unter der Erdoberfläche ausging. Das 24 Hektar große Gebiet wurde 1989 zur Altlast erklärt und abgesperrt, der Abfluss der Giftstoffe ins Grundwasser abgewendet und die Natur übernahm das Kommando.

 

„Am Fuß des einstigen Müllbergs im Stadtwald hat Frankfurt einen Raum für die freie Entfaltung der Natur geschaffen. Wir befinden uns hier in einem spannenden Labor der Biodiversität“, sagt Umweltdezernentin Rosemarie Heilig. „Aus Sicherheitsgründen wird der Zugang zum Monte Scherbelino auch in den nächsten Jahren nur unter fach- und ortskundiger Führung möglich sein. In dieser Zeit werden wir weiter beobachten können, welche Pflanzen von alleine wachsen und welche Tiere sich diesen Lebensraum erobern. Hier entsteht eine Schatzkiste der Biodiversität.“

 

Ufer des Haldenweihers am westlichen Ende des Monte Scherbelino , Foto: Stefan Maurer
Ufer des Haldenweihers am westlichen Ende des Monte Scherbelino © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Stefan Maurer

Was passiert, wenn sich der Mensch weitestgehend zurückzieht, weiß Frieder Leuthold, der für das Umweltamt Frankfurt das Projekt „Städte wagen Wildnis“ am Nordpark Bonames und eben am Monte Scherbelino in Frankfurt zum Leben erweckt hat. „Städte wagen Wildnis“ ist eine bundesweite Initiative, die es sich in den Städten Hannover, Dessau und Frankfurt zur Aufgabe gemacht hat, ausgewiesene Flächen im urbanen Raum der Natur zu überlassen.

 

Blauflügelige Ödlandschrecke auf dem Monte Scherbelino, Foto: Stefan Maurer
Blauflügelige Ödlandschrecke auf dem Monte Scherbelino © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Stefan Maurer

Das Ergebnis sind „eine enorme Insektenvielfalt, zahlreiche Wasservogelarten, die mindestens auf Besuch vorbeischauen und Uhu, Neuntöter oder Flussregenpfeifer, die sich schon heimisch fühlen“, erzählt Leuthold und deutet dabei auf den Weiher, der mit einer kleinen Insel in der Mitte vor dem ehemaligen Schuttberg ruht. Vom Volksmund wurde er einst Cola-Weiher getauft, da das Wasser beinahe pechschwarz gefärbt war. Inzwischen schimmert es in einem satten Grün, passend zur unglaublich vielfältigen Vegetation ringsherum. Eine Entenfamilie dreht ihre Runden, hier und da wirbelt ein Vogel die Wasseroberfläche auf und im hohen Gras erfüllt das Zirpen der Heuschrecken die Luft. Nicht durch Lautstärke, sondern durch ein schillerndes Farbenkleid macht die Blauflügelige Ödlandschrecke auf sich aufmerksam. Bis auf Flugzeuge, die immer wieder über das Areal hinweg in die Ferne aufbrechen, ist es beinahe gespenstisch ruhig. „Der Fluglärm stört die Tiere überhaupt nicht“, sagt Leuthold. „Die Natur ist unglaublich flexibel und genügsam, wenn wir ihr nur den Raum geben.“

 

Flächen wie hier am Monte Scherbelino braucht es auch, um den Bestand der Wildbienen zu stärken. Sie brauchen die Pflanzenvielfalt der offenen Wildnis. Die sogenannte Biozönologie, die Lehre vom Zusammenspiel verschiedener Lebensorganismen, beschreibt, dass sich zum Beispiel eine bestimmte Tierart nur dann ausbreiten kann, wenn sie ein bestimmtes Pendant aus der Pflanzenwelt vorfindet. Da die Flora hier so facettenreich gedeiht, finden über 50 Wildbienen-Arten ihre „Lieblingsblüte“.

 

Flora und Fauna auf dem Monte Scherbelino, Foto: Stefan Maurer
Flora und Fauna auf dem Monte Scherbelino © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Stefan Maurer

So ganz unberührt ist die Natur aber auch hier nicht geblieben. Damit möglichst viele Arten einen perfekten Lebensraum finden, hat man der Vegetation an manchen Stellen auf die Sprünge geholfen. Zum Beispiel laden große Steinhaufen die Zauneidechse zum Nickerchen oder Sonnenbaden ein, aufgeschüttete Kiesbetten bieten dem Flussregenpfeifer einen Landeplatz und gepflanzte Baumreihen sind für viele Vogelarten eine willkommene Sitzgelegenheit. Den Rest regelt Mutter Natur auf eigene Faust. Die große freie Fläche ist erst der Anfang einer Entwicklung. Noch ragen die jungen, neu gepflanzten Bäume gerade so aus der Graslandschaft heraus. In einigen Jahren werden sie mit ihren mächtigen Kronen viel Sonnenlicht abfangen und so für einen schattigen Boden sorgen. Die Vegetation wird sich erneut verändern, einige Arten werden wieder verschwinden. Doch all das ist Teil eines natürlichen Kreislaufs.

 

Text: Jan Hassenpflug

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