Königsberger, Jenny und Lewin, Felix, Sidonie und Henry

Königsberger, Jenny und Lewin, Felix, Sidonie und Henry

Stolperstein-Biographien in Höchst

Königsberger, Jenny und Lewin, Felix, Sidonie und Henry

Jenny Oberdörfer stammte aus Wandsbeck bei Hamburg, ihr Mann, der Lehrer Heinrich Königsberger, starb bereits 1899. Das Paar hatte zwei Kinder. Einem Sohn gelang die Flucht ins amerikanische Exil. Die Tochter Sidonie, geboren in Crailsheim (Württemberg), heiratete den Kaufmann, Felix Lewin, der aus Schneidemühl im Kreis Kolmar stammte. 1902 wird in Siegburg der Sohn Henry geboren. 1907 zogen beide mit ihrem Sohn Henry nach Höchst. Er übernahm ein Geschäft mit vorwiegend Textilien. Es hieß damals noch C. Nawaratzki und Co., Inhaber: Felix Lewin.

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Lewin, Henry © privat/Inge Castricius, Foto: keine Angaben

1909 wählte er in der 3. Wählerklasse des Dreiklassenwahlrechts; sein versteuerbares Jahreseinkommen betrug 91,60 Reichsmark. Das kleine Geschäft entwickelte sich im Laufe der Jahre zum „Kaufhaus Lewin“. Felix Lewin wollte, dass sein einziger Sohn das Geschäft übernehmen sollte, der wollte aber eigentlich Jurist werden. Der Sohn beugte sich dem Willen des Vaters und verließ nach dem Realschulabschluß die höhere Schule, um im väterlichen Geschäft in die Lehre zu gehen.

 

Zeitweise hatte das Kaufhaus 18 bis 20 Verkäuferinnen beschäftigt. Eine dieser Verkäuferinnen, Maria Knapp und Henry Lewin heirateten 1931. Maria konvertierte wahrscheinlich den Schwiegereltern zuliebe, die gläubige Juden waren und einen Rabbiner in der Familie hatten, zum Judentum. Von Felix Lewin erhielt das Paar die 1930 eröffnete Filiale des Kaufhauses in Königstein. Maria Lewin wird zur treibenden Kraft in der Königsteiner Filiale. Ihre im Februar 1933 geborene Tochter, Inge, wird mit israelitischer Religionszugehörigkeit im Melderegister eingetragen. Henry Lewin war wohl weniger gläubig; er habe immer „die Sportzeitung mit in die Synagoge genommen“, erzählte die Tochter später. Von ihrer Mutter wusste sie auch, dass er in Höchst im Kegelclub aktiv war.

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Kaufhaus Lewin © privat/Paula Welzenheimer, Foto: keine Angaben

 

Der Boykott 1933 traf beide Geschäfte hart; schon Ende 1933 wurden Verluste geschrieben. Die jungen Lewins zogen 1933 in das Haus der Eltern; die Filiale wurde 1935 geschlossen. Im Oktober wurde Henry verhaftet, da bei ihm SPD-Zeitungen gefunden wurden.

 

Das Höchster Geschäft musste 1936 an die Firma Bozek verkauft werden. Im gleichen Jahr zogen beide Familien in eine 4-Zimmer-Wohnung in die Melemstraße 5 im Frankfurter Holzhausenviertel im Nordend.

 

Felix Lewin wurde im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Das Haus in Höchst musste 1939 zwangsweise weit unter dem Marktwert verkauft werden. Nutznießer dieser „Arisierung“ war der Kinobesitzer Scheer. Felix Lewin musste 4000 Reichsmark als „Judenvermögensabgabe“ an den Staat bezahlen.

 

Seit 1. Januar 1939 mussten Juden ihrem Vornamen den Zwangsnahmen Sara bzw. Israel zufügen. So steht es auch in den Meldeunterlagen der Aystettstr. 5, in die die Lewins im Februar 1939 zogen. Ab 1. September 1941 mussten alle Juden den gelben Stern tragen; zeitweise auch die kleine Inge.

 

Der letzte Umzug in Frankfurt fand im Oktober 1941 statt; in die als „Judenhaus“ geltende Myliusstraße 44. Vor der Deportation wurde der Abschluss eines „Heimeinkaufsvertrages“ erzwungen. Mit solchen Verträgen glaubten die Unterzeichneten, ihren Lebensabend in einem Altersheim zu finanzieren. Bei den Lewins war der Kaufpreis 17.370 Reichsmark.

 

Einen Tag vor der Deportation nach Theresienstadt besuchten die neunjährige Inge und ihre Mutter die Großeltern und die Urgroßmutter. Dem Kind fiel auf, dass sie trotz der warmen Jahreszeit mehrere Kleidungsstücke übereinander trugen.

 

Im Oktober 1935 wurde Henry verhaftet. Anlass war eine Aktenmappe von Zeitungen, die der SPD-Mann, Paul Kirchhof, verloren hatte und die der Staatspolizei in die Hände fiel. Im Rahmen der Verfolgung hatte Kirchhof gestanden, wer zu den Zeitungsempfängern und -verteilern gehörte. Mit Kirchhof wurden 16 Personen angeklagt; zu ihnen gehörte Henry Lewin, der in der Hauptverhandlung bestätigte, die Zeitungen erhalten zu haben. Am 29.10.1935 kam er in das Untersuchungsgefängnis Hammelsgasse, am 28.12.1935 wurde er in das Strafgefängnis Preungesheim überführt. Angeklagt waren die Gefangenen wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“. Henry Lewin konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, dass er die Ziele der illegalen SPD unterstützte. Er wurde „der Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ für schuldig befunden und am 31.3.1936 zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe sollte er unter Anrechnung der Untersuchungshaft in Preungesheim verbüßen. Seine schon angeschlagene Gesundheit verschlimmerte sich während der Haft (Magen- und Darmblutungen). Eine Höchsterin, deren Mann auch inhaftiert war, berichtete, dass Maria Lewin bei den Besuchen im Gefängnis stets blutige Wäsche mit nach Hause nahm. Zeitweise wurde die Haft 1936 ausgesetzt und Henry Lewin ins israelitische Krankhaus überwiesen. Im Mai1936 erhielt er einen Haftaufschub bis Dezember 1936. Ob danach ein weiterer Haftaufschub erwirkt wurde, oder ob er wieder die Haft antreten musste, ließ sich nicht genau feststellen. Ein Magendurchbruch wurde zu spät erkannt; er kam erneut ins israelitische Krankhaus, in dem er am 2.2.1937 starb und auf dem jüdischen Friedhof beerdigt wurde.

 

Maria Lewin trat 1938 aus dem Judentum aus und zog mit ihrer Tochter am 17.3.1939 in die Woogstraße 28 um. Am 15.6.1940 heiratete sie einen „Arier“. Er war zwar Parteimitglied, setzte sich aber sehr für die kleine Inge ein und bekam Ärger mit dem berüchtigten Gestapomann Holland. Der Adoptivvater erreichte wohl, dass sie nicht mehr den gelben Stern tragen musste. Da es aber Probleme mit der Schule gab, zogen sie nach Ginnheim. Hier gab es einen Schulleiter, der es „auf seine Kappe“ nahm. Trotzdem war Inge Diskriminierungen ausgesetzt und auch zur Deportation vorgesehen. Die Mutter versteckte sie bei verschiedenen Bauern in der Wetterau; so konnte sie überleben.

Jenny Königsberger; geb. Obersdörfer

Geburtsdatum:

Deportation:

Todesdatum:

28.03.1851

01.09.1942 nach Theresienstadt

18.09.1942

Felix Lewin

Geburtsdatum:

Deportation:

Todesdatum:

23.12.1873

01.09.1942 nach Theresienstadt

21.09.1942

Sidonie Lewin, geb. Königsberger

Geburtsdatum:

Deportation:

Todesdatum:

10.01.1876

01.09.1942 nach Theresienstadt

09.04.1943

Henry Lewin

Geburtsdatum:

Deportation:

Todesdatum:

10.03.1902

1935 Zuchthaus Frankfurt-Preungesheim

1937

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Stolperstein Königsteiner Straße 6 - Jenny Königsberger © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

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Stolperstein Königsteiner Straße 6 - Felix Lewin © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

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Stolperstein Königsteiner Straße 6 - Sidonie Lewin © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

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Stolperstein Königsteiner Straße 6 - Henry Lewin © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main


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