Stobiecka, Ruchel

Stobiecka, Ruchel

Stolperstein-Biographien im Nordend

Stobiecka, Ruchel

Ruchel Stobiecka
Ruchel Stobiecka © Privat / Uri Sella, Foto: keine Angabe

 

Ruchel Stobiecka wurde in Blaszki/Polen geboren. Sie emigrierte als junges Mädchen von Polen nach Heilbronn und arbeitete in der Zigaretten-Fabrik ihres Onkels David Stobiecki. 1925/26 zog sie nach Frankfurt, wo sie den Schneidermeister Jonas Gritzmann/Grycman kennen lernte, der Packer bei der Firma Bodenheimer im Sandweg war. Beide lebten als polnische Staatsangehörige unregistriert, ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, in Frankfurt. Sie konnten sich deshalb 1929 nur rabbinisch in der Obermainanlage 18 trauen lassen; eine staatlich registrierte Eheschließung auf dem Standesamt war wegen der dazu nötigen, aber fehlenden Papiere nicht möglich. Sie gaben beide vor, ledig zu sein, um sich gegenseitig zu schützen, falls einer der beiden verhaftet werden sollte.

 

Ihr gemeinsamer Sohn Ulrich wurde am 30. Mai 1930 geboren und trug den Nachnamen seiner Mutter. Die Wohnadresse war damals in der Frankensteiner Straße. Die Eltern trennten sich noch vor seiner Geburt. Ruchel Stobiecka war Schneiderin und arbeitete in gehobener Stellung bei der „Wäschefabrik“ Luftig und Webeli auf der Frankfurter Zeil 23. Ihre Kusine Eva Weinberger beschrieb sie als tüchtige Frau: „Sie hat ständig gearbeitet und das Kind allein unterhalten. Sie war eine tüchtige Kraft und Abteilungsleiterin in der Stickerei des Betriebes. Sie hatte außerdem eine Aufsichtsstellung und ein für eine Frau verhältnismäßig hohes Einkommen, so dass sie sich und das Kind gut ernähren konnte.“

 

Jonas Gritzmann wurde bereits 1934 von den Nazis aus dem TB-Krankenhaus der Universitätsklinik heraus verhaftet und an seinen Geburtsort Magnuszew im Kreis Tschenstochau abgeschoben. Sein weiteres Schicksal blieb unklar, aber bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges blieben er und Ruchel Stobiecka in Kontakt.

 

Aber die Dauerbelastung und eine Erkrankung - nach Angaben ihres Sohnes hatte der Vater sie mit Tuberkulose (TB) angesteckt – und nicht zuletzt die zunehmenden Repressalien der Nazis fordern ihren Tribut: Von August 1937 bis Oktober 1938 musste sie sich einem stationären Krankenhausaufenthalt unterziehen. Danach arbeitet sie nur noch zu Hause als Schneiderin und Weißnäherin. Unter diesen untragbaren Lebensbedingungen musste sie ihren Sohn in die Obhut des Heimes der Flersheim-Sichel-Stiftung in der Ebersheimstraße 5 geben.

 

Im Rahmen der „Polenaktion“ am 28./29. Oktober 1938, bei der im gesamten Deutschen Reich etwa 17.000 Menschen mit polnischem Pass verhaftet und nach Polen ausgewiesen wurden, wurden auch Ruchel Stobiecka und ihr Sohn Ulrich an die polnische Grenze deportiert. Da Polen die Einreise verweigerte und seine Grenze schloss, wurden sie wieder zurück nach Frankfurt gebracht. Hier mussten sie feststellen, dass ihre Wohnung – laut Ulrich Stobiecka in der Seumestraße 7, laut Hausstandsbuch im Baumweg 29 - für sie nicht mehr zugänglich war. Sie kamen bei einer jüdischen Familie in der Seumerstraße 7a unter und konnten erst später – laut Hausstandsbuch am 22. Februar 1939 – in die Seumestraße 7 ziehen. Ulrich kehrte in das Heim der Flersheim-Sichel-Stiftung zurück und konnte im März 1939 mit einem Kindertransport nach England entkommen. Ruchel Stobiecka lebte bis zu ihrer Deportation in der Seumestraße 7 – „von Amts wegen“ wurde sie dort laut Hausstandsbuch am 2. Dezember 1941 abgemeldet.

 

Ulrich Stobiecka wanderte 1950 nach Israel aus und änderte seinen Namen in Uri Sella. Von 1958 an lebte er zwei Jahre in England, bei einem weiteren Aufenthalt lernte er seine spätere Ehefrau Chava kennen. In Israel gehörte er zu einem kleinen Team von Israelis, die in den 80er Jahren die Alija der äthiopischen Juden nach Israel ermöglicht haben. Uri und Chava Sella lebten in BethChewer, von Beruf war er Elektrotechniker. 2016 besuchte er in Frankfurt seine ehemalige Schule Philanthropin. Er starb am 12. März 2018.

 

Der Stolperstein wurde initiiert von Uri und Chava Sella. An der Verlegung nahmen Chava Sella, Tel Aviv, und ihr Sohn Daniel König, London, teil.

Literatur: Till Lieberz-Gross, Die Kinder der Flersheim- Sichel-Stiftung in Frankfurt. Helga Braun, geb. Steinhardt., und Ulrich Stobiecka, später Uri Sella: In: Angelika Rieber und Till Lieberz-Gross (Hg.), Rettet wenigstens die Kinder. Kindertransporte aus Frankfurt am Main. Lebenswege von geretteten Kindern. Frankfurt 2018

 

 

Hochzeitsfoto 1929
Hochzeitsfoto 1929 © Privat / Uri Sella, Foto: keine Angabe

 

Ulrichs erster Schultag 1936
Ulrichs erster Schultag 1936 © Privat / Uri Sella, Foto: keine Angabe

 

Klassenfoto im Philanthropin 1937, Ulrich 2.Reihe, 6.von rechts
Klassenfoto im Philanthropin 1937, Ulrich 2.Reihe, 6.von rechts © Privat / Uri Sella, Foto: keine Angabe

 


Ruchel Stobiecka

Geburtsdatum:

Deportation:

Todesdatum:

4.10.1898

11.11.1941 Minsk

unbekannt

 

 

Stolperstein Seumestraße 7, Ruchel Stobiecka
Stolperstein Seumestraße 7, Ruchel Stobiecka © Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main

 

 

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